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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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politische Ariefe.
in.
Die Ehre der Todten und der Lebenden.

Der Strom des Lebens, der in unseren Tagen so lärmend dahinrauscht,
schien einige Tage zu verstummen vor dem Andenken eines Todten. Am
23. Februar ist Albert v. Roon heimgegangen. Vor dem Gedanken unver¬
geßlichen Verdienstes schwand die Erinnerung erbitterten Kampfes. Auch die
englische Presse hat es an theilnehmender Würdigung nicht fehlen lassen. Aber
wie viel Ehrendes über den Verstorbenen gesagt worden, die rechte Bezeichnung
seines Wesens vermißte man. Soldatischer Gehorsam und vollkommene Selbst¬
verleugnung bei eigenster Schöpferkraft, wissenschaftlicher Forschergeist, un¬
abhängiges Urtheil und unerschrockene Prüfung bei kindlichem Glauben und
frommer Hingebung: das waren die Gegensätze, die sich so selten vereinigen
lassen, und die er so völlig vereinigte. Vor diesem Manne der Unerschrocken-
heit, der Selbstlosigkeit und des unzerbrechlichen Willens, der ein großes Ge¬
biet des Wissens beherrschte wie Einer und zugleich Meister des klaren und
schönen Ausdruckes war wie Wenige -- wie leicht erscheint doch vor einem
solchen Manne die thörichte Einbildung, daß Skeptizismus, Atheismus, Mate¬
rialismus eine Probe von Geistesstärke seien. Die großen Leistungen mensch¬
licher Kraft, wo wir ihnen immer begegnen, weisen niemals auf diesen trüben
und seichten Quell zurück.

Früh verwaist, war Albert v. Roon ein Zögling des Kadettenhauses, jener
Anstalt, die liberalerseits als Herd mechanischer Dressur mit Vorliebe bezeich¬
net wird. Scherzend pflegte er auf sich hinzuweisen, um zu zeigen, daß die
Früchte der Kadettenerziehung doch zuweilen nicht ganz mißrathen. Roon, der eine
Predigerstochter zur Gattin hatte und ein tadelloses Leben geführt hat, war
eine der schönsten männlichen Erscheinungen. Vom Studium und von schwerer
Berufsarbeit ist sein Leben ausgefüllt gewesen. Es hat seinem König und
seinem Staate die werthvollste Frucht getragen und sein Andenken mit unver-
welklichen Lorbeer geschmückt, freilich ihm selbst hat es die Genugthuung des
Führers auf dem Schlachtfelde versagt, die ihm so nahe gelegen hätte, auf
die er aber bei der ihm zugefallenen organisatorischen Arbeit verzichten mußte.
Er brachte dieses Opfer, wie jedes andere, der Pflicht. Manche seiner Worte
sind in diesen Tagen der Erinnerung angeführt worden. Zweier derselben
möge noch einmal gedacht werden. Das eine ist in jüngster Zeit viel genannt
worden. In einer jener zahlreichen Sitzungen des Abgeordnetenhauses während


politische Ariefe.
in.
Die Ehre der Todten und der Lebenden.

Der Strom des Lebens, der in unseren Tagen so lärmend dahinrauscht,
schien einige Tage zu verstummen vor dem Andenken eines Todten. Am
23. Februar ist Albert v. Roon heimgegangen. Vor dem Gedanken unver¬
geßlichen Verdienstes schwand die Erinnerung erbitterten Kampfes. Auch die
englische Presse hat es an theilnehmender Würdigung nicht fehlen lassen. Aber
wie viel Ehrendes über den Verstorbenen gesagt worden, die rechte Bezeichnung
seines Wesens vermißte man. Soldatischer Gehorsam und vollkommene Selbst¬
verleugnung bei eigenster Schöpferkraft, wissenschaftlicher Forschergeist, un¬
abhängiges Urtheil und unerschrockene Prüfung bei kindlichem Glauben und
frommer Hingebung: das waren die Gegensätze, die sich so selten vereinigen
lassen, und die er so völlig vereinigte. Vor diesem Manne der Unerschrocken-
heit, der Selbstlosigkeit und des unzerbrechlichen Willens, der ein großes Ge¬
biet des Wissens beherrschte wie Einer und zugleich Meister des klaren und
schönen Ausdruckes war wie Wenige — wie leicht erscheint doch vor einem
solchen Manne die thörichte Einbildung, daß Skeptizismus, Atheismus, Mate¬
rialismus eine Probe von Geistesstärke seien. Die großen Leistungen mensch¬
licher Kraft, wo wir ihnen immer begegnen, weisen niemals auf diesen trüben
und seichten Quell zurück.

Früh verwaist, war Albert v. Roon ein Zögling des Kadettenhauses, jener
Anstalt, die liberalerseits als Herd mechanischer Dressur mit Vorliebe bezeich¬
net wird. Scherzend pflegte er auf sich hinzuweisen, um zu zeigen, daß die
Früchte der Kadettenerziehung doch zuweilen nicht ganz mißrathen. Roon, der eine
Predigerstochter zur Gattin hatte und ein tadelloses Leben geführt hat, war
eine der schönsten männlichen Erscheinungen. Vom Studium und von schwerer
Berufsarbeit ist sein Leben ausgefüllt gewesen. Es hat seinem König und
seinem Staate die werthvollste Frucht getragen und sein Andenken mit unver-
welklichen Lorbeer geschmückt, freilich ihm selbst hat es die Genugthuung des
Führers auf dem Schlachtfelde versagt, die ihm so nahe gelegen hätte, auf
die er aber bei der ihm zugefallenen organisatorischen Arbeit verzichten mußte.
Er brachte dieses Opfer, wie jedes andere, der Pflicht. Manche seiner Worte
sind in diesen Tagen der Erinnerung angeführt worden. Zweier derselben
möge noch einmal gedacht werden. Das eine ist in jüngster Zeit viel genannt
worden. In einer jener zahlreichen Sitzungen des Abgeordnetenhauses während


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[0414] politische Ariefe. in. Die Ehre der Todten und der Lebenden. Der Strom des Lebens, der in unseren Tagen so lärmend dahinrauscht, schien einige Tage zu verstummen vor dem Andenken eines Todten. Am 23. Februar ist Albert v. Roon heimgegangen. Vor dem Gedanken unver¬ geßlichen Verdienstes schwand die Erinnerung erbitterten Kampfes. Auch die englische Presse hat es an theilnehmender Würdigung nicht fehlen lassen. Aber wie viel Ehrendes über den Verstorbenen gesagt worden, die rechte Bezeichnung seines Wesens vermißte man. Soldatischer Gehorsam und vollkommene Selbst¬ verleugnung bei eigenster Schöpferkraft, wissenschaftlicher Forschergeist, un¬ abhängiges Urtheil und unerschrockene Prüfung bei kindlichem Glauben und frommer Hingebung: das waren die Gegensätze, die sich so selten vereinigen lassen, und die er so völlig vereinigte. Vor diesem Manne der Unerschrocken- heit, der Selbstlosigkeit und des unzerbrechlichen Willens, der ein großes Ge¬ biet des Wissens beherrschte wie Einer und zugleich Meister des klaren und schönen Ausdruckes war wie Wenige — wie leicht erscheint doch vor einem solchen Manne die thörichte Einbildung, daß Skeptizismus, Atheismus, Mate¬ rialismus eine Probe von Geistesstärke seien. Die großen Leistungen mensch¬ licher Kraft, wo wir ihnen immer begegnen, weisen niemals auf diesen trüben und seichten Quell zurück. Früh verwaist, war Albert v. Roon ein Zögling des Kadettenhauses, jener Anstalt, die liberalerseits als Herd mechanischer Dressur mit Vorliebe bezeich¬ net wird. Scherzend pflegte er auf sich hinzuweisen, um zu zeigen, daß die Früchte der Kadettenerziehung doch zuweilen nicht ganz mißrathen. Roon, der eine Predigerstochter zur Gattin hatte und ein tadelloses Leben geführt hat, war eine der schönsten männlichen Erscheinungen. Vom Studium und von schwerer Berufsarbeit ist sein Leben ausgefüllt gewesen. Es hat seinem König und seinem Staate die werthvollste Frucht getragen und sein Andenken mit unver- welklichen Lorbeer geschmückt, freilich ihm selbst hat es die Genugthuung des Führers auf dem Schlachtfelde versagt, die ihm so nahe gelegen hätte, auf die er aber bei der ihm zugefallenen organisatorischen Arbeit verzichten mußte. Er brachte dieses Opfer, wie jedes andere, der Pflicht. Manche seiner Worte sind in diesen Tagen der Erinnerung angeführt worden. Zweier derselben möge noch einmal gedacht werden. Das eine ist in jüngster Zeit viel genannt worden. In einer jener zahlreichen Sitzungen des Abgeordnetenhauses während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/414>, abgerufen am 29.06.2024.