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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Deutsche Dichtung im Liede.

Unter diesem Titel hat vor wenigen Wochen Professor Jmelmcmn vom
Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin eine höchst interessante Anthologie
herausgegeben. Dieselbe umsaßt fünf und ein halb Hundert deutscher Gedichte
und Gedichttheile, die selbst wieder deutsche Dichtung und deutsche Dichter zum
Gegenstande haben, also eine Art Geschichte unsrer poetischen Nationalliteratur
aus dem eignen Munde unsrer Dichter.*)

Der Gedanke, der dieser Sammlung zu Grunde liegt, ist an sich nicht neu.
Petri's "Eichenkrüuze" (Wiesbaden, 1827) und Krögers "Ehrentempel Deutschlands"
(Altona, 1835), Klette's "Deutsche Geschichte in Liedern, Romanzen, Balladen
und Erzählungen deutscher Dichter" (Berlin, 1846) und Grube's "Deutsche Ge¬
schichte in deutschen Gedichten" (Leipzig, 1850), Zimmermanns "Geschichte der
Deutschen in poetischen Darstellungen" (Erlangen, 1855) und Wagners "Poetische
Geschichte der Deutschen" (Darmstadt, 1858), endlich F. Jos. Scherers "Deutsch¬
land im Liede" (Paderborn, 1876) --- dies alles sind Sammlungen von
Gedichten, in denen lediglich Gestalten und Ereignisse der vaterländischen Ge¬
schichte besungen werden. Selbst auf die allgemeine Weltgeschichte ist der
Gedanke wiederholt ausgedehnt worden, zuletzt noch in K. W. Bindewalds
"Poetischer Weltgeschichte" (Frankfurt a. M., 1872), und sogar für die Erdkunde
ist eine ähnliche Anthologie zusammengestellt worden von Rob. v. Schlagintweit
in seinen "Poetischen Bildern aus allen Theilen der Erde" (Soest, 1869).
Andrerseits 'ist die Idee aber auch bereits beschränkt worden auf die deutsche
Literaturgeschichte. Wie der Herausgeber der vorliegenden Sammlung selber
mittheilt, hat er in Ferdinand Freiligrath und der zweiten Abtheilung von dessen
poetischem Sammelwerke "Dichtung und Dichter" (Dessau, 1854) schon einen
Vorgänger gehabt.

Dennoch bietet unsre Sammlung etwas durchaus Neues, wenn wir einerseits
die erstaunliche Fülle, andrerseits den Werth und Gehalt des Gebotenen berück¬
sichtigen. Vom Nibelungenliede an bis in die Dichtung unsrer Tage herein haben
wir hier einen Chor von poetischen Stimmen, Urtheilen, Erwähnungen vor uns,
in dein die gesammte Entwicklung unsrer poetischen Nationalliteratur sich wieder¬
spiegelt. Namentlich von den Minnesingern, vom Zeitalter Gottfrieds von
Straßburg und Rudolfs von Eins an lasten sich, wie der Herausgeber selbst



*) Deutsche Dichtung im Liede. Gedichte literaturgeschichtlichen Inhalts ge¬
sammelt und mit Anmerkungen begleitet von or. I, Jmelmann, Prof. am tgi. Joachims¬
thalschen Gymnasium in Berlin. Berlin, Weidmann, 1880.
Deutsche Dichtung im Liede.

Unter diesem Titel hat vor wenigen Wochen Professor Jmelmcmn vom
Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin eine höchst interessante Anthologie
herausgegeben. Dieselbe umsaßt fünf und ein halb Hundert deutscher Gedichte
und Gedichttheile, die selbst wieder deutsche Dichtung und deutsche Dichter zum
Gegenstande haben, also eine Art Geschichte unsrer poetischen Nationalliteratur
aus dem eignen Munde unsrer Dichter.*)

Der Gedanke, der dieser Sammlung zu Grunde liegt, ist an sich nicht neu.
Petri's „Eichenkrüuze" (Wiesbaden, 1827) und Krögers „Ehrentempel Deutschlands"
(Altona, 1835), Klette's „Deutsche Geschichte in Liedern, Romanzen, Balladen
und Erzählungen deutscher Dichter" (Berlin, 1846) und Grube's „Deutsche Ge¬
schichte in deutschen Gedichten" (Leipzig, 1850), Zimmermanns „Geschichte der
Deutschen in poetischen Darstellungen" (Erlangen, 1855) und Wagners „Poetische
Geschichte der Deutschen" (Darmstadt, 1858), endlich F. Jos. Scherers „Deutsch¬
land im Liede" (Paderborn, 1876) —- dies alles sind Sammlungen von
Gedichten, in denen lediglich Gestalten und Ereignisse der vaterländischen Ge¬
schichte besungen werden. Selbst auf die allgemeine Weltgeschichte ist der
Gedanke wiederholt ausgedehnt worden, zuletzt noch in K. W. Bindewalds
„Poetischer Weltgeschichte" (Frankfurt a. M., 1872), und sogar für die Erdkunde
ist eine ähnliche Anthologie zusammengestellt worden von Rob. v. Schlagintweit
in seinen „Poetischen Bildern aus allen Theilen der Erde" (Soest, 1869).
Andrerseits 'ist die Idee aber auch bereits beschränkt worden auf die deutsche
Literaturgeschichte. Wie der Herausgeber der vorliegenden Sammlung selber
mittheilt, hat er in Ferdinand Freiligrath und der zweiten Abtheilung von dessen
poetischem Sammelwerke „Dichtung und Dichter" (Dessau, 1854) schon einen
Vorgänger gehabt.

Dennoch bietet unsre Sammlung etwas durchaus Neues, wenn wir einerseits
die erstaunliche Fülle, andrerseits den Werth und Gehalt des Gebotenen berück¬
sichtigen. Vom Nibelungenliede an bis in die Dichtung unsrer Tage herein haben
wir hier einen Chor von poetischen Stimmen, Urtheilen, Erwähnungen vor uns,
in dein die gesammte Entwicklung unsrer poetischen Nationalliteratur sich wieder¬
spiegelt. Namentlich von den Minnesingern, vom Zeitalter Gottfrieds von
Straßburg und Rudolfs von Eins an lasten sich, wie der Herausgeber selbst



*) Deutsche Dichtung im Liede. Gedichte literaturgeschichtlichen Inhalts ge¬
sammelt und mit Anmerkungen begleitet von or. I, Jmelmann, Prof. am tgi. Joachims¬
thalschen Gymnasium in Berlin. Berlin, Weidmann, 1880.
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[0247] Deutsche Dichtung im Liede. Unter diesem Titel hat vor wenigen Wochen Professor Jmelmcmn vom Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin eine höchst interessante Anthologie herausgegeben. Dieselbe umsaßt fünf und ein halb Hundert deutscher Gedichte und Gedichttheile, die selbst wieder deutsche Dichtung und deutsche Dichter zum Gegenstande haben, also eine Art Geschichte unsrer poetischen Nationalliteratur aus dem eignen Munde unsrer Dichter.*) Der Gedanke, der dieser Sammlung zu Grunde liegt, ist an sich nicht neu. Petri's „Eichenkrüuze" (Wiesbaden, 1827) und Krögers „Ehrentempel Deutschlands" (Altona, 1835), Klette's „Deutsche Geschichte in Liedern, Romanzen, Balladen und Erzählungen deutscher Dichter" (Berlin, 1846) und Grube's „Deutsche Ge¬ schichte in deutschen Gedichten" (Leipzig, 1850), Zimmermanns „Geschichte der Deutschen in poetischen Darstellungen" (Erlangen, 1855) und Wagners „Poetische Geschichte der Deutschen" (Darmstadt, 1858), endlich F. Jos. Scherers „Deutsch¬ land im Liede" (Paderborn, 1876) —- dies alles sind Sammlungen von Gedichten, in denen lediglich Gestalten und Ereignisse der vaterländischen Ge¬ schichte besungen werden. Selbst auf die allgemeine Weltgeschichte ist der Gedanke wiederholt ausgedehnt worden, zuletzt noch in K. W. Bindewalds „Poetischer Weltgeschichte" (Frankfurt a. M., 1872), und sogar für die Erdkunde ist eine ähnliche Anthologie zusammengestellt worden von Rob. v. Schlagintweit in seinen „Poetischen Bildern aus allen Theilen der Erde" (Soest, 1869). Andrerseits 'ist die Idee aber auch bereits beschränkt worden auf die deutsche Literaturgeschichte. Wie der Herausgeber der vorliegenden Sammlung selber mittheilt, hat er in Ferdinand Freiligrath und der zweiten Abtheilung von dessen poetischem Sammelwerke „Dichtung und Dichter" (Dessau, 1854) schon einen Vorgänger gehabt. Dennoch bietet unsre Sammlung etwas durchaus Neues, wenn wir einerseits die erstaunliche Fülle, andrerseits den Werth und Gehalt des Gebotenen berück¬ sichtigen. Vom Nibelungenliede an bis in die Dichtung unsrer Tage herein haben wir hier einen Chor von poetischen Stimmen, Urtheilen, Erwähnungen vor uns, in dein die gesammte Entwicklung unsrer poetischen Nationalliteratur sich wieder¬ spiegelt. Namentlich von den Minnesingern, vom Zeitalter Gottfrieds von Straßburg und Rudolfs von Eins an lasten sich, wie der Herausgeber selbst *) Deutsche Dichtung im Liede. Gedichte literaturgeschichtlichen Inhalts ge¬ sammelt und mit Anmerkungen begleitet von or. I, Jmelmann, Prof. am tgi. Joachims¬ thalschen Gymnasium in Berlin. Berlin, Weidmann, 1880.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/247>, abgerufen am 03.07.2024.