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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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sich ein Preußen lieber angeschlossen hatte, jetzt gegen einen Anschluß an Preußen
war, so wird man schwerlich behaupten können, daß er die Hoheit des Herzog-
thums an Preußen ausliefern wollte.

Es war dies die letzte wichtige Frage, die Gerstenberg zum Abschluß
brachte. Ueberblicke man die ganze Zeit seiner Amtsführung, so wird man zu
der Ueberzeugung gelangen, daß für den abgelaufenen Zeitraum, wo es galt,
ohne Engherzigkeit, aber auch ohne Uebereilung das Herzogthum in die neue
Ordnung der Dinge hineinzuführen und, ohne den Forderungen des Reichs
etwas zu versagen, doch die bisherige Selbständigkeit des Staates aufrecht zu
erhalten, daß für diesen Zeitraum keine geeignetere Persönlichkeit zur Leitung
der Geschäfte hätte berufen werden können als dieser wahrhafte Edelmann,
bei dem man nur zweifelhaft sein kann, ob seine Milde und persönliche Liebens¬
würdigkeit, oder seine Umsicht und Energie größer waren. Wenn alle kleinen
Staaten solche Männer an ihrer Spitze haben, dann steht es wohl mit ihnen,
und von ganzem Herzen muß man dem Herzogthume wünschen, daß das Ver¬
trauen des Herzogs einen Mann zum Nachfolger berufen möge, der in
gleichem Geiste und mit gleichem Geschick zu wirken verspricht wie Gerstenberg.




Im Geschichte der deutschen Kanse.

Seit den ersten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts, insbesondere seit -- Dank
der genialen Anregung des Freiherrn v. Stein -- die großartig angelegte Quellen¬
sammlung sür die deutsche Geschichte, die Uonuiuoiitg, (Toren^illas lüstorioa,
der Wissenschaft ganz neue Grundlagen schuf, hat die Erforschung des deutschen
Mittelalters einen gewaltigen Aufschwung genommen. Doch ist dieser vorzugs¬
weise den früheren Jahrhunderten zu gute gekommen. Erst seit wenigen Jahren
bricht sich mehr und mehr die Ueberzeugung Bahn, daß es nunmehr auch an
der Zeit ist, die bisher stiefmütterlich, hie und da selbst mit einer großen
Geringschätzung behandelten nachstaufischen Perioden des Mittelalters zu durch¬
forschen. Die Aufgaben, die sich dem Historiker hier bieten, sind freilich schwierig
und anscheinend wohl auch undankbar. Doch gewiß nur anscheinend. Zwar
fehlt der Glanz der deutschen Kaiserzeit, die den Gestalten des frühern Mittel¬
alters, so unsicher auch ihre Umrisse theilweise im Lichte der Quellen sind,
dennoch eine ideale Bedeutung leiht; zwar theilt sich der breite Strom der
deutschen Reichsgeschichte in ein Gewirr von manchmal recht uninteressanter


sich ein Preußen lieber angeschlossen hatte, jetzt gegen einen Anschluß an Preußen
war, so wird man schwerlich behaupten können, daß er die Hoheit des Herzog-
thums an Preußen ausliefern wollte.

Es war dies die letzte wichtige Frage, die Gerstenberg zum Abschluß
brachte. Ueberblicke man die ganze Zeit seiner Amtsführung, so wird man zu
der Ueberzeugung gelangen, daß für den abgelaufenen Zeitraum, wo es galt,
ohne Engherzigkeit, aber auch ohne Uebereilung das Herzogthum in die neue
Ordnung der Dinge hineinzuführen und, ohne den Forderungen des Reichs
etwas zu versagen, doch die bisherige Selbständigkeit des Staates aufrecht zu
erhalten, daß für diesen Zeitraum keine geeignetere Persönlichkeit zur Leitung
der Geschäfte hätte berufen werden können als dieser wahrhafte Edelmann,
bei dem man nur zweifelhaft sein kann, ob seine Milde und persönliche Liebens¬
würdigkeit, oder seine Umsicht und Energie größer waren. Wenn alle kleinen
Staaten solche Männer an ihrer Spitze haben, dann steht es wohl mit ihnen,
und von ganzem Herzen muß man dem Herzogthume wünschen, daß das Ver¬
trauen des Herzogs einen Mann zum Nachfolger berufen möge, der in
gleichem Geiste und mit gleichem Geschick zu wirken verspricht wie Gerstenberg.




Im Geschichte der deutschen Kanse.

Seit den ersten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts, insbesondere seit — Dank
der genialen Anregung des Freiherrn v. Stein — die großartig angelegte Quellen¬
sammlung sür die deutsche Geschichte, die Uonuiuoiitg, (Toren^illas lüstorioa,
der Wissenschaft ganz neue Grundlagen schuf, hat die Erforschung des deutschen
Mittelalters einen gewaltigen Aufschwung genommen. Doch ist dieser vorzugs¬
weise den früheren Jahrhunderten zu gute gekommen. Erst seit wenigen Jahren
bricht sich mehr und mehr die Ueberzeugung Bahn, daß es nunmehr auch an
der Zeit ist, die bisher stiefmütterlich, hie und da selbst mit einer großen
Geringschätzung behandelten nachstaufischen Perioden des Mittelalters zu durch¬
forschen. Die Aufgaben, die sich dem Historiker hier bieten, sind freilich schwierig
und anscheinend wohl auch undankbar. Doch gewiß nur anscheinend. Zwar
fehlt der Glanz der deutschen Kaiserzeit, die den Gestalten des frühern Mittel¬
alters, so unsicher auch ihre Umrisse theilweise im Lichte der Quellen sind,
dennoch eine ideale Bedeutung leiht; zwar theilt sich der breite Strom der
deutschen Reichsgeschichte in ein Gewirr von manchmal recht uninteressanter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/486>, abgerufen am 27.07.2024.