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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Standes, sowie durch die Erfüllung dessen, was die Vernunft verlangt, die un¬
ausbleibliche Schlußempfindung die der Abspannung, die in schroffen: Gegensatz
steht zu dem durch die Befreiung von einer absichtlich herbeigeführten Schmerz¬
empfindung entstehenden Wohlgefühl, in dessen schließlicher Erweckung unsere
Freude am Tragischen ihren Grund hat.

So entwickelt sich die Freude am Schmerz oder richtiger an der durch
willkürliche Schmerzherbeibringung erreichten Befreiung vom Schmerz von einer
rein körperlichen zu einer rein seelischen Empfindung auf einer Reihe von Stufen
bis zu der höchsten, der Tragik. Es wird daher möglich sein, Werke, welche
sich dieses Mittels der Erregung einer Schmerzempfindung zur Erreichung einer
üsthethischen Wirkung bedienen, dadurch in ihrer ästhetischen Bedeutung richtig
zu würdigen, daß ihre Zugehörigkeit zu einer oder der anderen dieser Stufen
nachgewiesen wird. Dies soll nun mit den pergamenischen Resten geschehen.

(Schluß folgt.)




Der Zarewitsch Alexei (5690--^8).

Die Schicksale des Zarewitsch Alexei sind wiederholt Gegenstand der Be¬
handlung gewesen. Da der Conflict zwischen Peter dem Großen und seinem
Sohne, der in geheimnißvoller Weise seinen Abschluß fand, neben einem poli¬
tischen noch ein criminalistisches und psychologisches Interesse hatte, so kam es,
daß neben der Geschichtsschreibung namentlich auch die Belletristik sich des
romantischen Stoffes bemächtigte und die dramatische Dichtung Alexei als Helden
auf die Bühne führte. Man denke an die bekannte abenteuerliche Novelle
Zschokkes "Die Prinzessin von Wolfenbüttel" und an den Operntext der Charlotte
Birch-Pfeiffer "Santa Chiara". In neuester Zeit haben russische Gelehrte eine
Fülle von Materialien zur Geschichte des unglücklichen Zarensohnes gesammelt.
Die Proceßacten, die Briefwechsel der den Ereignissen nahestehenden Persönlich¬
keiten und die Geschäftspapiere, welche die auswärtigen Angelegenheiten jener
Zeit behandeln, sind wohl vollständig publicirt. Auf dieses Material gestützt, hat
es neuerdings Alex. Bruckner, Professor an der Universität Dorpat, ein für die
Geschichte Rußlands sehr thätiger Forscher, unternommen, die Lebensgeschichte
des Prinzen Alexei aufs neue zu erzählen.*)

Alexei war der Sohn Peters aus der Ehe mit Eudoxia Lopuchin. Als



*) Der Zarewitsch Alexei. Von Dr. Alex. Bruckner. Heidelberg, Carl Winter,
1880.

Standes, sowie durch die Erfüllung dessen, was die Vernunft verlangt, die un¬
ausbleibliche Schlußempfindung die der Abspannung, die in schroffen: Gegensatz
steht zu dem durch die Befreiung von einer absichtlich herbeigeführten Schmerz¬
empfindung entstehenden Wohlgefühl, in dessen schließlicher Erweckung unsere
Freude am Tragischen ihren Grund hat.

So entwickelt sich die Freude am Schmerz oder richtiger an der durch
willkürliche Schmerzherbeibringung erreichten Befreiung vom Schmerz von einer
rein körperlichen zu einer rein seelischen Empfindung auf einer Reihe von Stufen
bis zu der höchsten, der Tragik. Es wird daher möglich sein, Werke, welche
sich dieses Mittels der Erregung einer Schmerzempfindung zur Erreichung einer
üsthethischen Wirkung bedienen, dadurch in ihrer ästhetischen Bedeutung richtig
zu würdigen, daß ihre Zugehörigkeit zu einer oder der anderen dieser Stufen
nachgewiesen wird. Dies soll nun mit den pergamenischen Resten geschehen.

(Schluß folgt.)




Der Zarewitsch Alexei (5690—^8).

Die Schicksale des Zarewitsch Alexei sind wiederholt Gegenstand der Be¬
handlung gewesen. Da der Conflict zwischen Peter dem Großen und seinem
Sohne, der in geheimnißvoller Weise seinen Abschluß fand, neben einem poli¬
tischen noch ein criminalistisches und psychologisches Interesse hatte, so kam es,
daß neben der Geschichtsschreibung namentlich auch die Belletristik sich des
romantischen Stoffes bemächtigte und die dramatische Dichtung Alexei als Helden
auf die Bühne führte. Man denke an die bekannte abenteuerliche Novelle
Zschokkes „Die Prinzessin von Wolfenbüttel" und an den Operntext der Charlotte
Birch-Pfeiffer „Santa Chiara". In neuester Zeit haben russische Gelehrte eine
Fülle von Materialien zur Geschichte des unglücklichen Zarensohnes gesammelt.
Die Proceßacten, die Briefwechsel der den Ereignissen nahestehenden Persönlich¬
keiten und die Geschäftspapiere, welche die auswärtigen Angelegenheiten jener
Zeit behandeln, sind wohl vollständig publicirt. Auf dieses Material gestützt, hat
es neuerdings Alex. Bruckner, Professor an der Universität Dorpat, ein für die
Geschichte Rußlands sehr thätiger Forscher, unternommen, die Lebensgeschichte
des Prinzen Alexei aufs neue zu erzählen.*)

Alexei war der Sohn Peters aus der Ehe mit Eudoxia Lopuchin. Als



*) Der Zarewitsch Alexei. Von Dr. Alex. Bruckner. Heidelberg, Carl Winter,
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[0086] Standes, sowie durch die Erfüllung dessen, was die Vernunft verlangt, die un¬ ausbleibliche Schlußempfindung die der Abspannung, die in schroffen: Gegensatz steht zu dem durch die Befreiung von einer absichtlich herbeigeführten Schmerz¬ empfindung entstehenden Wohlgefühl, in dessen schließlicher Erweckung unsere Freude am Tragischen ihren Grund hat. So entwickelt sich die Freude am Schmerz oder richtiger an der durch willkürliche Schmerzherbeibringung erreichten Befreiung vom Schmerz von einer rein körperlichen zu einer rein seelischen Empfindung auf einer Reihe von Stufen bis zu der höchsten, der Tragik. Es wird daher möglich sein, Werke, welche sich dieses Mittels der Erregung einer Schmerzempfindung zur Erreichung einer üsthethischen Wirkung bedienen, dadurch in ihrer ästhetischen Bedeutung richtig zu würdigen, daß ihre Zugehörigkeit zu einer oder der anderen dieser Stufen nachgewiesen wird. Dies soll nun mit den pergamenischen Resten geschehen. (Schluß folgt.) Der Zarewitsch Alexei (5690—^8). Die Schicksale des Zarewitsch Alexei sind wiederholt Gegenstand der Be¬ handlung gewesen. Da der Conflict zwischen Peter dem Großen und seinem Sohne, der in geheimnißvoller Weise seinen Abschluß fand, neben einem poli¬ tischen noch ein criminalistisches und psychologisches Interesse hatte, so kam es, daß neben der Geschichtsschreibung namentlich auch die Belletristik sich des romantischen Stoffes bemächtigte und die dramatische Dichtung Alexei als Helden auf die Bühne führte. Man denke an die bekannte abenteuerliche Novelle Zschokkes „Die Prinzessin von Wolfenbüttel" und an den Operntext der Charlotte Birch-Pfeiffer „Santa Chiara". In neuester Zeit haben russische Gelehrte eine Fülle von Materialien zur Geschichte des unglücklichen Zarensohnes gesammelt. Die Proceßacten, die Briefwechsel der den Ereignissen nahestehenden Persönlich¬ keiten und die Geschäftspapiere, welche die auswärtigen Angelegenheiten jener Zeit behandeln, sind wohl vollständig publicirt. Auf dieses Material gestützt, hat es neuerdings Alex. Bruckner, Professor an der Universität Dorpat, ein für die Geschichte Rußlands sehr thätiger Forscher, unternommen, die Lebensgeschichte des Prinzen Alexei aufs neue zu erzählen.*) Alexei war der Sohn Peters aus der Ehe mit Eudoxia Lopuchin. Als *) Der Zarewitsch Alexei. Von Dr. Alex. Bruckner. Heidelberg, Carl Winter, 1880.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/86>, abgerufen am 22.07.2024.