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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Gin deutsches Moliöre-Museum.

Nachdem neuerdings als Seitenstttck zu den bekannten Shakespeare- und
Dante-Jahrbüchern auch ein Goethe-Jahrbuch angekündigt worden ist, dessen erstem
Bande wir mit Spannung entgegensehen, hat Dr. Heinrich Schweitzer in Wies¬
baden auch den Anfang mit der Herausgabe eines Moll er e-Musen ins gemacht,
das ein Sammelwerk zur Förderung des Studiums dieses Dichters in Deutschland
sein soll und unter besonderer Mitwirkung der Moliere-Forscher Humbert, Laun
und Fritsche in zwanglosen Heften erscheinen wird (Leipzig, in Commission bei
Th. Thomas). Das vorliegende erste Heft, allein aus der Feder des Heraus¬
gebers stammend und betitelt "Biographisches ans Grund eigner Quellenforschung",
behandelt "Moliere im Elternhaus und in der Schule", nachdem eine lange Ein¬
leitung (über 100 Seiten) vorausgeschickt ist. Wer sich nicht schon durch die an der
Spitze stehende umfängliche Liste aller "Gönner des Unternehmens" (ein ganzes
Adreßbuch von Bekannten des Verfassers aus den, Gelehrten- und Künstlerstande,
theilweise mit völlig gleichgiltigen Notizen über Ursprung und Datum dieser
Freundschaften) hat abschrecken lassen, wird mindestens schaudern bei dem ersten 16
Zeilen langen Satze, der folgendermaßen lautet: "Daß ich in meinem 71. Jahre zum
ersten Male vor das eigentliche Lescpublikum trete und mich so gewaltsam um die
süße Illusion bringe, die so viel Selbstüberschätzung zu hohen Jahren kommen läßt,
und mit der sich so sanft aus lebenswierigen Nichtsthun in die ewige Ruhe ein¬
gehet, ,daß man sicher etwas geleistet hätte, wenn man das nur irgend gewollt, die
Abenteuerlichkeit entschuldige ich vor mir selber damit, daß ich es bei diesem ersten
Versuche aller Wahrscheinlichkeit bewenden lassen werde, daß ich ja gegen jede späte
Reue über den voreiligen Schritt gesichert sei und daß das Buch eines solchen
ABC-Schützgreises, wie Montaigne uns nannte, sich wenigstens eines Tages für
dessen Freunde, Gönner und Sinnesgenossen zu Erinnernngsblcittern eignen könne,
zumal wenn diese, wie hier, den Verfasser in dem ihm sicher günstigen Lichte zei¬
gen, in dem verklärenden nämlich vom Cultus des Großen und Wahren her."
Beim Weiterlesen zeigt sich aber doch, daß sowohl die Einleitung ^ die nach
Darlegung des Planes zu dem ganzen Unternehmen den Dichter betrachtet: nach
der "Signatur seines Wesens und Wirkens", seiner "Weltbedeutung", der Schätzung
seiner Poesie, seiner "biographischen Behandlung" und seinem Nachleben in Frankreich und
in Deutschland -- wie die Hauptstudie über Molieres Kinder- und Knabenjahre viele
interessante Einzelheiten bietet, welche die Frucht sind eines offenbar eingehenden
und liebevollen Studiums von Moliere und allem, was auf ihn Bezug hat, dabei
zum Theil aus schwer zugänglichen Quellen geschöpft und geeignet, das Interesse
für den Dichter und seine Zeit mannigfach zu fördern. Wir verweisen in dieser
Hinsicht namentlich auf die Erörterungen über MoWres Mitschüler Chapelle, Ber-


Gin deutsches Moliöre-Museum.

Nachdem neuerdings als Seitenstttck zu den bekannten Shakespeare- und
Dante-Jahrbüchern auch ein Goethe-Jahrbuch angekündigt worden ist, dessen erstem
Bande wir mit Spannung entgegensehen, hat Dr. Heinrich Schweitzer in Wies¬
baden auch den Anfang mit der Herausgabe eines Moll er e-Musen ins gemacht,
das ein Sammelwerk zur Förderung des Studiums dieses Dichters in Deutschland
sein soll und unter besonderer Mitwirkung der Moliere-Forscher Humbert, Laun
und Fritsche in zwanglosen Heften erscheinen wird (Leipzig, in Commission bei
Th. Thomas). Das vorliegende erste Heft, allein aus der Feder des Heraus¬
gebers stammend und betitelt „Biographisches ans Grund eigner Quellenforschung",
behandelt „Moliere im Elternhaus und in der Schule", nachdem eine lange Ein¬
leitung (über 100 Seiten) vorausgeschickt ist. Wer sich nicht schon durch die an der
Spitze stehende umfängliche Liste aller „Gönner des Unternehmens" (ein ganzes
Adreßbuch von Bekannten des Verfassers aus den, Gelehrten- und Künstlerstande,
theilweise mit völlig gleichgiltigen Notizen über Ursprung und Datum dieser
Freundschaften) hat abschrecken lassen, wird mindestens schaudern bei dem ersten 16
Zeilen langen Satze, der folgendermaßen lautet: „Daß ich in meinem 71. Jahre zum
ersten Male vor das eigentliche Lescpublikum trete und mich so gewaltsam um die
süße Illusion bringe, die so viel Selbstüberschätzung zu hohen Jahren kommen läßt,
und mit der sich so sanft aus lebenswierigen Nichtsthun in die ewige Ruhe ein¬
gehet, ,daß man sicher etwas geleistet hätte, wenn man das nur irgend gewollt, die
Abenteuerlichkeit entschuldige ich vor mir selber damit, daß ich es bei diesem ersten
Versuche aller Wahrscheinlichkeit bewenden lassen werde, daß ich ja gegen jede späte
Reue über den voreiligen Schritt gesichert sei und daß das Buch eines solchen
ABC-Schützgreises, wie Montaigne uns nannte, sich wenigstens eines Tages für
dessen Freunde, Gönner und Sinnesgenossen zu Erinnernngsblcittern eignen könne,
zumal wenn diese, wie hier, den Verfasser in dem ihm sicher günstigen Lichte zei¬
gen, in dem verklärenden nämlich vom Cultus des Großen und Wahren her."
Beim Weiterlesen zeigt sich aber doch, daß sowohl die Einleitung ^ die nach
Darlegung des Planes zu dem ganzen Unternehmen den Dichter betrachtet: nach
der „Signatur seines Wesens und Wirkens", seiner „Weltbedeutung", der Schätzung
seiner Poesie, seiner „biographischen Behandlung" und seinem Nachleben in Frankreich und
in Deutschland — wie die Hauptstudie über Molieres Kinder- und Knabenjahre viele
interessante Einzelheiten bietet, welche die Frucht sind eines offenbar eingehenden
und liebevollen Studiums von Moliere und allem, was auf ihn Bezug hat, dabei
zum Theil aus schwer zugänglichen Quellen geschöpft und geeignet, das Interesse
für den Dichter und seine Zeit mannigfach zu fördern. Wir verweisen in dieser
Hinsicht namentlich auf die Erörterungen über MoWres Mitschüler Chapelle, Ber-


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[0127] Gin deutsches Moliöre-Museum. Nachdem neuerdings als Seitenstttck zu den bekannten Shakespeare- und Dante-Jahrbüchern auch ein Goethe-Jahrbuch angekündigt worden ist, dessen erstem Bande wir mit Spannung entgegensehen, hat Dr. Heinrich Schweitzer in Wies¬ baden auch den Anfang mit der Herausgabe eines Moll er e-Musen ins gemacht, das ein Sammelwerk zur Förderung des Studiums dieses Dichters in Deutschland sein soll und unter besonderer Mitwirkung der Moliere-Forscher Humbert, Laun und Fritsche in zwanglosen Heften erscheinen wird (Leipzig, in Commission bei Th. Thomas). Das vorliegende erste Heft, allein aus der Feder des Heraus¬ gebers stammend und betitelt „Biographisches ans Grund eigner Quellenforschung", behandelt „Moliere im Elternhaus und in der Schule", nachdem eine lange Ein¬ leitung (über 100 Seiten) vorausgeschickt ist. Wer sich nicht schon durch die an der Spitze stehende umfängliche Liste aller „Gönner des Unternehmens" (ein ganzes Adreßbuch von Bekannten des Verfassers aus den, Gelehrten- und Künstlerstande, theilweise mit völlig gleichgiltigen Notizen über Ursprung und Datum dieser Freundschaften) hat abschrecken lassen, wird mindestens schaudern bei dem ersten 16 Zeilen langen Satze, der folgendermaßen lautet: „Daß ich in meinem 71. Jahre zum ersten Male vor das eigentliche Lescpublikum trete und mich so gewaltsam um die süße Illusion bringe, die so viel Selbstüberschätzung zu hohen Jahren kommen läßt, und mit der sich so sanft aus lebenswierigen Nichtsthun in die ewige Ruhe ein¬ gehet, ,daß man sicher etwas geleistet hätte, wenn man das nur irgend gewollt, die Abenteuerlichkeit entschuldige ich vor mir selber damit, daß ich es bei diesem ersten Versuche aller Wahrscheinlichkeit bewenden lassen werde, daß ich ja gegen jede späte Reue über den voreiligen Schritt gesichert sei und daß das Buch eines solchen ABC-Schützgreises, wie Montaigne uns nannte, sich wenigstens eines Tages für dessen Freunde, Gönner und Sinnesgenossen zu Erinnernngsblcittern eignen könne, zumal wenn diese, wie hier, den Verfasser in dem ihm sicher günstigen Lichte zei¬ gen, in dem verklärenden nämlich vom Cultus des Großen und Wahren her." Beim Weiterlesen zeigt sich aber doch, daß sowohl die Einleitung ^ die nach Darlegung des Planes zu dem ganzen Unternehmen den Dichter betrachtet: nach der „Signatur seines Wesens und Wirkens", seiner „Weltbedeutung", der Schätzung seiner Poesie, seiner „biographischen Behandlung" und seinem Nachleben in Frankreich und in Deutschland — wie die Hauptstudie über Molieres Kinder- und Knabenjahre viele interessante Einzelheiten bietet, welche die Frucht sind eines offenbar eingehenden und liebevollen Studiums von Moliere und allem, was auf ihn Bezug hat, dabei zum Theil aus schwer zugänglichen Quellen geschöpft und geeignet, das Interesse für den Dichter und seine Zeit mannigfach zu fördern. Wir verweisen in dieser Hinsicht namentlich auf die Erörterungen über MoWres Mitschüler Chapelle, Ber-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/127>, abgerufen am 22.07.2024.