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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Alhambra, als Nationalmuseum gezeigt zu werden, die obern Räumlichkeiten,
welche zum Bewohnen durch fürstliche Gäste eingerichtet sind und nur auf be¬
sondere Bitten und gegen ein besondres Trinkgeld geöffnet werden, und die
Gärten, in welche der Eintritt fast niemals verweigert wird. Wir haben alle
drei Abtheilungen mit Muße betrachtet. In den untern Räumen durften wir
frei umherwandeln, wurden aber von einem Aufseher beobachtet; durch die
obern Räume wurden wir ziemlich rasch hindurchgeführt; in den Gärten aber
ließ unser Begleiter uns freie Hand und half uns selbst, Myrthen, Rosen und
Orangenblüthen pflücken. Köstlich ist schon der Blick von oben auf diese Gärten;
köstlicher noch ist es, in ihren Gängen zu wandeln und ihre aromatischen Düfte
zu athmen. Die Hauptanlagen sind steif architektonisch stilisiert, wie das 16.
Jahrhundert es liebte: beschnittene Myrthenhecken fassen die mit Backsteinen
ausgelegten und theilweise mit Kacheln eingefaßten Wege ein. In einer Abthei¬
lung ist aus duftenden Myrthen ein ganzer Irrgarten gebildet. Im übrigen
aber umrahmen diese Hecken eine so südliche Fülle von Frucht- und Blüthen-
bäumen, wie man sie nur irgend träumen kann. Palmen und Bananen, Magno¬
lien und Lorbeerbäume, Feigen und Granaten, Orangen und Citronen wuchern
wild und üppig durcheinander. Rosen blühen an weitverzweigten Sträuchern
zu Füßen der schlanken Stämme. Nur noch vereinzelt glüht eine reife Orange
zwischen dem dunklen Laube der nunmehr von weißem Blüthenschiunner über-
gossenen Bäume. Es ist ein Duft, ein Glanz, ein Leben, daß man berauscht
in Hesperidengärten wandelt.

Den 1. April 1879. Auch unser Aufenthalt in Sevilla naht sich seinem
Ende. Wir wandelten daher heute mit besondrer Andacht durch die freundlichen
engen Straßen, von denen man in die reinlichen Höfe der niedrigen Häuser
hineinblickt, über die heitern, mit Akazien geschmückten und mit Trinkhallen be¬
setzten Plätze, an den mächtigen Massen des maurischen Alenzar, des gothischen
Domes und der platereskeu Casa de Ayuntamiento vorüber. Vor allen Dingen
aber besuchten wir heute die königliche Tabakfabrik: nicht ans Interesse an dem
schlechten Kraute, das hier zu Cigarren, Cigaretten und Schnupftabak verarbeitet
wird, sondern wegen des eigenthümlichen Anblicks, fünftausend andalusische Frauen
und Mädchen in Niesensälen bei der Arbeit sitzen zu sehen. Zu sechsen bis
achten sitzen sie hier an hölzernen Tischen. Regelrechte Schönheiten sind nur
wenige von ihnen. Die schlechte Luft und die anstrengende Arbeit erzeugen
blasse Gesichter und tiefliegende Augen. Aber fast alle diese zehntausend Augen
leuchten aus schwarzen Sternen in dunkler Gluth; in manchen liegt "ein Roman
von Lieb' und Leid verborgen"; und die Kinder, die gerade neben den Schönsten
in Tabakkörben liegen und schreien, sind lebendige Illustrationen solcher Romane.
Fast jeder dieser Tische wäre ein Bild für einen Genremaler. Während die


Alhambra, als Nationalmuseum gezeigt zu werden, die obern Räumlichkeiten,
welche zum Bewohnen durch fürstliche Gäste eingerichtet sind und nur auf be¬
sondere Bitten und gegen ein besondres Trinkgeld geöffnet werden, und die
Gärten, in welche der Eintritt fast niemals verweigert wird. Wir haben alle
drei Abtheilungen mit Muße betrachtet. In den untern Räumen durften wir
frei umherwandeln, wurden aber von einem Aufseher beobachtet; durch die
obern Räume wurden wir ziemlich rasch hindurchgeführt; in den Gärten aber
ließ unser Begleiter uns freie Hand und half uns selbst, Myrthen, Rosen und
Orangenblüthen pflücken. Köstlich ist schon der Blick von oben auf diese Gärten;
köstlicher noch ist es, in ihren Gängen zu wandeln und ihre aromatischen Düfte
zu athmen. Die Hauptanlagen sind steif architektonisch stilisiert, wie das 16.
Jahrhundert es liebte: beschnittene Myrthenhecken fassen die mit Backsteinen
ausgelegten und theilweise mit Kacheln eingefaßten Wege ein. In einer Abthei¬
lung ist aus duftenden Myrthen ein ganzer Irrgarten gebildet. Im übrigen
aber umrahmen diese Hecken eine so südliche Fülle von Frucht- und Blüthen-
bäumen, wie man sie nur irgend träumen kann. Palmen und Bananen, Magno¬
lien und Lorbeerbäume, Feigen und Granaten, Orangen und Citronen wuchern
wild und üppig durcheinander. Rosen blühen an weitverzweigten Sträuchern
zu Füßen der schlanken Stämme. Nur noch vereinzelt glüht eine reife Orange
zwischen dem dunklen Laube der nunmehr von weißem Blüthenschiunner über-
gossenen Bäume. Es ist ein Duft, ein Glanz, ein Leben, daß man berauscht
in Hesperidengärten wandelt.

Den 1. April 1879. Auch unser Aufenthalt in Sevilla naht sich seinem
Ende. Wir wandelten daher heute mit besondrer Andacht durch die freundlichen
engen Straßen, von denen man in die reinlichen Höfe der niedrigen Häuser
hineinblickt, über die heitern, mit Akazien geschmückten und mit Trinkhallen be¬
setzten Plätze, an den mächtigen Massen des maurischen Alenzar, des gothischen
Domes und der platereskeu Casa de Ayuntamiento vorüber. Vor allen Dingen
aber besuchten wir heute die königliche Tabakfabrik: nicht ans Interesse an dem
schlechten Kraute, das hier zu Cigarren, Cigaretten und Schnupftabak verarbeitet
wird, sondern wegen des eigenthümlichen Anblicks, fünftausend andalusische Frauen
und Mädchen in Niesensälen bei der Arbeit sitzen zu sehen. Zu sechsen bis
achten sitzen sie hier an hölzernen Tischen. Regelrechte Schönheiten sind nur
wenige von ihnen. Die schlechte Luft und die anstrengende Arbeit erzeugen
blasse Gesichter und tiefliegende Augen. Aber fast alle diese zehntausend Augen
leuchten aus schwarzen Sternen in dunkler Gluth; in manchen liegt „ein Roman
von Lieb' und Leid verborgen"; und die Kinder, die gerade neben den Schönsten
in Tabakkörben liegen und schreien, sind lebendige Illustrationen solcher Romane.
Fast jeder dieser Tische wäre ein Bild für einen Genremaler. Während die


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[0280] Alhambra, als Nationalmuseum gezeigt zu werden, die obern Räumlichkeiten, welche zum Bewohnen durch fürstliche Gäste eingerichtet sind und nur auf be¬ sondere Bitten und gegen ein besondres Trinkgeld geöffnet werden, und die Gärten, in welche der Eintritt fast niemals verweigert wird. Wir haben alle drei Abtheilungen mit Muße betrachtet. In den untern Räumen durften wir frei umherwandeln, wurden aber von einem Aufseher beobachtet; durch die obern Räume wurden wir ziemlich rasch hindurchgeführt; in den Gärten aber ließ unser Begleiter uns freie Hand und half uns selbst, Myrthen, Rosen und Orangenblüthen pflücken. Köstlich ist schon der Blick von oben auf diese Gärten; köstlicher noch ist es, in ihren Gängen zu wandeln und ihre aromatischen Düfte zu athmen. Die Hauptanlagen sind steif architektonisch stilisiert, wie das 16. Jahrhundert es liebte: beschnittene Myrthenhecken fassen die mit Backsteinen ausgelegten und theilweise mit Kacheln eingefaßten Wege ein. In einer Abthei¬ lung ist aus duftenden Myrthen ein ganzer Irrgarten gebildet. Im übrigen aber umrahmen diese Hecken eine so südliche Fülle von Frucht- und Blüthen- bäumen, wie man sie nur irgend träumen kann. Palmen und Bananen, Magno¬ lien und Lorbeerbäume, Feigen und Granaten, Orangen und Citronen wuchern wild und üppig durcheinander. Rosen blühen an weitverzweigten Sträuchern zu Füßen der schlanken Stämme. Nur noch vereinzelt glüht eine reife Orange zwischen dem dunklen Laube der nunmehr von weißem Blüthenschiunner über- gossenen Bäume. Es ist ein Duft, ein Glanz, ein Leben, daß man berauscht in Hesperidengärten wandelt. Den 1. April 1879. Auch unser Aufenthalt in Sevilla naht sich seinem Ende. Wir wandelten daher heute mit besondrer Andacht durch die freundlichen engen Straßen, von denen man in die reinlichen Höfe der niedrigen Häuser hineinblickt, über die heitern, mit Akazien geschmückten und mit Trinkhallen be¬ setzten Plätze, an den mächtigen Massen des maurischen Alenzar, des gothischen Domes und der platereskeu Casa de Ayuntamiento vorüber. Vor allen Dingen aber besuchten wir heute die königliche Tabakfabrik: nicht ans Interesse an dem schlechten Kraute, das hier zu Cigarren, Cigaretten und Schnupftabak verarbeitet wird, sondern wegen des eigenthümlichen Anblicks, fünftausend andalusische Frauen und Mädchen in Niesensälen bei der Arbeit sitzen zu sehen. Zu sechsen bis achten sitzen sie hier an hölzernen Tischen. Regelrechte Schönheiten sind nur wenige von ihnen. Die schlechte Luft und die anstrengende Arbeit erzeugen blasse Gesichter und tiefliegende Augen. Aber fast alle diese zehntausend Augen leuchten aus schwarzen Sternen in dunkler Gluth; in manchen liegt „ein Roman von Lieb' und Leid verborgen"; und die Kinder, die gerade neben den Schönsten in Tabakkörben liegen und schreien, sind lebendige Illustrationen solcher Romane. Fast jeder dieser Tische wäre ein Bild für einen Genremaler. Während die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/280>, abgerufen am 28.12.2024.