Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

ob berechtigten oder unberechtigten, sie im Laufe der Jahrhunderte genährt wurde,
ob sie als gesunde Kraft meines Volkes sich forterbte oder als zehrende Krank¬
heit sich bis zu mir herttberschleppte ich möchte nicht wagen, die Enscheidung
zu fällen. Ich möchte nicht mit dem Urtheil leder diese Erscheinung dieselbe
mir zu eigen nehmen, indem ich sie vielleicht individuell rechtfertigte durch einen
individuell falschen Schluß. Nicht alles, was ist, ist gut. Ich kann das Dasein
dieser Gegnerschaft zwischen semitischem und into-germanischem Blute nicht
leugnen. Aber eine Feindschaft, welche die Jahrhunderte vielleicht uur über¬
liefert, vielleicht auch erzeugt haben, mögen die Jahrhunderte tragen; ich mag
die Verantwortung dieser Erbschaft nicht antreten, wo es gilt, mein heutiges
lebendiges Recht zu vertheidigen. Mein heutiges Recht gegenüber dem Juden-
thum ist meine heutige Cultur und die Forderungen, welche ich aus diesem
Titel an Staat und Volk, Denken und Charakter meines Volkes erheben darf.
Von diesem Boden ans habe ich wider und auch für das Judenthum gesprochen.




Zur Reform des Haftpflichtgesetzes.
<Luno Stommel. von 2.

Das im Princip vortreffliche Haftpflichtgesetz stößt in der Praxis auf zwei
Mängel, welche seine Wirkung beeinträchtigen und bisweilen geradezu ins Gegen¬
theil verändern. Der eine Mangel besteht, wie wir gezeigt Habens) in dem Um¬
stände, daß die Mannichfaltigkeit der Fälle und deren technisches Detail die
Beurtheilung für den zünftigen Richter erschwert und oft unmöglich macht. Wir
haben hiergegen die Organisation eines Gewerbeschiedsgerichts als erste Instanz
in Vorschlag gebracht. Der zweite Mangel besteht darin, daß sich seit Erlaß
des Gesetzes in der Praxis zwischen den betreffenden Parteien ein neuer Factor
eingeschoben hat, mit welchem der Gesetzgeber nicht gerechnet hatte, und Hessen
Wirkung er nicht voraussehen konnte: die Unverfallversicherungs-Gesellschaft.

Die Unfallversicherungs-Gesellschaften sind entstanden aus dem Bedürfniß
des Arbeitgebers, die ihn bedrohende pecuniäre Verantwortlichkeit des Haft-
Pflichtgesetzes von seinen Schultern abzuwälzen. Wie groß thatsächlich diese
Verantwortlichkeit ist, beweisen die fortwährend gestiegenen Prämiensätze jener
Gesellschaften. Es betrug z. B. bei der größten in Westfalen arbeitenden, ans



*) Vgl, den ersten Aussatz im 43. Hefte d, Bl,

ob berechtigten oder unberechtigten, sie im Laufe der Jahrhunderte genährt wurde,
ob sie als gesunde Kraft meines Volkes sich forterbte oder als zehrende Krank¬
heit sich bis zu mir herttberschleppte ich möchte nicht wagen, die Enscheidung
zu fällen. Ich möchte nicht mit dem Urtheil leder diese Erscheinung dieselbe
mir zu eigen nehmen, indem ich sie vielleicht individuell rechtfertigte durch einen
individuell falschen Schluß. Nicht alles, was ist, ist gut. Ich kann das Dasein
dieser Gegnerschaft zwischen semitischem und into-germanischem Blute nicht
leugnen. Aber eine Feindschaft, welche die Jahrhunderte vielleicht uur über¬
liefert, vielleicht auch erzeugt haben, mögen die Jahrhunderte tragen; ich mag
die Verantwortung dieser Erbschaft nicht antreten, wo es gilt, mein heutiges
lebendiges Recht zu vertheidigen. Mein heutiges Recht gegenüber dem Juden-
thum ist meine heutige Cultur und die Forderungen, welche ich aus diesem
Titel an Staat und Volk, Denken und Charakter meines Volkes erheben darf.
Von diesem Boden ans habe ich wider und auch für das Judenthum gesprochen.




Zur Reform des Haftpflichtgesetzes.
<Luno Stommel. von 2.

Das im Princip vortreffliche Haftpflichtgesetz stößt in der Praxis auf zwei
Mängel, welche seine Wirkung beeinträchtigen und bisweilen geradezu ins Gegen¬
theil verändern. Der eine Mangel besteht, wie wir gezeigt Habens) in dem Um¬
stände, daß die Mannichfaltigkeit der Fälle und deren technisches Detail die
Beurtheilung für den zünftigen Richter erschwert und oft unmöglich macht. Wir
haben hiergegen die Organisation eines Gewerbeschiedsgerichts als erste Instanz
in Vorschlag gebracht. Der zweite Mangel besteht darin, daß sich seit Erlaß
des Gesetzes in der Praxis zwischen den betreffenden Parteien ein neuer Factor
eingeschoben hat, mit welchem der Gesetzgeber nicht gerechnet hatte, und Hessen
Wirkung er nicht voraussehen konnte: die Unverfallversicherungs-Gesellschaft.

Die Unfallversicherungs-Gesellschaften sind entstanden aus dem Bedürfniß
des Arbeitgebers, die ihn bedrohende pecuniäre Verantwortlichkeit des Haft-
Pflichtgesetzes von seinen Schultern abzuwälzen. Wie groß thatsächlich diese
Verantwortlichkeit ist, beweisen die fortwährend gestiegenen Prämiensätze jener
Gesellschaften. Es betrug z. B. bei der größten in Westfalen arbeitenden, ans



*) Vgl, den ersten Aussatz im 43. Hefte d, Bl,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147962"/>
          <p xml:id="ID_858" prev="#ID_857"> ob berechtigten oder unberechtigten, sie im Laufe der Jahrhunderte genährt wurde,<lb/>
ob sie als gesunde Kraft meines Volkes sich forterbte oder als zehrende Krank¬<lb/>
heit sich bis zu mir herttberschleppte ich möchte nicht wagen, die Enscheidung<lb/>
zu fällen. Ich möchte nicht mit dem Urtheil leder diese Erscheinung dieselbe<lb/>
mir zu eigen nehmen, indem ich sie vielleicht individuell rechtfertigte durch einen<lb/>
individuell falschen Schluß. Nicht alles, was ist, ist gut. Ich kann das Dasein<lb/>
dieser Gegnerschaft zwischen semitischem und into-germanischem Blute nicht<lb/>
leugnen. Aber eine Feindschaft, welche die Jahrhunderte vielleicht uur über¬<lb/>
liefert, vielleicht auch erzeugt haben, mögen die Jahrhunderte tragen; ich mag<lb/>
die Verantwortung dieser Erbschaft nicht antreten, wo es gilt, mein heutiges<lb/>
lebendiges Recht zu vertheidigen. Mein heutiges Recht gegenüber dem Juden-<lb/>
thum ist meine heutige Cultur und die Forderungen, welche ich aus diesem<lb/>
Titel an Staat und Volk, Denken und Charakter meines Volkes erheben darf.<lb/>
Von diesem Boden ans habe ich wider und auch für das Judenthum gesprochen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Reform des Haftpflichtgesetzes.<lb/><note type="byline"> &lt;Luno Stommel.</note> von 2. </head><lb/>
          <p xml:id="ID_859"> Das im Princip vortreffliche Haftpflichtgesetz stößt in der Praxis auf zwei<lb/>
Mängel, welche seine Wirkung beeinträchtigen und bisweilen geradezu ins Gegen¬<lb/>
theil verändern. Der eine Mangel besteht, wie wir gezeigt Habens) in dem Um¬<lb/>
stände, daß die Mannichfaltigkeit der Fälle und deren technisches Detail die<lb/>
Beurtheilung für den zünftigen Richter erschwert und oft unmöglich macht. Wir<lb/>
haben hiergegen die Organisation eines Gewerbeschiedsgerichts als erste Instanz<lb/>
in Vorschlag gebracht. Der zweite Mangel besteht darin, daß sich seit Erlaß<lb/>
des Gesetzes in der Praxis zwischen den betreffenden Parteien ein neuer Factor<lb/>
eingeschoben hat, mit welchem der Gesetzgeber nicht gerechnet hatte, und Hessen<lb/>
Wirkung er nicht voraussehen konnte: die Unverfallversicherungs-Gesellschaft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_860" next="#ID_861"> Die Unfallversicherungs-Gesellschaften sind entstanden aus dem Bedürfniß<lb/>
des Arbeitgebers, die ihn bedrohende pecuniäre Verantwortlichkeit des Haft-<lb/>
Pflichtgesetzes von seinen Schultern abzuwälzen. Wie groß thatsächlich diese<lb/>
Verantwortlichkeit ist, beweisen die fortwährend gestiegenen Prämiensätze jener<lb/>
Gesellschaften. Es betrug z. B. bei der größten in Westfalen arbeitenden, ans</p><lb/>
          <note xml:id="FID_15" place="foot"> *) Vgl, den ersten Aussatz im 43. Hefte d, Bl,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] ob berechtigten oder unberechtigten, sie im Laufe der Jahrhunderte genährt wurde, ob sie als gesunde Kraft meines Volkes sich forterbte oder als zehrende Krank¬ heit sich bis zu mir herttberschleppte ich möchte nicht wagen, die Enscheidung zu fällen. Ich möchte nicht mit dem Urtheil leder diese Erscheinung dieselbe mir zu eigen nehmen, indem ich sie vielleicht individuell rechtfertigte durch einen individuell falschen Schluß. Nicht alles, was ist, ist gut. Ich kann das Dasein dieser Gegnerschaft zwischen semitischem und into-germanischem Blute nicht leugnen. Aber eine Feindschaft, welche die Jahrhunderte vielleicht uur über¬ liefert, vielleicht auch erzeugt haben, mögen die Jahrhunderte tragen; ich mag die Verantwortung dieser Erbschaft nicht antreten, wo es gilt, mein heutiges lebendiges Recht zu vertheidigen. Mein heutiges Recht gegenüber dem Juden- thum ist meine heutige Cultur und die Forderungen, welche ich aus diesem Titel an Staat und Volk, Denken und Charakter meines Volkes erheben darf. Von diesem Boden ans habe ich wider und auch für das Judenthum gesprochen. Zur Reform des Haftpflichtgesetzes. <Luno Stommel. von 2. Das im Princip vortreffliche Haftpflichtgesetz stößt in der Praxis auf zwei Mängel, welche seine Wirkung beeinträchtigen und bisweilen geradezu ins Gegen¬ theil verändern. Der eine Mangel besteht, wie wir gezeigt Habens) in dem Um¬ stände, daß die Mannichfaltigkeit der Fälle und deren technisches Detail die Beurtheilung für den zünftigen Richter erschwert und oft unmöglich macht. Wir haben hiergegen die Organisation eines Gewerbeschiedsgerichts als erste Instanz in Vorschlag gebracht. Der zweite Mangel besteht darin, daß sich seit Erlaß des Gesetzes in der Praxis zwischen den betreffenden Parteien ein neuer Factor eingeschoben hat, mit welchem der Gesetzgeber nicht gerechnet hatte, und Hessen Wirkung er nicht voraussehen konnte: die Unverfallversicherungs-Gesellschaft. Die Unfallversicherungs-Gesellschaften sind entstanden aus dem Bedürfniß des Arbeitgebers, die ihn bedrohende pecuniäre Verantwortlichkeit des Haft- Pflichtgesetzes von seinen Schultern abzuwälzen. Wie groß thatsächlich diese Verantwortlichkeit ist, beweisen die fortwährend gestiegenen Prämiensätze jener Gesellschaften. Es betrug z. B. bei der größten in Westfalen arbeitenden, ans *) Vgl, den ersten Aussatz im 43. Hefte d, Bl,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/315>, abgerufen am 27.12.2024.