Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir haben viel Schlimmes über Humboldt nacherzählen müssen. Zum
Schlüsse wollen wir nicht verschweigen, daß Schneider gelegentlich auch ein
Beispiel für das richtige Urtheil mittheilt, das Humboldt über hervorragende
Zeitgenossen hatte. Er berichtet: "So scharfsinnig seine Urtheile über Ver¬
storbene waren, so irrthümlich bewiesen sie sich öfters über Lebende. Nament¬
lich trat das bei der Entwicklung des Kaisers Louis Napoleon nach dem
Staatsstreiche ein. Als dieser noch Präsident der Republik Frankreich war,
nannte ihn Humboldt in Sanssouci bei mehreren Gelegenheiten: iindSoils
-- mi riön -- nus inegMeitü eonsomraös und blieb auch dabei, als ganz
Europa auf diesen merkwürdigen Mann aufmerksam wurde. In solchen Fällen
pflegte dann der König mit seiner unbeschreiblich liebenswürdigen Art zu sagen:
,Davon verstehen Sie nichts, Humboldts eine Zurückweisung, die dieser aber,
wenigstens anscheinend (er bedürfte ja der Hofluft zum Lebe"), nie übel nahm,
indem er mit vollster Geschicklichkeit des Hofmannes sogleich das Gespräch
fallen ließ."

Wir wissen jetzt, daß der König hier irrte, Humboldt dagegen richtig sah,
und daß Schneider sich in dieser Beziehung über die Urtheile, beider täuschte.
Wir wissen es aus einer Quelle, der niemand ein unzutreffendes Verdick über
politische Persönlichkeiten nachsagen kann, aus den von Busch nachgeschriebenen
Tischgesprächen Bismarcks in Versailles. "Ein Tiefenbacher -- dumm und senti¬
mental" lautete die wohlmotivirte Ansicht des ersten Politikers der Gegenwart
über den Exkaiser der Franzosen.




Zur Frage der Altersversorgungskassen.

Das Bestreben, die Einflüsse der Zufälligkeiten des wirthschaftlichen Lebens
auf den Menschen und seine Lage aufzuheben oder doch auf ein möglichst ge¬
ringes Maß zurückzuführen, zieht immer weitere Kreise. Zur Feuerversicherung
ist die Hagel- und Viehversicherung getreten; dann kamen die Krankenkassen,
und an sie reihten sich die Lebensversicherungsanstalten; nun tritt auch die
Forderung auf, für die aus Altersschwäche oder sonstigen Ursachen hervorgehende
Invalidität von Angehörigen der arbeitenden Klasse, sowie für etwaige Wittwen
und Waisen derselben auf dem gleichen Wege Sorge zu tragen. An sich ist
dieser Gedanke ja kein neuer; eine ganze Reihe derartiger Anstalten sind schon
in deutschen Fabriken und zum Theil auch durch freiwilligen Zusammenschluß


Wir haben viel Schlimmes über Humboldt nacherzählen müssen. Zum
Schlüsse wollen wir nicht verschweigen, daß Schneider gelegentlich auch ein
Beispiel für das richtige Urtheil mittheilt, das Humboldt über hervorragende
Zeitgenossen hatte. Er berichtet: „So scharfsinnig seine Urtheile über Ver¬
storbene waren, so irrthümlich bewiesen sie sich öfters über Lebende. Nament¬
lich trat das bei der Entwicklung des Kaisers Louis Napoleon nach dem
Staatsstreiche ein. Als dieser noch Präsident der Republik Frankreich war,
nannte ihn Humboldt in Sanssouci bei mehreren Gelegenheiten: iindSoils
— mi riön — nus inegMeitü eonsomraös und blieb auch dabei, als ganz
Europa auf diesen merkwürdigen Mann aufmerksam wurde. In solchen Fällen
pflegte dann der König mit seiner unbeschreiblich liebenswürdigen Art zu sagen:
,Davon verstehen Sie nichts, Humboldts eine Zurückweisung, die dieser aber,
wenigstens anscheinend (er bedürfte ja der Hofluft zum Lebe«), nie übel nahm,
indem er mit vollster Geschicklichkeit des Hofmannes sogleich das Gespräch
fallen ließ."

Wir wissen jetzt, daß der König hier irrte, Humboldt dagegen richtig sah,
und daß Schneider sich in dieser Beziehung über die Urtheile, beider täuschte.
Wir wissen es aus einer Quelle, der niemand ein unzutreffendes Verdick über
politische Persönlichkeiten nachsagen kann, aus den von Busch nachgeschriebenen
Tischgesprächen Bismarcks in Versailles. „Ein Tiefenbacher — dumm und senti¬
mental" lautete die wohlmotivirte Ansicht des ersten Politikers der Gegenwart
über den Exkaiser der Franzosen.




Zur Frage der Altersversorgungskassen.

Das Bestreben, die Einflüsse der Zufälligkeiten des wirthschaftlichen Lebens
auf den Menschen und seine Lage aufzuheben oder doch auf ein möglichst ge¬
ringes Maß zurückzuführen, zieht immer weitere Kreise. Zur Feuerversicherung
ist die Hagel- und Viehversicherung getreten; dann kamen die Krankenkassen,
und an sie reihten sich die Lebensversicherungsanstalten; nun tritt auch die
Forderung auf, für die aus Altersschwäche oder sonstigen Ursachen hervorgehende
Invalidität von Angehörigen der arbeitenden Klasse, sowie für etwaige Wittwen
und Waisen derselben auf dem gleichen Wege Sorge zu tragen. An sich ist
dieser Gedanke ja kein neuer; eine ganze Reihe derartiger Anstalten sind schon
in deutschen Fabriken und zum Theil auch durch freiwilligen Zusammenschluß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146049"/>
          <p xml:id="ID_294"> Wir haben viel Schlimmes über Humboldt nacherzählen müssen. Zum<lb/>
Schlüsse wollen wir nicht verschweigen, daß Schneider gelegentlich auch ein<lb/>
Beispiel für das richtige Urtheil mittheilt, das Humboldt über hervorragende<lb/>
Zeitgenossen hatte. Er berichtet: &#x201E;So scharfsinnig seine Urtheile über Ver¬<lb/>
storbene waren, so irrthümlich bewiesen sie sich öfters über Lebende. Nament¬<lb/>
lich trat das bei der Entwicklung des Kaisers Louis Napoleon nach dem<lb/>
Staatsstreiche ein. Als dieser noch Präsident der Republik Frankreich war,<lb/>
nannte ihn Humboldt in Sanssouci bei mehreren Gelegenheiten: iindSoils<lb/>
&#x2014; mi riön &#x2014; nus inegMeitü eonsomraös und blieb auch dabei, als ganz<lb/>
Europa auf diesen merkwürdigen Mann aufmerksam wurde. In solchen Fällen<lb/>
pflegte dann der König mit seiner unbeschreiblich liebenswürdigen Art zu sagen:<lb/>
,Davon verstehen Sie nichts, Humboldts eine Zurückweisung, die dieser aber,<lb/>
wenigstens anscheinend (er bedürfte ja der Hofluft zum Lebe«), nie übel nahm,<lb/>
indem er mit vollster Geschicklichkeit des Hofmannes sogleich das Gespräch<lb/>
fallen ließ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_295"> Wir wissen jetzt, daß der König hier irrte, Humboldt dagegen richtig sah,<lb/>
und daß Schneider sich in dieser Beziehung über die Urtheile, beider täuschte.<lb/>
Wir wissen es aus einer Quelle, der niemand ein unzutreffendes Verdick über<lb/>
politische Persönlichkeiten nachsagen kann, aus den von Busch nachgeschriebenen<lb/>
Tischgesprächen Bismarcks in Versailles. &#x201E;Ein Tiefenbacher &#x2014; dumm und senti¬<lb/>
mental" lautete die wohlmotivirte Ansicht des ersten Politikers der Gegenwart<lb/>
über den Exkaiser der Franzosen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Frage der Altersversorgungskassen.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_296" next="#ID_297"> Das Bestreben, die Einflüsse der Zufälligkeiten des wirthschaftlichen Lebens<lb/>
auf den Menschen und seine Lage aufzuheben oder doch auf ein möglichst ge¬<lb/>
ringes Maß zurückzuführen, zieht immer weitere Kreise. Zur Feuerversicherung<lb/>
ist die Hagel- und Viehversicherung getreten; dann kamen die Krankenkassen,<lb/>
und an sie reihten sich die Lebensversicherungsanstalten; nun tritt auch die<lb/>
Forderung auf, für die aus Altersschwäche oder sonstigen Ursachen hervorgehende<lb/>
Invalidität von Angehörigen der arbeitenden Klasse, sowie für etwaige Wittwen<lb/>
und Waisen derselben auf dem gleichen Wege Sorge zu tragen. An sich ist<lb/>
dieser Gedanke ja kein neuer; eine ganze Reihe derartiger Anstalten sind schon<lb/>
in deutschen Fabriken und zum Theil auch durch freiwilligen Zusammenschluß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] Wir haben viel Schlimmes über Humboldt nacherzählen müssen. Zum Schlüsse wollen wir nicht verschweigen, daß Schneider gelegentlich auch ein Beispiel für das richtige Urtheil mittheilt, das Humboldt über hervorragende Zeitgenossen hatte. Er berichtet: „So scharfsinnig seine Urtheile über Ver¬ storbene waren, so irrthümlich bewiesen sie sich öfters über Lebende. Nament¬ lich trat das bei der Entwicklung des Kaisers Louis Napoleon nach dem Staatsstreiche ein. Als dieser noch Präsident der Republik Frankreich war, nannte ihn Humboldt in Sanssouci bei mehreren Gelegenheiten: iindSoils — mi riön — nus inegMeitü eonsomraös und blieb auch dabei, als ganz Europa auf diesen merkwürdigen Mann aufmerksam wurde. In solchen Fällen pflegte dann der König mit seiner unbeschreiblich liebenswürdigen Art zu sagen: ,Davon verstehen Sie nichts, Humboldts eine Zurückweisung, die dieser aber, wenigstens anscheinend (er bedürfte ja der Hofluft zum Lebe«), nie übel nahm, indem er mit vollster Geschicklichkeit des Hofmannes sogleich das Gespräch fallen ließ." Wir wissen jetzt, daß der König hier irrte, Humboldt dagegen richtig sah, und daß Schneider sich in dieser Beziehung über die Urtheile, beider täuschte. Wir wissen es aus einer Quelle, der niemand ein unzutreffendes Verdick über politische Persönlichkeiten nachsagen kann, aus den von Busch nachgeschriebenen Tischgesprächen Bismarcks in Versailles. „Ein Tiefenbacher — dumm und senti¬ mental" lautete die wohlmotivirte Ansicht des ersten Politikers der Gegenwart über den Exkaiser der Franzosen. Zur Frage der Altersversorgungskassen. Das Bestreben, die Einflüsse der Zufälligkeiten des wirthschaftlichen Lebens auf den Menschen und seine Lage aufzuheben oder doch auf ein möglichst ge¬ ringes Maß zurückzuführen, zieht immer weitere Kreise. Zur Feuerversicherung ist die Hagel- und Viehversicherung getreten; dann kamen die Krankenkassen, und an sie reihten sich die Lebensversicherungsanstalten; nun tritt auch die Forderung auf, für die aus Altersschwäche oder sonstigen Ursachen hervorgehende Invalidität von Angehörigen der arbeitenden Klasse, sowie für etwaige Wittwen und Waisen derselben auf dem gleichen Wege Sorge zu tragen. An sich ist dieser Gedanke ja kein neuer; eine ganze Reihe derartiger Anstalten sind schon in deutschen Fabriken und zum Theil auch durch freiwilligen Zusammenschluß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/120>, abgerufen am 03.07.2024.