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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Literatur.
Entwickelung und Gestaltung des Heeres-Sanitätswesens der euro¬
päischen Staaten. Von Major Emil Knorr. Hannover, Helwing'sche Verlags¬
buchhandlung, 1880.

Wenn ein Soldat von Fach es in die Hand nimmt, eine Geschichte des
Heeres-Sanitätswesens zu schreiben, so hat der Arzt von Fach unwillkürlich die
Befürchtung, daß die ärztlichen Fragen zu Gunsten der militärischen in den
Hintergrund treten werden. Diese Befürchtung wäre jedoch für obiges Buch
eine ungerechtfertigte. Selten werden wir bei einem Soldaten einer so vorur-
theilsfreien, man möchte fast sagen wohlwollenden Kritik des ärztlichen Standes,
soweit er in Beziehungen zum Heere tritt, begegnen. Besonders bemerkenswerth
tritt dies bei dem Urtheile über die zur Zeit geltende Einrichtung im Sanitäts¬
wesen des deutschen Heeres hervor. Referent, der selbst in einem Sanitäts-
detachement den Krieg 1870--71 mitmachte, hat sich gefreut, an verschiedenen
Stellen auf betrübende Erfahrungen hingewiesen zu sehen, die durch die Coor-
dination des militärischen Leiters und des ärztlichen Leiters wiederholt entstan¬
den waren und entstehen mußten. Combination bedingt Reibung, die nur durch
Subordination gehoben werden kann. Dieser Grundsatz, der in der deutschen
Heeresorganisation allseitig zur principiellen Geltung gekommen ist, hat nur
noch im Heeres-Sanitätswesen einige Ausnahmen aufzuweisen, die ihren Grund
wohl in einer wenig günstigen Beurtheilung der militärischen Fähigkeiten der
Militärärzte finden.

Der geschichtliche Theil des vorliegenden Werkes zeugt von einem immen¬
sen Fleiße. Die Schilderungen der allmählichen Entwicklung des Sanitäts¬
wesens der einzelnen Staaten bis zu seiner jetzigen Höhe sind höchst anziehend.
An der Spitze marschirt unstreitig Deutschland, wiewohl der Verfasser auch hier
noch viele Punkte zu betonen hat, die einer Besserung dringend bedürfen. Gar
keine Organisation eines militärärztlichen Standes finden' wir in Montenegro,
wo überhaupt keine Militärärzte existiren.

Aus der Vorrede ersehen wir, wie vorzüglich der Verfasser mit authenti¬
schen Quellenmateriale unterstützt worden ist/ Die hervorragendsten Namen
des militärischen und ärztlichen Standes aller Staaten haben sich durch Bei¬
träge betheiligt. -- Das Buch ist der Kaiserin August" gewidmet.


Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Ge¬
sammelt und nacherzählt von E. Veckenstedt. Graz, Lenschner K Lnbensky,
1880.

Nirgends hat man so eifrig und mit so gutem Erfolge nach dein Beispiele
der Grimms die Reste der alten Religion und Mythologie gesammelt als in Deutsch¬
land, und noch immer wird neues Material zusammengebracht und veröffentlicht,
darunter vieles, was auch neues Licht auf das bereits Gewonnene wirft und des¬
halb willkommen genannt werden muß. Dahin gehört mit einem nicht kleinen
Theile seines Inhalts auch das obige Buch, obwohl wir ihm den außerordent¬
lichen Werth für die Wissenschaft, den ihm das Vorwort zuschreibt, nicht beilegen
können, wie uns denn überhaupt der pathetische Ton, den der Verfasser dort an-


Literatur.
Entwickelung und Gestaltung des Heeres-Sanitätswesens der euro¬
päischen Staaten. Von Major Emil Knorr. Hannover, Helwing'sche Verlags¬
buchhandlung, 1880.

Wenn ein Soldat von Fach es in die Hand nimmt, eine Geschichte des
Heeres-Sanitätswesens zu schreiben, so hat der Arzt von Fach unwillkürlich die
Befürchtung, daß die ärztlichen Fragen zu Gunsten der militärischen in den
Hintergrund treten werden. Diese Befürchtung wäre jedoch für obiges Buch
eine ungerechtfertigte. Selten werden wir bei einem Soldaten einer so vorur-
theilsfreien, man möchte fast sagen wohlwollenden Kritik des ärztlichen Standes,
soweit er in Beziehungen zum Heere tritt, begegnen. Besonders bemerkenswerth
tritt dies bei dem Urtheile über die zur Zeit geltende Einrichtung im Sanitäts¬
wesen des deutschen Heeres hervor. Referent, der selbst in einem Sanitäts-
detachement den Krieg 1870—71 mitmachte, hat sich gefreut, an verschiedenen
Stellen auf betrübende Erfahrungen hingewiesen zu sehen, die durch die Coor-
dination des militärischen Leiters und des ärztlichen Leiters wiederholt entstan¬
den waren und entstehen mußten. Combination bedingt Reibung, die nur durch
Subordination gehoben werden kann. Dieser Grundsatz, der in der deutschen
Heeresorganisation allseitig zur principiellen Geltung gekommen ist, hat nur
noch im Heeres-Sanitätswesen einige Ausnahmen aufzuweisen, die ihren Grund
wohl in einer wenig günstigen Beurtheilung der militärischen Fähigkeiten der
Militärärzte finden.

Der geschichtliche Theil des vorliegenden Werkes zeugt von einem immen¬
sen Fleiße. Die Schilderungen der allmählichen Entwicklung des Sanitäts¬
wesens der einzelnen Staaten bis zu seiner jetzigen Höhe sind höchst anziehend.
An der Spitze marschirt unstreitig Deutschland, wiewohl der Verfasser auch hier
noch viele Punkte zu betonen hat, die einer Besserung dringend bedürfen. Gar
keine Organisation eines militärärztlichen Standes finden' wir in Montenegro,
wo überhaupt keine Militärärzte existiren.

Aus der Vorrede ersehen wir, wie vorzüglich der Verfasser mit authenti¬
schen Quellenmateriale unterstützt worden ist/ Die hervorragendsten Namen
des militärischen und ärztlichen Standes aller Staaten haben sich durch Bei¬
träge betheiligt. — Das Buch ist der Kaiserin August« gewidmet.


Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Ge¬
sammelt und nacherzählt von E. Veckenstedt. Graz, Lenschner K Lnbensky,
1880.

Nirgends hat man so eifrig und mit so gutem Erfolge nach dein Beispiele
der Grimms die Reste der alten Religion und Mythologie gesammelt als in Deutsch¬
land, und noch immer wird neues Material zusammengebracht und veröffentlicht,
darunter vieles, was auch neues Licht auf das bereits Gewonnene wirft und des¬
halb willkommen genannt werden muß. Dahin gehört mit einem nicht kleinen
Theile seines Inhalts auch das obige Buch, obwohl wir ihm den außerordent¬
lichen Werth für die Wissenschaft, den ihm das Vorwort zuschreibt, nicht beilegen
können, wie uns denn überhaupt der pathetische Ton, den der Verfasser dort an-


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[0130] Literatur. Entwickelung und Gestaltung des Heeres-Sanitätswesens der euro¬ päischen Staaten. Von Major Emil Knorr. Hannover, Helwing'sche Verlags¬ buchhandlung, 1880. Wenn ein Soldat von Fach es in die Hand nimmt, eine Geschichte des Heeres-Sanitätswesens zu schreiben, so hat der Arzt von Fach unwillkürlich die Befürchtung, daß die ärztlichen Fragen zu Gunsten der militärischen in den Hintergrund treten werden. Diese Befürchtung wäre jedoch für obiges Buch eine ungerechtfertigte. Selten werden wir bei einem Soldaten einer so vorur- theilsfreien, man möchte fast sagen wohlwollenden Kritik des ärztlichen Standes, soweit er in Beziehungen zum Heere tritt, begegnen. Besonders bemerkenswerth tritt dies bei dem Urtheile über die zur Zeit geltende Einrichtung im Sanitäts¬ wesen des deutschen Heeres hervor. Referent, der selbst in einem Sanitäts- detachement den Krieg 1870—71 mitmachte, hat sich gefreut, an verschiedenen Stellen auf betrübende Erfahrungen hingewiesen zu sehen, die durch die Coor- dination des militärischen Leiters und des ärztlichen Leiters wiederholt entstan¬ den waren und entstehen mußten. Combination bedingt Reibung, die nur durch Subordination gehoben werden kann. Dieser Grundsatz, der in der deutschen Heeresorganisation allseitig zur principiellen Geltung gekommen ist, hat nur noch im Heeres-Sanitätswesen einige Ausnahmen aufzuweisen, die ihren Grund wohl in einer wenig günstigen Beurtheilung der militärischen Fähigkeiten der Militärärzte finden. Der geschichtliche Theil des vorliegenden Werkes zeugt von einem immen¬ sen Fleiße. Die Schilderungen der allmählichen Entwicklung des Sanitäts¬ wesens der einzelnen Staaten bis zu seiner jetzigen Höhe sind höchst anziehend. An der Spitze marschirt unstreitig Deutschland, wiewohl der Verfasser auch hier noch viele Punkte zu betonen hat, die einer Besserung dringend bedürfen. Gar keine Organisation eines militärärztlichen Standes finden' wir in Montenegro, wo überhaupt keine Militärärzte existiren. Aus der Vorrede ersehen wir, wie vorzüglich der Verfasser mit authenti¬ schen Quellenmateriale unterstützt worden ist/ Die hervorragendsten Namen des militärischen und ärztlichen Standes aller Staaten haben sich durch Bei¬ träge betheiligt. — Das Buch ist der Kaiserin August« gewidmet. Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Ge¬ sammelt und nacherzählt von E. Veckenstedt. Graz, Lenschner K Lnbensky, 1880. Nirgends hat man so eifrig und mit so gutem Erfolge nach dein Beispiele der Grimms die Reste der alten Religion und Mythologie gesammelt als in Deutsch¬ land, und noch immer wird neues Material zusammengebracht und veröffentlicht, darunter vieles, was auch neues Licht auf das bereits Gewonnene wirft und des¬ halb willkommen genannt werden muß. Dahin gehört mit einem nicht kleinen Theile seines Inhalts auch das obige Buch, obwohl wir ihm den außerordent¬ lichen Werth für die Wissenschaft, den ihm das Vorwort zuschreibt, nicht beilegen können, wie uns denn überhaupt der pathetische Ton, den der Verfasser dort an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/130>, abgerufen am 22.07.2024.