Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.alten und häßlichen emsig über ihre Arbeit gebeugt sitzen, blicken die jungen Die Hyperaesthesie in England. Wer in der letzten Zeit den ?rmon, das englische Witzblatt, verfolgt hat, alten und häßlichen emsig über ihre Arbeit gebeugt sitzen, blicken die jungen Die Hyperaesthesie in England. Wer in der letzten Zeit den ?rmon, das englische Witzblatt, verfolgt hat, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0281" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147928"/> <p xml:id="ID_766" prev="#ID_765"> alten und häßlichen emsig über ihre Arbeit gebeugt sitzen, blicken die jungen<lb/> und hübschen den Besucher aus großen Augen neugierig und oft genug frech<lb/> an. Die schönen jungen Mütter aber rasten einen Augenblick, heben ihr Kind<lb/> zu sich empor und drücken es leidenschaftlich an die Brust; die einen in offen¬<lb/> barer, seliger Lust, die andern mit schlecht verhaltenem Schmerze. Das Ganze<lb/> erquickt nicht, aber es fesselt; es ist ein Studium für den Künstler und den<lb/> Psychologen, ein lebendiger Beitrag zur Volksgeschichte der Gegenwart.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Die Hyperaesthesie in England.</head><lb/> <p xml:id="ID_767" next="#ID_768"> Wer in der letzten Zeit den ?rmon, das englische Witzblatt, verfolgt hat,<lb/> dem wird' eine Reihe von höchst eigenartigen Karrikaturen des Mr. B. Du Mau-<lb/> rier nicht entgangen sein, die uns eine Reihe von hyperüsthetischen Gestalten<lb/> vorführen, welche gegenwärtig die Drü-vinA-rooms von Old-England bevölkern.<lb/> Sie heißen Cimabne Brown, Maudle und Postlethwaite und ernten als Maler,<lb/> Sänger, Dichter, Kunstkritiker die Bewunderung einer sie umgebenden Schaar<lb/> von Damen, welche in Bezug auf Garderobe barock, in Bezug auf ihre Aeuße¬<lb/> rungen bizarr und in Bezug auf ihren Teint im höchsten Grade ungesund er¬<lb/> scheinen. Ihre Muskulatur ist entweder auf ein Minimum reduciert oder<lb/> schwammig, und die Augen blicken einen an, wie die ausgebrannten Krater<lb/> des Mondes. Das sind die Führer und Adepten der sogenannten Ivtsirsit^<lb/> LoKool, die lebensähnlichen Abbilder einer Kunstclique, welche sich die Herrschaft<lb/> über den Geschmack des dixn-liks angemaßt hat und gegen welche sich nun<lb/> John Bull mit seiner Sehnsucht nach gesundem Sport, nach einem kräftigen<lb/> Roastbeef und dem guten alten Philisterthum erhebt. Anfangs hat er dem<lb/> ästhetischen Hexensabbath im Halbschlummer seiner Nachtischstimmung verwun¬<lb/> dert zugeschaut, bis ihm die Sache zu kitzlich wurde. Er Schnauze sich nunmehr<lb/> mit lautem Räuspern, wenn Cimabue seine letzten Verse über die „Zersetzung<lb/> der Seele in der Säure der Philosophie" hersäuselt, er stellt sich mit dem Rücken<lb/> gegen sein Kaminfeuer und gähnt, wenn Maudle seine neueste von Sehnsucht<lb/> oder „Intensität" zerfressene Nymphe entrollt, und er spricht von dem Preise<lb/> der Cerealien, wenn Postlethwaite die Vergänglichkeit alles Irdischen, das Hohle<lb/> des Ruhms, das Verächtliche des Reichthums und die Alleinberechtigung der<lb/> Liebe predigt — einer Liebe, welche wie lauwarmes Wasser nicht garkocht, son¬<lb/> dern nur auslangt, einer Liebe, wie sie Heine und Lenau cultivierten, von denen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0281]
alten und häßlichen emsig über ihre Arbeit gebeugt sitzen, blicken die jungen
und hübschen den Besucher aus großen Augen neugierig und oft genug frech
an. Die schönen jungen Mütter aber rasten einen Augenblick, heben ihr Kind
zu sich empor und drücken es leidenschaftlich an die Brust; die einen in offen¬
barer, seliger Lust, die andern mit schlecht verhaltenem Schmerze. Das Ganze
erquickt nicht, aber es fesselt; es ist ein Studium für den Künstler und den
Psychologen, ein lebendiger Beitrag zur Volksgeschichte der Gegenwart.
Die Hyperaesthesie in England.
Wer in der letzten Zeit den ?rmon, das englische Witzblatt, verfolgt hat,
dem wird' eine Reihe von höchst eigenartigen Karrikaturen des Mr. B. Du Mau-
rier nicht entgangen sein, die uns eine Reihe von hyperüsthetischen Gestalten
vorführen, welche gegenwärtig die Drü-vinA-rooms von Old-England bevölkern.
Sie heißen Cimabne Brown, Maudle und Postlethwaite und ernten als Maler,
Sänger, Dichter, Kunstkritiker die Bewunderung einer sie umgebenden Schaar
von Damen, welche in Bezug auf Garderobe barock, in Bezug auf ihre Aeuße¬
rungen bizarr und in Bezug auf ihren Teint im höchsten Grade ungesund er¬
scheinen. Ihre Muskulatur ist entweder auf ein Minimum reduciert oder
schwammig, und die Augen blicken einen an, wie die ausgebrannten Krater
des Mondes. Das sind die Führer und Adepten der sogenannten Ivtsirsit^
LoKool, die lebensähnlichen Abbilder einer Kunstclique, welche sich die Herrschaft
über den Geschmack des dixn-liks angemaßt hat und gegen welche sich nun
John Bull mit seiner Sehnsucht nach gesundem Sport, nach einem kräftigen
Roastbeef und dem guten alten Philisterthum erhebt. Anfangs hat er dem
ästhetischen Hexensabbath im Halbschlummer seiner Nachtischstimmung verwun¬
dert zugeschaut, bis ihm die Sache zu kitzlich wurde. Er Schnauze sich nunmehr
mit lautem Räuspern, wenn Cimabue seine letzten Verse über die „Zersetzung
der Seele in der Säure der Philosophie" hersäuselt, er stellt sich mit dem Rücken
gegen sein Kaminfeuer und gähnt, wenn Maudle seine neueste von Sehnsucht
oder „Intensität" zerfressene Nymphe entrollt, und er spricht von dem Preise
der Cerealien, wenn Postlethwaite die Vergänglichkeit alles Irdischen, das Hohle
des Ruhms, das Verächtliche des Reichthums und die Alleinberechtigung der
Liebe predigt — einer Liebe, welche wie lauwarmes Wasser nicht garkocht, son¬
dern nur auslangt, einer Liebe, wie sie Heine und Lenau cultivierten, von denen
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