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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Wer Heuer in die sonst so warme Provence zog, um der winterlichen Heimat
zu entfliehen, der hat es schlecht getroffen. Auch im Lande der Troubadours
ist es diesen Winter kalt, und hie und da fällt sogar zur willkommenen Unter¬
haltung lärmender Gamins Schnee in großen Flocken. Schon seit Ende No¬
vember spielt frostige Luft um die mattgrünen Oelbaumzweige, in allen Rinn¬
salen steht dickes Eis hart neben weißem Straßenstaub, und kürzlich wäre beinahe
der Rhone an der Mündung ins Mittelmeer zugefroren. Was aber schlimmer
ist als das Frösteln der Menschen am ungenügenden, rauchigen Kamin, das
ist der Stand der Saaten. Sonst war im Januar hier alles grün vom sprossenden
Getreide, aus allen Feldern standen die verschiedenen Kohl- und Salatarten,
die Artischoken und Karden; diesmal aber nichts als rothe, steinige Erde, denn das
Getreide ist erfroren, und alles was grün war, liegt todt am Boden. Trauriger
Anblick, um so trauriger für den, der das sonst so üppige Land schon vor
Jahren gesehen. Der bekannte "älteste Mann" weiß sich an eine so andauernde
Kälte nicht zu erinnern.

In Lyon war Mitte des Monats dichter Nebel und Schnee gewesen, die
Saone glich einem Gletscher; erst als in Montelimar mit den ersten Oelbäumen
und immergrünen Eichen ein stahlblauer Morgenhimmel und eine helle Sonne
den Rhone - abwärts brausenden Train begrüßte, thaute auch das eingefrorene
nordische Herz auf. Aber wie öde gegen sonst sah das Land aus!

In der That hat die Vaucluse in den letzten Jahren fast alle ihre schein¬
bar unerschöpflichen Hilfsmittel versiegen sehen. Da war zuerst in den sechziger
Jahren die Reblaus, welche die weiten Weingelände in steinige Wüsten ver¬
wandelte. Fast eine Million Hektoliter feurigen Weines, darunter der hoch¬
gefeierte OlMsÄu vsrck an, ging damit verloren. Heute stehen aber auch
schon die oötss drulüss und die Hermitage weiter oben im Rhonethale ohne
Reben. Dann kam die Masseneinfuhr der japanischen und chinesischen Seiden
und ruinirte in Verbindung mit der auf die feinen Wollstoffe sich werfenden
Mode die Seidenzucht des Landes. Die Filatnres stehen seit Jahren leer, und
Kapital und Arbeit sind verloren. Endlich noch der schwerste Schlag, weil er
den Ackerbauer und Großgrundbesitzer am empfindlichsten traf: Die Erfindung
des künstlichen Alizarin, des purpurnen Farbstoffes der Steinkohlenabfälle, das
den eigentlichen Reichthum des Landes, den Anbau der Krappwurzel, eine sichere
und hohe Bodenrenke, die vorläufig durch nichts zu ersetzen ist, vernichtete. Daß
gerade ein kruLsisn das Alizarin entdecken mußte, erscheint den ruinirten Bauern,


Wer Heuer in die sonst so warme Provence zog, um der winterlichen Heimat
zu entfliehen, der hat es schlecht getroffen. Auch im Lande der Troubadours
ist es diesen Winter kalt, und hie und da fällt sogar zur willkommenen Unter¬
haltung lärmender Gamins Schnee in großen Flocken. Schon seit Ende No¬
vember spielt frostige Luft um die mattgrünen Oelbaumzweige, in allen Rinn¬
salen steht dickes Eis hart neben weißem Straßenstaub, und kürzlich wäre beinahe
der Rhone an der Mündung ins Mittelmeer zugefroren. Was aber schlimmer
ist als das Frösteln der Menschen am ungenügenden, rauchigen Kamin, das
ist der Stand der Saaten. Sonst war im Januar hier alles grün vom sprossenden
Getreide, aus allen Feldern standen die verschiedenen Kohl- und Salatarten,
die Artischoken und Karden; diesmal aber nichts als rothe, steinige Erde, denn das
Getreide ist erfroren, und alles was grün war, liegt todt am Boden. Trauriger
Anblick, um so trauriger für den, der das sonst so üppige Land schon vor
Jahren gesehen. Der bekannte „älteste Mann" weiß sich an eine so andauernde
Kälte nicht zu erinnern.

In Lyon war Mitte des Monats dichter Nebel und Schnee gewesen, die
Saone glich einem Gletscher; erst als in Montelimar mit den ersten Oelbäumen
und immergrünen Eichen ein stahlblauer Morgenhimmel und eine helle Sonne
den Rhone - abwärts brausenden Train begrüßte, thaute auch das eingefrorene
nordische Herz auf. Aber wie öde gegen sonst sah das Land aus!

In der That hat die Vaucluse in den letzten Jahren fast alle ihre schein¬
bar unerschöpflichen Hilfsmittel versiegen sehen. Da war zuerst in den sechziger
Jahren die Reblaus, welche die weiten Weingelände in steinige Wüsten ver¬
wandelte. Fast eine Million Hektoliter feurigen Weines, darunter der hoch¬
gefeierte OlMsÄu vsrck an, ging damit verloren. Heute stehen aber auch
schon die oötss drulüss und die Hermitage weiter oben im Rhonethale ohne
Reben. Dann kam die Masseneinfuhr der japanischen und chinesischen Seiden
und ruinirte in Verbindung mit der auf die feinen Wollstoffe sich werfenden
Mode die Seidenzucht des Landes. Die Filatnres stehen seit Jahren leer, und
Kapital und Arbeit sind verloren. Endlich noch der schwerste Schlag, weil er
den Ackerbauer und Großgrundbesitzer am empfindlichsten traf: Die Erfindung
des künstlichen Alizarin, des purpurnen Farbstoffes der Steinkohlenabfälle, das
den eigentlichen Reichthum des Landes, den Anbau der Krappwurzel, eine sichere
und hohe Bodenrenke, die vorläufig durch nichts zu ersetzen ist, vernichtete. Daß
gerade ein kruLsisn das Alizarin entdecken mußte, erscheint den ruinirten Bauern,


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[0352] Wer Heuer in die sonst so warme Provence zog, um der winterlichen Heimat zu entfliehen, der hat es schlecht getroffen. Auch im Lande der Troubadours ist es diesen Winter kalt, und hie und da fällt sogar zur willkommenen Unter¬ haltung lärmender Gamins Schnee in großen Flocken. Schon seit Ende No¬ vember spielt frostige Luft um die mattgrünen Oelbaumzweige, in allen Rinn¬ salen steht dickes Eis hart neben weißem Straßenstaub, und kürzlich wäre beinahe der Rhone an der Mündung ins Mittelmeer zugefroren. Was aber schlimmer ist als das Frösteln der Menschen am ungenügenden, rauchigen Kamin, das ist der Stand der Saaten. Sonst war im Januar hier alles grün vom sprossenden Getreide, aus allen Feldern standen die verschiedenen Kohl- und Salatarten, die Artischoken und Karden; diesmal aber nichts als rothe, steinige Erde, denn das Getreide ist erfroren, und alles was grün war, liegt todt am Boden. Trauriger Anblick, um so trauriger für den, der das sonst so üppige Land schon vor Jahren gesehen. Der bekannte „älteste Mann" weiß sich an eine so andauernde Kälte nicht zu erinnern. In Lyon war Mitte des Monats dichter Nebel und Schnee gewesen, die Saone glich einem Gletscher; erst als in Montelimar mit den ersten Oelbäumen und immergrünen Eichen ein stahlblauer Morgenhimmel und eine helle Sonne den Rhone - abwärts brausenden Train begrüßte, thaute auch das eingefrorene nordische Herz auf. Aber wie öde gegen sonst sah das Land aus! In der That hat die Vaucluse in den letzten Jahren fast alle ihre schein¬ bar unerschöpflichen Hilfsmittel versiegen sehen. Da war zuerst in den sechziger Jahren die Reblaus, welche die weiten Weingelände in steinige Wüsten ver¬ wandelte. Fast eine Million Hektoliter feurigen Weines, darunter der hoch¬ gefeierte OlMsÄu vsrck an, ging damit verloren. Heute stehen aber auch schon die oötss drulüss und die Hermitage weiter oben im Rhonethale ohne Reben. Dann kam die Masseneinfuhr der japanischen und chinesischen Seiden und ruinirte in Verbindung mit der auf die feinen Wollstoffe sich werfenden Mode die Seidenzucht des Landes. Die Filatnres stehen seit Jahren leer, und Kapital und Arbeit sind verloren. Endlich noch der schwerste Schlag, weil er den Ackerbauer und Großgrundbesitzer am empfindlichsten traf: Die Erfindung des künstlichen Alizarin, des purpurnen Farbstoffes der Steinkohlenabfälle, das den eigentlichen Reichthum des Landes, den Anbau der Krappwurzel, eine sichere und hohe Bodenrenke, die vorläufig durch nichts zu ersetzen ist, vernichtete. Daß gerade ein kruLsisn das Alizarin entdecken mußte, erscheint den ruinirten Bauern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/352>, abgerufen am 22.07.2024.