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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Meisters nicht durch SubjectivW und überschwengliche Gefühlsschwärmerei in
ihrer sich stetig erneuerten Frische verkümmert wurde.

In der technischen Ausführung halte" Lessings Historienbilder ebenso wie
die Landschaften gleichen Schritt mit der rapiden Entwicklung, welche das Colorit
in den letzten vierzig Jahren durchgemacht hat. Seine Farbe wird von Jahr
zu Jahr kräftiger, saftiger, leuchtender. Mit dem Hußbilde von 1 850 ist schon
ein beträchtlicher Höhenpunkt erreicht; die "Schützen im Engpaß", noch ein Stück
Romantik aus dem Kriegerleben des dreißigjährigen Krieges (1851 gemalt, in
der Berliner Nationalgalerie), bekunden wiederum einen Fortschritt, und die
Landschaften der siebziger Jahre fassen alle coloristischen Errungenschaften der
Neuzeit zu einem vollen Accorde zusammen.

Im Jahre 1858 wurde Lessing als Director der Kunsthalle nach Karls¬
ruhe berufen, wo er noch zwanzig Jahre segensreich gewirkt und geschaffen hat.
Dort hat er auch, bis an sein Ende bewundert und gefeiert, sein Leben be¬
schlossen, ein Leben, das in seltenem Maße von der Sonne des Glücks erleuchtet
gewesen ist. Seine große historische Bedeutung, die sich in einem knappen Um¬
risse seiner fruchtbaren Thätigkeit nicht erschöpfen läßt, liegt in der Vermittlung
zwischen der Romantik und dem modernen Realismus, welche er im vollen
Bewußtsein der Nothwendigkeit dieses Entwicklungsmomentes vollzogen hat.


A> R.


Die nationale Partei am Scheidewege.
von einem National liberalen.

Der ganze moderne Kirchenstreit ist ein Autoritätsstreit. Der Liberalismus
hat seit Luthers Zeit eine falsche Autorität nach der anderen bekämpft. Die
Autorität der Kirche wurde gestürzt; an ihre Stelle trat die Autorität des Ge¬
wissens. Die Autorität der Fürsten- und Feudalmacht wurde besiegt; an ihre
Stelle trat die Autorität des Gesetzes. Die Autorität des Wunder- und Aber¬
glaubens wurde vernichtet; an ihre Stelle trat die Autorität der Wissenschaft.
Auf den Pfeilern dieser neuen Autoritäten ruht der Dom liberaler Kirchlichkeit.
Die einseitige Fortbildung dieses Jdeengcmges freilich führt zum kirchlichen
und politischen' Radiccilismus, zur Zeit erscheinend in der Socialdemokratie.
Konsequenz: Der Liberalismus in allen Phasen ist der entschiedenste Gegner
des Papismus.

Der Conservativismus auf kirchlichem Gebiete ist nicht so kurz zu definiren,
am wenigsten auf eine bestimmte Parteigruppe zu beschränken. Hier kommt es
zunächst darauf an, das in neuerer Zeit allmählich fortschreitende Erstarken des
kirchlichen Conservativismus hervorzuheben. Der gläubige, aber nicht wunder¬
süchtige Protestant mit der Autorität der Offenbarung Gottes in der Person
des Heilandes, der bibelfeste orthodoxe Pietist mit der wunderreichen Bibel,
der ultramontane Papist mit der päpstlichen Unfehlbarkeit, haben der, nach


Meisters nicht durch SubjectivW und überschwengliche Gefühlsschwärmerei in
ihrer sich stetig erneuerten Frische verkümmert wurde.

In der technischen Ausführung halte» Lessings Historienbilder ebenso wie
die Landschaften gleichen Schritt mit der rapiden Entwicklung, welche das Colorit
in den letzten vierzig Jahren durchgemacht hat. Seine Farbe wird von Jahr
zu Jahr kräftiger, saftiger, leuchtender. Mit dem Hußbilde von 1 850 ist schon
ein beträchtlicher Höhenpunkt erreicht; die „Schützen im Engpaß", noch ein Stück
Romantik aus dem Kriegerleben des dreißigjährigen Krieges (1851 gemalt, in
der Berliner Nationalgalerie), bekunden wiederum einen Fortschritt, und die
Landschaften der siebziger Jahre fassen alle coloristischen Errungenschaften der
Neuzeit zu einem vollen Accorde zusammen.

Im Jahre 1858 wurde Lessing als Director der Kunsthalle nach Karls¬
ruhe berufen, wo er noch zwanzig Jahre segensreich gewirkt und geschaffen hat.
Dort hat er auch, bis an sein Ende bewundert und gefeiert, sein Leben be¬
schlossen, ein Leben, das in seltenem Maße von der Sonne des Glücks erleuchtet
gewesen ist. Seine große historische Bedeutung, die sich in einem knappen Um¬
risse seiner fruchtbaren Thätigkeit nicht erschöpfen läßt, liegt in der Vermittlung
zwischen der Romantik und dem modernen Realismus, welche er im vollen
Bewußtsein der Nothwendigkeit dieses Entwicklungsmomentes vollzogen hat.


A> R.


Die nationale Partei am Scheidewege.
von einem National liberalen.

Der ganze moderne Kirchenstreit ist ein Autoritätsstreit. Der Liberalismus
hat seit Luthers Zeit eine falsche Autorität nach der anderen bekämpft. Die
Autorität der Kirche wurde gestürzt; an ihre Stelle trat die Autorität des Ge¬
wissens. Die Autorität der Fürsten- und Feudalmacht wurde besiegt; an ihre
Stelle trat die Autorität des Gesetzes. Die Autorität des Wunder- und Aber¬
glaubens wurde vernichtet; an ihre Stelle trat die Autorität der Wissenschaft.
Auf den Pfeilern dieser neuen Autoritäten ruht der Dom liberaler Kirchlichkeit.
Die einseitige Fortbildung dieses Jdeengcmges freilich führt zum kirchlichen
und politischen' Radiccilismus, zur Zeit erscheinend in der Socialdemokratie.
Konsequenz: Der Liberalismus in allen Phasen ist der entschiedenste Gegner
des Papismus.

Der Conservativismus auf kirchlichem Gebiete ist nicht so kurz zu definiren,
am wenigsten auf eine bestimmte Parteigruppe zu beschränken. Hier kommt es
zunächst darauf an, das in neuerer Zeit allmählich fortschreitende Erstarken des
kirchlichen Conservativismus hervorzuheben. Der gläubige, aber nicht wunder¬
süchtige Protestant mit der Autorität der Offenbarung Gottes in der Person
des Heilandes, der bibelfeste orthodoxe Pietist mit der wunderreichen Bibel,
der ultramontane Papist mit der päpstlichen Unfehlbarkeit, haben der, nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/522>, abgerufen am 03.07.2024.