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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Standpunkte der Bildnißmalerei aus augesehen, hatte Rembrandt die Willkür,
mit der er das biedere "Schtttzenstück" in eine höhere, geistige Sphäre entrückte,
übertrieben.

Die Nachwelt aber kennt die dargestellten Männer nicht. Die Nachwelt
will das Kunstwerk als solches bewundern, einerlei, was es darstellt. Die
Nachwelt zollt dem prächtigen, klaren, in der Einheit des Tones doch nicht nur
hinter Rembrandt, sondern auch hinter Frans Hals weit zurückbleibenden Por¬
trätstücke van der Helsts seine volle Bewunderung; aber vor Rembrandts Bild
gerens sie in Schwärmerei und Entzücken. Rembrandt hat das Schützeustück
in ein Zaubermärchen voll dramatischer Leidenschaft und phantastischer Farben-
Poesie verwandelt. Er hat den Schützenzug geheimnißvoll und festlich behandelt,
als sei es ein Zug von Magiern aus dem Morgenlande, die zur Anbetung des
menschgewordenen Mysteriums ziehen. Er hat sich hier, wo es nicht im Sinne
seiner Auftraggeber lag, als ein ebenso subjektiver Idealist bewährt wie in allen
seinen übrigen, aus der biblischen Geschichte, der Mythologie oder der Phantasie
geschöpften Werken. Als er seine "Anatomie" malte, war er, im Vergleich zu
seiner späteren Zeit, noch ganz Realist. Ein Franzose nennt den Rembrandt
der "Nachtwache" im Verhältniß zu dem Rembrandt der "Anatomie" den visionären
Rembrandt. Visionär in diesem Sinne ist er in allen seinen Bildern, in denen
er sich zu seiner eigensten Eigenheit entwickelt zeigt. Die Kritiker, welche ihn
wegen seiner ans tägliche Leben sich anschließenden Formengebung -- auch in
seinen Historienbildern -- einfach zu den Realisten stellen, wissen nicht, was sie
thun. In der Komposition und in der Farbengebung ist Rembrandt immer
Idealist. Alles in Allem genommen, ist er in seiner Sphäre ein ebenso sub¬
jektiver Idealist wie Michel Angelo in der seinen. Seine Nachahmung führte
daher auch gerade so zum Manierismus wie die Nachahmung Michel Angelos.
Uns aber packt er wie Michel Angelo mit mächtigerer Magie noch als die
Meister, die uns die Dinge so zeigen, wie sie sind. Himmel und Hölle kennen
wir nicht. Zwischen Himmel und Erde ist aber das gewaltigste, was es giebt,
em gewaltiger Menschengeist. Indem ein solcher Geist uns die Welt zeigt, wie
^ sie sich neuschasft, gewährt er uns die höchste geistige Lust, die es giebt.




Gute Leute, schlechte Musikanten.

Daß es dem frommen Rama zum Heil gediehen ist, als er sich im Kriege
wider den wilden Rawana mit Hanuman dem Affenkaiser und seinem Affen-


Grenzboten IV. 1880. 31

Standpunkte der Bildnißmalerei aus augesehen, hatte Rembrandt die Willkür,
mit der er das biedere „Schtttzenstück" in eine höhere, geistige Sphäre entrückte,
übertrieben.

Die Nachwelt aber kennt die dargestellten Männer nicht. Die Nachwelt
will das Kunstwerk als solches bewundern, einerlei, was es darstellt. Die
Nachwelt zollt dem prächtigen, klaren, in der Einheit des Tones doch nicht nur
hinter Rembrandt, sondern auch hinter Frans Hals weit zurückbleibenden Por¬
trätstücke van der Helsts seine volle Bewunderung; aber vor Rembrandts Bild
gerens sie in Schwärmerei und Entzücken. Rembrandt hat das Schützeustück
in ein Zaubermärchen voll dramatischer Leidenschaft und phantastischer Farben-
Poesie verwandelt. Er hat den Schützenzug geheimnißvoll und festlich behandelt,
als sei es ein Zug von Magiern aus dem Morgenlande, die zur Anbetung des
menschgewordenen Mysteriums ziehen. Er hat sich hier, wo es nicht im Sinne
seiner Auftraggeber lag, als ein ebenso subjektiver Idealist bewährt wie in allen
seinen übrigen, aus der biblischen Geschichte, der Mythologie oder der Phantasie
geschöpften Werken. Als er seine „Anatomie" malte, war er, im Vergleich zu
seiner späteren Zeit, noch ganz Realist. Ein Franzose nennt den Rembrandt
der „Nachtwache" im Verhältniß zu dem Rembrandt der „Anatomie" den visionären
Rembrandt. Visionär in diesem Sinne ist er in allen seinen Bildern, in denen
er sich zu seiner eigensten Eigenheit entwickelt zeigt. Die Kritiker, welche ihn
wegen seiner ans tägliche Leben sich anschließenden Formengebung — auch in
seinen Historienbildern — einfach zu den Realisten stellen, wissen nicht, was sie
thun. In der Komposition und in der Farbengebung ist Rembrandt immer
Idealist. Alles in Allem genommen, ist er in seiner Sphäre ein ebenso sub¬
jektiver Idealist wie Michel Angelo in der seinen. Seine Nachahmung führte
daher auch gerade so zum Manierismus wie die Nachahmung Michel Angelos.
Uns aber packt er wie Michel Angelo mit mächtigerer Magie noch als die
Meister, die uns die Dinge so zeigen, wie sie sind. Himmel und Hölle kennen
wir nicht. Zwischen Himmel und Erde ist aber das gewaltigste, was es giebt,
em gewaltiger Menschengeist. Indem ein solcher Geist uns die Welt zeigt, wie
^ sie sich neuschasft, gewährt er uns die höchste geistige Lust, die es giebt.




Gute Leute, schlechte Musikanten.

Daß es dem frommen Rama zum Heil gediehen ist, als er sich im Kriege
wider den wilden Rawana mit Hanuman dem Affenkaiser und seinem Affen-


Grenzboten IV. 1880. 31
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[0241] Standpunkte der Bildnißmalerei aus augesehen, hatte Rembrandt die Willkür, mit der er das biedere „Schtttzenstück" in eine höhere, geistige Sphäre entrückte, übertrieben. Die Nachwelt aber kennt die dargestellten Männer nicht. Die Nachwelt will das Kunstwerk als solches bewundern, einerlei, was es darstellt. Die Nachwelt zollt dem prächtigen, klaren, in der Einheit des Tones doch nicht nur hinter Rembrandt, sondern auch hinter Frans Hals weit zurückbleibenden Por¬ trätstücke van der Helsts seine volle Bewunderung; aber vor Rembrandts Bild gerens sie in Schwärmerei und Entzücken. Rembrandt hat das Schützeustück in ein Zaubermärchen voll dramatischer Leidenschaft und phantastischer Farben- Poesie verwandelt. Er hat den Schützenzug geheimnißvoll und festlich behandelt, als sei es ein Zug von Magiern aus dem Morgenlande, die zur Anbetung des menschgewordenen Mysteriums ziehen. Er hat sich hier, wo es nicht im Sinne seiner Auftraggeber lag, als ein ebenso subjektiver Idealist bewährt wie in allen seinen übrigen, aus der biblischen Geschichte, der Mythologie oder der Phantasie geschöpften Werken. Als er seine „Anatomie" malte, war er, im Vergleich zu seiner späteren Zeit, noch ganz Realist. Ein Franzose nennt den Rembrandt der „Nachtwache" im Verhältniß zu dem Rembrandt der „Anatomie" den visionären Rembrandt. Visionär in diesem Sinne ist er in allen seinen Bildern, in denen er sich zu seiner eigensten Eigenheit entwickelt zeigt. Die Kritiker, welche ihn wegen seiner ans tägliche Leben sich anschließenden Formengebung — auch in seinen Historienbildern — einfach zu den Realisten stellen, wissen nicht, was sie thun. In der Komposition und in der Farbengebung ist Rembrandt immer Idealist. Alles in Allem genommen, ist er in seiner Sphäre ein ebenso sub¬ jektiver Idealist wie Michel Angelo in der seinen. Seine Nachahmung führte daher auch gerade so zum Manierismus wie die Nachahmung Michel Angelos. Uns aber packt er wie Michel Angelo mit mächtigerer Magie noch als die Meister, die uns die Dinge so zeigen, wie sie sind. Himmel und Hölle kennen wir nicht. Zwischen Himmel und Erde ist aber das gewaltigste, was es giebt, em gewaltiger Menschengeist. Indem ein solcher Geist uns die Welt zeigt, wie ^ sie sich neuschasft, gewährt er uns die höchste geistige Lust, die es giebt. Gute Leute, schlechte Musikanten. Daß es dem frommen Rama zum Heil gediehen ist, als er sich im Kriege wider den wilden Rawana mit Hanuman dem Affenkaiser und seinem Affen- Grenzboten IV. 1880. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/241>, abgerufen am 27.12.2024.