Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

sie gewährt ein recht anschauliches Bild französischer Sitte. Hier sehen wir
die Pariser Arbeiter, welche sonst den Anspruch erheben, Frankreich zu be¬
herrschen und sogar die ganze Welt zu verjüngen und umzuwandeln, als prah¬
lerische Trunkenbolde, der geschlechtlichen Ausschweifung ergeben, eine unwissende,
leichtgläubige, wetterwendische Masse, die sich heute für den ewigen Frieden
und morgen schon um der dreißig Kupferlinge willen für das Gegentheil ver¬
wenden läßt, indem sie erst gegen den Krieg, dann gegen den äußeren Feind
und zuletzt gegen ihre eigenen Landsleute, bald für, bald gegen ihr Vaterland
auftritt."




Me neuesten Ausgrabungen aus Zypern*)

Wie das leichte Boot jede Bewegung des voraneilender Schiffes mitmacht,
in dessen Kielwasser es schwimmt, so sind die Geschicke Cyperns von jeher an
die der leitenden Seemächte gekettet gewesen: wer die Herrschaft über das
Mittelmeer errungen, dem fiel der Besitz dieser schönen Insel gleichsam von
selbst zu. Zu den Zeiten, als noch der venezianische Doge alljährlich auf dem
Bucentoro in prächtigem Zuge hinausfuhr, um durch den Ring, den er in die
Fluthen versenkte, seine Republik dem Meere zu vermählen, gehorchte Cypern
dem Löwen von S. Marco. Als später die Küsten des Mittelmeeres vor den
Flotten der Ungläubigen zitterten, ward die Insel türkisch. Jetzt hat England
Cypern besetzt zum Zeichen, daß es seine Meeresherrschaft auch über das
Mittelmeer auszudehnen Willens ist, um, gestützt auf Gibraltar, Malta, Suez
und Cypern, auch den neuen Seeweg nach Indien zu beherrschen. Die Besitz¬
ergreifung rief deshalb fast bei allen Mittelmeervölkern, besonders aber bei den
Italienern, eine tiefgehende Entrüstung hervor, weil allzudeutlich an den Tag
kam, daß sie nicht mehr Herren sind im eigenen Hause.

Schon im Alterthume war das Schicksal der Insel ein ähnliches wie heut¬
zutage. Cypern war ein Zankapfel zwischen den großen Monarchien Asiens,
Phönicien und Aegypten. Die Aegypter sind zwar niemals ein eigentliches
Seevolk gewesen; aber da das Meer die Völker nicht trennt, sondern vielmehr
verbindet, und da ein thatkräftiger Nebenbuhler noch fehlte, so reichten die



Cypern, seine alten Städte, Gräber und Tempel. Bericht über 10jährige For¬
schungen und Ausgrabungen auf der Insel von Louis Palma ti Cesuola. Autorisirte
deutsche Uebersetzung von L, Stern mit einleitenden Vorwort von G- Ebers. Mit mehr
als 600 in den Text und auf 96 Tafeln gedruckten Holzschnitt-Illustrationen, 12 litho-
graphirten Schrifttafcln und 2 Karten. Jena, Costenoble, 1879.

sie gewährt ein recht anschauliches Bild französischer Sitte. Hier sehen wir
die Pariser Arbeiter, welche sonst den Anspruch erheben, Frankreich zu be¬
herrschen und sogar die ganze Welt zu verjüngen und umzuwandeln, als prah¬
lerische Trunkenbolde, der geschlechtlichen Ausschweifung ergeben, eine unwissende,
leichtgläubige, wetterwendische Masse, die sich heute für den ewigen Frieden
und morgen schon um der dreißig Kupferlinge willen für das Gegentheil ver¬
wenden läßt, indem sie erst gegen den Krieg, dann gegen den äußeren Feind
und zuletzt gegen ihre eigenen Landsleute, bald für, bald gegen ihr Vaterland
auftritt."




Me neuesten Ausgrabungen aus Zypern*)

Wie das leichte Boot jede Bewegung des voraneilender Schiffes mitmacht,
in dessen Kielwasser es schwimmt, so sind die Geschicke Cyperns von jeher an
die der leitenden Seemächte gekettet gewesen: wer die Herrschaft über das
Mittelmeer errungen, dem fiel der Besitz dieser schönen Insel gleichsam von
selbst zu. Zu den Zeiten, als noch der venezianische Doge alljährlich auf dem
Bucentoro in prächtigem Zuge hinausfuhr, um durch den Ring, den er in die
Fluthen versenkte, seine Republik dem Meere zu vermählen, gehorchte Cypern
dem Löwen von S. Marco. Als später die Küsten des Mittelmeeres vor den
Flotten der Ungläubigen zitterten, ward die Insel türkisch. Jetzt hat England
Cypern besetzt zum Zeichen, daß es seine Meeresherrschaft auch über das
Mittelmeer auszudehnen Willens ist, um, gestützt auf Gibraltar, Malta, Suez
und Cypern, auch den neuen Seeweg nach Indien zu beherrschen. Die Besitz¬
ergreifung rief deshalb fast bei allen Mittelmeervölkern, besonders aber bei den
Italienern, eine tiefgehende Entrüstung hervor, weil allzudeutlich an den Tag
kam, daß sie nicht mehr Herren sind im eigenen Hause.

Schon im Alterthume war das Schicksal der Insel ein ähnliches wie heut¬
zutage. Cypern war ein Zankapfel zwischen den großen Monarchien Asiens,
Phönicien und Aegypten. Die Aegypter sind zwar niemals ein eigentliches
Seevolk gewesen; aber da das Meer die Völker nicht trennt, sondern vielmehr
verbindet, und da ein thatkräftiger Nebenbuhler noch fehlte, so reichten die



Cypern, seine alten Städte, Gräber und Tempel. Bericht über 10jährige For¬
schungen und Ausgrabungen auf der Insel von Louis Palma ti Cesuola. Autorisirte
deutsche Uebersetzung von L, Stern mit einleitenden Vorwort von G- Ebers. Mit mehr
als 600 in den Text und auf 96 Tafeln gedruckten Holzschnitt-Illustrationen, 12 litho-
graphirten Schrifttafcln und 2 Karten. Jena, Costenoble, 1879.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143461"/>
          <p xml:id="ID_1202" prev="#ID_1201"> sie gewährt ein recht anschauliches Bild französischer Sitte. Hier sehen wir<lb/>
die Pariser Arbeiter, welche sonst den Anspruch erheben, Frankreich zu be¬<lb/>
herrschen und sogar die ganze Welt zu verjüngen und umzuwandeln, als prah¬<lb/>
lerische Trunkenbolde, der geschlechtlichen Ausschweifung ergeben, eine unwissende,<lb/>
leichtgläubige, wetterwendische Masse, die sich heute für den ewigen Frieden<lb/>
und morgen schon um der dreißig Kupferlinge willen für das Gegentheil ver¬<lb/>
wenden läßt, indem sie erst gegen den Krieg, dann gegen den äußeren Feind<lb/>
und zuletzt gegen ihre eigenen Landsleute, bald für, bald gegen ihr Vaterland<lb/>
auftritt."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Me neuesten Ausgrabungen aus Zypern*)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1203"> Wie das leichte Boot jede Bewegung des voraneilender Schiffes mitmacht,<lb/>
in dessen Kielwasser es schwimmt, so sind die Geschicke Cyperns von jeher an<lb/>
die der leitenden Seemächte gekettet gewesen: wer die Herrschaft über das<lb/>
Mittelmeer errungen, dem fiel der Besitz dieser schönen Insel gleichsam von<lb/>
selbst zu. Zu den Zeiten, als noch der venezianische Doge alljährlich auf dem<lb/>
Bucentoro in prächtigem Zuge hinausfuhr, um durch den Ring, den er in die<lb/>
Fluthen versenkte, seine Republik dem Meere zu vermählen, gehorchte Cypern<lb/>
dem Löwen von S. Marco. Als später die Küsten des Mittelmeeres vor den<lb/>
Flotten der Ungläubigen zitterten, ward die Insel türkisch. Jetzt hat England<lb/>
Cypern besetzt zum Zeichen, daß es seine Meeresherrschaft auch über das<lb/>
Mittelmeer auszudehnen Willens ist, um, gestützt auf Gibraltar, Malta, Suez<lb/>
und Cypern, auch den neuen Seeweg nach Indien zu beherrschen. Die Besitz¬<lb/>
ergreifung rief deshalb fast bei allen Mittelmeervölkern, besonders aber bei den<lb/>
Italienern, eine tiefgehende Entrüstung hervor, weil allzudeutlich an den Tag<lb/>
kam, daß sie nicht mehr Herren sind im eigenen Hause.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1204" next="#ID_1205"> Schon im Alterthume war das Schicksal der Insel ein ähnliches wie heut¬<lb/>
zutage. Cypern war ein Zankapfel zwischen den großen Monarchien Asiens,<lb/>
Phönicien und Aegypten. Die Aegypter sind zwar niemals ein eigentliches<lb/>
Seevolk gewesen; aber da das Meer die Völker nicht trennt, sondern vielmehr<lb/>
verbindet, und da ein thatkräftiger Nebenbuhler noch fehlte, so reichten die</p><lb/>
          <note xml:id="FID_52" place="foot"> Cypern, seine alten Städte, Gräber und Tempel. Bericht über 10jährige For¬<lb/>
schungen und Ausgrabungen auf der Insel von Louis Palma ti Cesuola. Autorisirte<lb/>
deutsche Uebersetzung von L, Stern mit einleitenden Vorwort von G- Ebers. Mit mehr<lb/>
als 600 in den Text und auf 96 Tafeln gedruckten Holzschnitt-Illustrationen, 12 litho-<lb/>
graphirten Schrifttafcln und 2 Karten. Jena, Costenoble, 1879.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0406] sie gewährt ein recht anschauliches Bild französischer Sitte. Hier sehen wir die Pariser Arbeiter, welche sonst den Anspruch erheben, Frankreich zu be¬ herrschen und sogar die ganze Welt zu verjüngen und umzuwandeln, als prah¬ lerische Trunkenbolde, der geschlechtlichen Ausschweifung ergeben, eine unwissende, leichtgläubige, wetterwendische Masse, die sich heute für den ewigen Frieden und morgen schon um der dreißig Kupferlinge willen für das Gegentheil ver¬ wenden läßt, indem sie erst gegen den Krieg, dann gegen den äußeren Feind und zuletzt gegen ihre eigenen Landsleute, bald für, bald gegen ihr Vaterland auftritt." Me neuesten Ausgrabungen aus Zypern*) Wie das leichte Boot jede Bewegung des voraneilender Schiffes mitmacht, in dessen Kielwasser es schwimmt, so sind die Geschicke Cyperns von jeher an die der leitenden Seemächte gekettet gewesen: wer die Herrschaft über das Mittelmeer errungen, dem fiel der Besitz dieser schönen Insel gleichsam von selbst zu. Zu den Zeiten, als noch der venezianische Doge alljährlich auf dem Bucentoro in prächtigem Zuge hinausfuhr, um durch den Ring, den er in die Fluthen versenkte, seine Republik dem Meere zu vermählen, gehorchte Cypern dem Löwen von S. Marco. Als später die Küsten des Mittelmeeres vor den Flotten der Ungläubigen zitterten, ward die Insel türkisch. Jetzt hat England Cypern besetzt zum Zeichen, daß es seine Meeresherrschaft auch über das Mittelmeer auszudehnen Willens ist, um, gestützt auf Gibraltar, Malta, Suez und Cypern, auch den neuen Seeweg nach Indien zu beherrschen. Die Besitz¬ ergreifung rief deshalb fast bei allen Mittelmeervölkern, besonders aber bei den Italienern, eine tiefgehende Entrüstung hervor, weil allzudeutlich an den Tag kam, daß sie nicht mehr Herren sind im eigenen Hause. Schon im Alterthume war das Schicksal der Insel ein ähnliches wie heut¬ zutage. Cypern war ein Zankapfel zwischen den großen Monarchien Asiens, Phönicien und Aegypten. Die Aegypter sind zwar niemals ein eigentliches Seevolk gewesen; aber da das Meer die Völker nicht trennt, sondern vielmehr verbindet, und da ein thatkräftiger Nebenbuhler noch fehlte, so reichten die Cypern, seine alten Städte, Gräber und Tempel. Bericht über 10jährige For¬ schungen und Ausgrabungen auf der Insel von Louis Palma ti Cesuola. Autorisirte deutsche Uebersetzung von L, Stern mit einleitenden Vorwort von G- Ebers. Mit mehr als 600 in den Text und auf 96 Tafeln gedruckten Holzschnitt-Illustrationen, 12 litho- graphirten Schrifttafcln und 2 Karten. Jena, Costenoble, 1879.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/406
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/406>, abgerufen am 03.07.2024.