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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Gegenseitigkeit beruhenden Gesellschaft der Durchschnitt der Prämienbeiträge für
den Kopf: 1872 7,66 Mark, 1875 9,92 Mark, 1877 25,58 Mark. Am
1. October 1878 erließ die Allgemeine Unfallversicherungs - Bank in Leipzig
an ihre Mitglieder ein Circular, in welchem sie sagt, daß eine genauere
Statistik seit 1871 die Zahl der haftpflichtigen Unfälle als "eine erschreckend
große" herausgestellt habe, daß zugleich die Ansprüche der Arbeiter stets zuge¬
nommen hätten und die Auffassung der Gerichte immer schärfer geworden sei.
Dies alles belaste die Industrie ungemein. Abgesehen von den seltneren Un¬
fällen, welche durch höhere Gewalt oder Frivolität veranlaßt werden, trifft bei
den übrigen Unfällen sowohl den Arbeitgeber als auch den Arbeiter direct oder
indirect ein allgemeines Verschulden, und sollte dieses auch nur in den Conse-
quenzen gefunden werden, welche sich daraus ergeben, daß der erstere seinen
Mitmenschen der Gefahr aussetzt, und der letztere durch die Wahl seines Be¬
rufes sich in Gefahr begiebt. Gegenstand der meisten Haftpflichtproeesse ist denn
auch in der That das größere oder geringere Maß derjenigen Fehler und Un¬
gehörigkeiten, welches beide Parteien zu vertreten haben. Trotzdem trägt der
Arbeitgeber in der Praxis die Last der Unfallversicherung für den Arbeiter allein
und einseitig. In der Schweiz ist es dagegen beispielsweise üblich, daß auch
der Arbeiter obligatorisch im Arbeitsverträge gegen Tod oder Gauzinvalidität
aus einem Unfälle für eine Summe versichere, welche dem vierfachen Jahreslohn
entspricht. Ebenso wurde in der 20. Hauptversammlung deutscher Ingenieure
die Nothwendigkeit eines beiderseitigen Eintretens an Stelle der Unfallversiche¬
rung hervorgehoben. Wenn man einwendet, daß der Arbeiter dadurch theilweise
einen Prämienbeitrag auch für haftpflichtige Fälle leiste, so liegt die Ausglei¬
chung in dem Umstände des concurrierenden Verschuldens; übrigens collidiert
ja auch die Selbstversicheruug des Arbeiters für alle Unfälle durchaus nicht
mit der besondern Haftpflichtversicherung des Arbeitgebers. Hält man fest, daß
beide die gemeinsame Verpflichtung haben dazu beizutragen, die Folgen der Un¬
fälle auszugleichen, so ist nicht abzusehen, weshalb die Interessenten ohne Noth
eines dritten bedürfen sollten, welcher, wie die Unfallversicherungs - Gesellschaft,
nicht deren gemeinsamen Vortheil, sondern nur das eigene Geschäftsinteresse ver¬
tritt. Die Industrie zahlt der Gesellschaft deren Geschäftsgewinn und empfängt
dafür lauter Nachtheile: langwierige Processe, Verhetzung und Unzufriedenheit
der Parteien. Die ganze Institution bewirkt, daß sowohl Arbeitgeber wie Arbeiter
das Interesse an einer sachgemäßen und gerechten Vertheilung der Unfallent¬
schädigungen einbüßen. Die erstem haben ihre Versicheruugsprämien bezahlt
und kümmern sich um den Verlauf der Sache nicht mehr, die letztern haben
gar nichts beigesteuert, es ist ihnen also gleichgiltig, ob eine völlig fremde und
fernstehende Versicherungs-Gesellschaft in gerechter oder ungerechter Weise einen


Gegenseitigkeit beruhenden Gesellschaft der Durchschnitt der Prämienbeiträge für
den Kopf: 1872 7,66 Mark, 1875 9,92 Mark, 1877 25,58 Mark. Am
1. October 1878 erließ die Allgemeine Unfallversicherungs - Bank in Leipzig
an ihre Mitglieder ein Circular, in welchem sie sagt, daß eine genauere
Statistik seit 1871 die Zahl der haftpflichtigen Unfälle als „eine erschreckend
große" herausgestellt habe, daß zugleich die Ansprüche der Arbeiter stets zuge¬
nommen hätten und die Auffassung der Gerichte immer schärfer geworden sei.
Dies alles belaste die Industrie ungemein. Abgesehen von den seltneren Un¬
fällen, welche durch höhere Gewalt oder Frivolität veranlaßt werden, trifft bei
den übrigen Unfällen sowohl den Arbeitgeber als auch den Arbeiter direct oder
indirect ein allgemeines Verschulden, und sollte dieses auch nur in den Conse-
quenzen gefunden werden, welche sich daraus ergeben, daß der erstere seinen
Mitmenschen der Gefahr aussetzt, und der letztere durch die Wahl seines Be¬
rufes sich in Gefahr begiebt. Gegenstand der meisten Haftpflichtproeesse ist denn
auch in der That das größere oder geringere Maß derjenigen Fehler und Un¬
gehörigkeiten, welches beide Parteien zu vertreten haben. Trotzdem trägt der
Arbeitgeber in der Praxis die Last der Unfallversicherung für den Arbeiter allein
und einseitig. In der Schweiz ist es dagegen beispielsweise üblich, daß auch
der Arbeiter obligatorisch im Arbeitsverträge gegen Tod oder Gauzinvalidität
aus einem Unfälle für eine Summe versichere, welche dem vierfachen Jahreslohn
entspricht. Ebenso wurde in der 20. Hauptversammlung deutscher Ingenieure
die Nothwendigkeit eines beiderseitigen Eintretens an Stelle der Unfallversiche¬
rung hervorgehoben. Wenn man einwendet, daß der Arbeiter dadurch theilweise
einen Prämienbeitrag auch für haftpflichtige Fälle leiste, so liegt die Ausglei¬
chung in dem Umstände des concurrierenden Verschuldens; übrigens collidiert
ja auch die Selbstversicheruug des Arbeiters für alle Unfälle durchaus nicht
mit der besondern Haftpflichtversicherung des Arbeitgebers. Hält man fest, daß
beide die gemeinsame Verpflichtung haben dazu beizutragen, die Folgen der Un¬
fälle auszugleichen, so ist nicht abzusehen, weshalb die Interessenten ohne Noth
eines dritten bedürfen sollten, welcher, wie die Unfallversicherungs - Gesellschaft,
nicht deren gemeinsamen Vortheil, sondern nur das eigene Geschäftsinteresse ver¬
tritt. Die Industrie zahlt der Gesellschaft deren Geschäftsgewinn und empfängt
dafür lauter Nachtheile: langwierige Processe, Verhetzung und Unzufriedenheit
der Parteien. Die ganze Institution bewirkt, daß sowohl Arbeitgeber wie Arbeiter
das Interesse an einer sachgemäßen und gerechten Vertheilung der Unfallent¬
schädigungen einbüßen. Die erstem haben ihre Versicheruugsprämien bezahlt
und kümmern sich um den Verlauf der Sache nicht mehr, die letztern haben
gar nichts beigesteuert, es ist ihnen also gleichgiltig, ob eine völlig fremde und
fernstehende Versicherungs-Gesellschaft in gerechter oder ungerechter Weise einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/316>, abgerufen am 28.12.2024.