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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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schickte. Vorläufig wurden die Hussitenbilder nur als schneidige Proteste gegen
den Mtramontcmismns, als ironische Belegtafeln für den Segen der Pfaffen¬
herrschaft aufgefaßt, wenn gleich ihr Schöpfer als echter Künstler nicht die
Absicht hatte, durch sie Parolen für religiöse Kämpfe auszugeben. Der Conse-
quenzen, welche diese Ketzerbilder in einer katholischen Stadt, an einer Aka¬
demie, deren Haupt selber ein eifriger Katholik war, nach sich ziehen würden,
mußte sich Lessing freilich bewußt sein, und dieselben ließen auch nicht auf sich
warten. Schadow mied das Atelier Lessings, in welchem ein von der Kirche
gerichteter Ketzer gefeiert wurde, und damit war der Grund zu Spaltungen ge¬
legt, welche von Jahr zu Jahr größer wurden und nicht eher wieder verschwan¬
den, als bis Schadow 1859 sein Amt niederlegte.

Lessing wußte den Geist seiner Zeit so vollständig zu erfassen und zu be¬
greifen, daß er immer auf ihrer Höhe stand, und daraus erklären sich seine
beispiellosen, beständig im Wachsen begriffenen Erfolge. Dieselben Tendenzen,
welche die historischen Romane Walter Scotts und seiner Nachahmer befolgten,
die damals alle literarischen Interessen beherrschten, wußte Lessing in seinen Ge¬
mälden zum Ausdruck zu bringen, nämlich eine lyrische, unmittelbar an das
Gefühl appellirende Darstellung der historischen Gegenstände. Wie er in allen
seinen Landschaften der Natur gleichsam den Stempel einer individuellen, per¬
sönlichen Empfindung aufgedrückt und dadurch das Wort Gotthvld Ephraims,
"daß die Landschaft, weil sie keine Seele habe, für die Malerei kein Vorwurf
sein könne", glänzend widerlegt hatte, so zog er alle Figuren einer Composition
in deu Bereich einer mächtigen, leidenschaftlichen Stimmung, welche das Ganze
bewegte. Diese Charakteristik gilt für die lange Reihe feiner Historienbilder,
welche auf die "Hussittenpredigt" folgten. Die bedeutendsten derselben sind:
Ezzelin von den Mönchen zur Buße gemahnt (1838, Städelsches Museum in
Frankfurt am Main), Gefangennehmung des Papstes Paschalis durch Heinrich V.
(1840), Johann Huß zu Constanz vor den Geistlichen feine Ueberzeugungen ver¬
theidigend (1842, sendet'sches Museum), Heinrich V. vor dem Kloster Prüfening
(1844), Huß vor dem Scheiterhaufen (1850, Berliner Nationalgalerie), Ver¬
brennung der Bannbulle zu Wittenberg (1853), Anschlag der Thesen an die
Schloßkirche zu Wittenberg und Luthers Disputation mit Eck auf der Pleißen-
burg (1867, Kunsthalle in Karlsruhe). Auf allen diesen Bildern tritt das Streben
nach tiefer, eindringlicher Charakteristik in den Vordergrund. Das lyrisch-epische
Element hat auf allen das Uebergewicht über dem dramatischen, und damit haben
wir zugleich die Grenze von Lessings Können bezeichnet. Ein starker, contem-
plativer Zug hat von Anbeginn sein Wesen beherrscht, und nur seine geistige
Gesundheit, die nicht in letzter Linie der strengen, nüchternen Erziehung des
Vaters zu danken ist, hat es verhindert, daß die plastische Gestaltungskraft des


Grenzboten it. 1830. 66

schickte. Vorläufig wurden die Hussitenbilder nur als schneidige Proteste gegen
den Mtramontcmismns, als ironische Belegtafeln für den Segen der Pfaffen¬
herrschaft aufgefaßt, wenn gleich ihr Schöpfer als echter Künstler nicht die
Absicht hatte, durch sie Parolen für religiöse Kämpfe auszugeben. Der Conse-
quenzen, welche diese Ketzerbilder in einer katholischen Stadt, an einer Aka¬
demie, deren Haupt selber ein eifriger Katholik war, nach sich ziehen würden,
mußte sich Lessing freilich bewußt sein, und dieselben ließen auch nicht auf sich
warten. Schadow mied das Atelier Lessings, in welchem ein von der Kirche
gerichteter Ketzer gefeiert wurde, und damit war der Grund zu Spaltungen ge¬
legt, welche von Jahr zu Jahr größer wurden und nicht eher wieder verschwan¬
den, als bis Schadow 1859 sein Amt niederlegte.

Lessing wußte den Geist seiner Zeit so vollständig zu erfassen und zu be¬
greifen, daß er immer auf ihrer Höhe stand, und daraus erklären sich seine
beispiellosen, beständig im Wachsen begriffenen Erfolge. Dieselben Tendenzen,
welche die historischen Romane Walter Scotts und seiner Nachahmer befolgten,
die damals alle literarischen Interessen beherrschten, wußte Lessing in seinen Ge¬
mälden zum Ausdruck zu bringen, nämlich eine lyrische, unmittelbar an das
Gefühl appellirende Darstellung der historischen Gegenstände. Wie er in allen
seinen Landschaften der Natur gleichsam den Stempel einer individuellen, per¬
sönlichen Empfindung aufgedrückt und dadurch das Wort Gotthvld Ephraims,
„daß die Landschaft, weil sie keine Seele habe, für die Malerei kein Vorwurf
sein könne", glänzend widerlegt hatte, so zog er alle Figuren einer Composition
in deu Bereich einer mächtigen, leidenschaftlichen Stimmung, welche das Ganze
bewegte. Diese Charakteristik gilt für die lange Reihe feiner Historienbilder,
welche auf die „Hussittenpredigt" folgten. Die bedeutendsten derselben sind:
Ezzelin von den Mönchen zur Buße gemahnt (1838, Städelsches Museum in
Frankfurt am Main), Gefangennehmung des Papstes Paschalis durch Heinrich V.
(1840), Johann Huß zu Constanz vor den Geistlichen feine Ueberzeugungen ver¬
theidigend (1842, sendet'sches Museum), Heinrich V. vor dem Kloster Prüfening
(1844), Huß vor dem Scheiterhaufen (1850, Berliner Nationalgalerie), Ver¬
brennung der Bannbulle zu Wittenberg (1853), Anschlag der Thesen an die
Schloßkirche zu Wittenberg und Luthers Disputation mit Eck auf der Pleißen-
burg (1867, Kunsthalle in Karlsruhe). Auf allen diesen Bildern tritt das Streben
nach tiefer, eindringlicher Charakteristik in den Vordergrund. Das lyrisch-epische
Element hat auf allen das Uebergewicht über dem dramatischen, und damit haben
wir zugleich die Grenze von Lessings Können bezeichnet. Ein starker, contem-
plativer Zug hat von Anbeginn sein Wesen beherrscht, und nur seine geistige
Gesundheit, die nicht in letzter Linie der strengen, nüchternen Erziehung des
Vaters zu danken ist, hat es verhindert, daß die plastische Gestaltungskraft des


Grenzboten it. 1830. 66
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[0521] schickte. Vorläufig wurden die Hussitenbilder nur als schneidige Proteste gegen den Mtramontcmismns, als ironische Belegtafeln für den Segen der Pfaffen¬ herrschaft aufgefaßt, wenn gleich ihr Schöpfer als echter Künstler nicht die Absicht hatte, durch sie Parolen für religiöse Kämpfe auszugeben. Der Conse- quenzen, welche diese Ketzerbilder in einer katholischen Stadt, an einer Aka¬ demie, deren Haupt selber ein eifriger Katholik war, nach sich ziehen würden, mußte sich Lessing freilich bewußt sein, und dieselben ließen auch nicht auf sich warten. Schadow mied das Atelier Lessings, in welchem ein von der Kirche gerichteter Ketzer gefeiert wurde, und damit war der Grund zu Spaltungen ge¬ legt, welche von Jahr zu Jahr größer wurden und nicht eher wieder verschwan¬ den, als bis Schadow 1859 sein Amt niederlegte. Lessing wußte den Geist seiner Zeit so vollständig zu erfassen und zu be¬ greifen, daß er immer auf ihrer Höhe stand, und daraus erklären sich seine beispiellosen, beständig im Wachsen begriffenen Erfolge. Dieselben Tendenzen, welche die historischen Romane Walter Scotts und seiner Nachahmer befolgten, die damals alle literarischen Interessen beherrschten, wußte Lessing in seinen Ge¬ mälden zum Ausdruck zu bringen, nämlich eine lyrische, unmittelbar an das Gefühl appellirende Darstellung der historischen Gegenstände. Wie er in allen seinen Landschaften der Natur gleichsam den Stempel einer individuellen, per¬ sönlichen Empfindung aufgedrückt und dadurch das Wort Gotthvld Ephraims, „daß die Landschaft, weil sie keine Seele habe, für die Malerei kein Vorwurf sein könne", glänzend widerlegt hatte, so zog er alle Figuren einer Composition in deu Bereich einer mächtigen, leidenschaftlichen Stimmung, welche das Ganze bewegte. Diese Charakteristik gilt für die lange Reihe feiner Historienbilder, welche auf die „Hussittenpredigt" folgten. Die bedeutendsten derselben sind: Ezzelin von den Mönchen zur Buße gemahnt (1838, Städelsches Museum in Frankfurt am Main), Gefangennehmung des Papstes Paschalis durch Heinrich V. (1840), Johann Huß zu Constanz vor den Geistlichen feine Ueberzeugungen ver¬ theidigend (1842, sendet'sches Museum), Heinrich V. vor dem Kloster Prüfening (1844), Huß vor dem Scheiterhaufen (1850, Berliner Nationalgalerie), Ver¬ brennung der Bannbulle zu Wittenberg (1853), Anschlag der Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg und Luthers Disputation mit Eck auf der Pleißen- burg (1867, Kunsthalle in Karlsruhe). Auf allen diesen Bildern tritt das Streben nach tiefer, eindringlicher Charakteristik in den Vordergrund. Das lyrisch-epische Element hat auf allen das Uebergewicht über dem dramatischen, und damit haben wir zugleich die Grenze von Lessings Können bezeichnet. Ein starker, contem- plativer Zug hat von Anbeginn sein Wesen beherrscht, und nur seine geistige Gesundheit, die nicht in letzter Linie der strengen, nüchternen Erziehung des Vaters zu danken ist, hat es verhindert, daß die plastische Gestaltungskraft des Grenzboten it. 1830. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/521>, abgerufen am 22.07.2024.