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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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ren Bilde nachlässiger behandelt sind, so möchten wir eher darin eine feine
Absicht des Meisters erkennen, der den Hintergrund absichtlich flüchtiger behan¬
delte oder behandeln ließ, um die Wirkung der herrlichen Madonna mit dem
Kinde zu erhöhen. Erst ein kopirender Schüler mag für das Beiwerk größere
Muße und größeres Interesse gefunden haben als Raffael, der zur Zeit der
Entstehung des Bildes mit Aufträgen mehr als jemals überhäuft war.

Dieses eine kleine Beispiel mag zeigen, wie sehr sich die Schwierigkeiten
häufen, statt sich zu vermindern. Von den dreizehn Bildern, welche der Katalog
des Louvre dem Urbinaten zuschreibt, behandelt Springer nur sieben. Im
Verschweigen liegt sicherlich ein gut Theil Kritik. Doch wäre es uicht über¬
flüssig gewesen, wenn Springer mit wenigen Worten auf die Gründe hinge¬
wiesen hätte, die ihn veranlaßt, von diesen und andern Bildern abzusehen.

Wie Crowe und Cavalcaselle's Tizian-Biographie, gebührt auch der Arbeit
Springer's ein Ehrenplatz in unserer kunstwissenschaftlicher Literatur. Die Auf¬
gabe der Ersteren war insofern dankbarer, als der Reflex keiner Vorarbeit von
Bedeutung auf die ihrige fiel. Springer hatte eine in's Ungeheuere ange¬
wachsene Literatur zu bewältigen, eine Aufgabe, die er mit unbestreitbarem
Erfolge gelöst hat. Es wird geraume Zeit dauern, bis Jemand den Muth
gewinnen wird, nach ihm diese Sisyphosarbeit von Neuem zu unternehmen.
Wer das Wagniß beginnt, findet in Springer's Werk ein sicheres Fundament.

Es bleibt uns noch übrig, auf die trefflichen Illustrationen hinzuweisen,
mit welchen der unermüdlich stets auf die Förderung der Xylographie bedachte
Verleger den Text hat illustriren lassen. Von den neunzig Illustrationen ist
die überwiegende Mehrzahl neu angefertigt worden. Es stört uns keines der
Wandereliches, die seit Jahrzehnten unsere kunsthistorischen Bücher verunstalten.
Der Schatz der Handzeichnungen, welchen die Photographie gehoben hat, ist
besonders fleißig benutzt worden, und gerade in der Wiedergabe dieser lehr¬
reichsten Zeugnisse des künstlerischen Schaffens haben die Xylographen Vortreff¬
liches geleistet.




Lin angeblich Hoethischer Kunstaussatz.

Ein Theil der im Leipziger Museum befindlichen altdeutschen Bilder,
namentlich von den beiden Cranach und aus ihrer Schule, hat eine besondere
Berühmtheit erlangt, weil Goethe es gewesen, der die erste Nachricht über sie
veröffentlichte. Sie wurden im Jahre 1815 auf den Böden der beiden Leipziger


Grenzboten I. 1L7ö. 4

ren Bilde nachlässiger behandelt sind, so möchten wir eher darin eine feine
Absicht des Meisters erkennen, der den Hintergrund absichtlich flüchtiger behan¬
delte oder behandeln ließ, um die Wirkung der herrlichen Madonna mit dem
Kinde zu erhöhen. Erst ein kopirender Schüler mag für das Beiwerk größere
Muße und größeres Interesse gefunden haben als Raffael, der zur Zeit der
Entstehung des Bildes mit Aufträgen mehr als jemals überhäuft war.

Dieses eine kleine Beispiel mag zeigen, wie sehr sich die Schwierigkeiten
häufen, statt sich zu vermindern. Von den dreizehn Bildern, welche der Katalog
des Louvre dem Urbinaten zuschreibt, behandelt Springer nur sieben. Im
Verschweigen liegt sicherlich ein gut Theil Kritik. Doch wäre es uicht über¬
flüssig gewesen, wenn Springer mit wenigen Worten auf die Gründe hinge¬
wiesen hätte, die ihn veranlaßt, von diesen und andern Bildern abzusehen.

Wie Crowe und Cavalcaselle's Tizian-Biographie, gebührt auch der Arbeit
Springer's ein Ehrenplatz in unserer kunstwissenschaftlicher Literatur. Die Auf¬
gabe der Ersteren war insofern dankbarer, als der Reflex keiner Vorarbeit von
Bedeutung auf die ihrige fiel. Springer hatte eine in's Ungeheuere ange¬
wachsene Literatur zu bewältigen, eine Aufgabe, die er mit unbestreitbarem
Erfolge gelöst hat. Es wird geraume Zeit dauern, bis Jemand den Muth
gewinnen wird, nach ihm diese Sisyphosarbeit von Neuem zu unternehmen.
Wer das Wagniß beginnt, findet in Springer's Werk ein sicheres Fundament.

Es bleibt uns noch übrig, auf die trefflichen Illustrationen hinzuweisen,
mit welchen der unermüdlich stets auf die Förderung der Xylographie bedachte
Verleger den Text hat illustriren lassen. Von den neunzig Illustrationen ist
die überwiegende Mehrzahl neu angefertigt worden. Es stört uns keines der
Wandereliches, die seit Jahrzehnten unsere kunsthistorischen Bücher verunstalten.
Der Schatz der Handzeichnungen, welchen die Photographie gehoben hat, ist
besonders fleißig benutzt worden, und gerade in der Wiedergabe dieser lehr¬
reichsten Zeugnisse des künstlerischen Schaffens haben die Xylographen Vortreff¬
liches geleistet.




Lin angeblich Hoethischer Kunstaussatz.

Ein Theil der im Leipziger Museum befindlichen altdeutschen Bilder,
namentlich von den beiden Cranach und aus ihrer Schule, hat eine besondere
Berühmtheit erlangt, weil Goethe es gewesen, der die erste Nachricht über sie
veröffentlichte. Sie wurden im Jahre 1815 auf den Böden der beiden Leipziger


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[0033] ren Bilde nachlässiger behandelt sind, so möchten wir eher darin eine feine Absicht des Meisters erkennen, der den Hintergrund absichtlich flüchtiger behan¬ delte oder behandeln ließ, um die Wirkung der herrlichen Madonna mit dem Kinde zu erhöhen. Erst ein kopirender Schüler mag für das Beiwerk größere Muße und größeres Interesse gefunden haben als Raffael, der zur Zeit der Entstehung des Bildes mit Aufträgen mehr als jemals überhäuft war. Dieses eine kleine Beispiel mag zeigen, wie sehr sich die Schwierigkeiten häufen, statt sich zu vermindern. Von den dreizehn Bildern, welche der Katalog des Louvre dem Urbinaten zuschreibt, behandelt Springer nur sieben. Im Verschweigen liegt sicherlich ein gut Theil Kritik. Doch wäre es uicht über¬ flüssig gewesen, wenn Springer mit wenigen Worten auf die Gründe hinge¬ wiesen hätte, die ihn veranlaßt, von diesen und andern Bildern abzusehen. Wie Crowe und Cavalcaselle's Tizian-Biographie, gebührt auch der Arbeit Springer's ein Ehrenplatz in unserer kunstwissenschaftlicher Literatur. Die Auf¬ gabe der Ersteren war insofern dankbarer, als der Reflex keiner Vorarbeit von Bedeutung auf die ihrige fiel. Springer hatte eine in's Ungeheuere ange¬ wachsene Literatur zu bewältigen, eine Aufgabe, die er mit unbestreitbarem Erfolge gelöst hat. Es wird geraume Zeit dauern, bis Jemand den Muth gewinnen wird, nach ihm diese Sisyphosarbeit von Neuem zu unternehmen. Wer das Wagniß beginnt, findet in Springer's Werk ein sicheres Fundament. Es bleibt uns noch übrig, auf die trefflichen Illustrationen hinzuweisen, mit welchen der unermüdlich stets auf die Förderung der Xylographie bedachte Verleger den Text hat illustriren lassen. Von den neunzig Illustrationen ist die überwiegende Mehrzahl neu angefertigt worden. Es stört uns keines der Wandereliches, die seit Jahrzehnten unsere kunsthistorischen Bücher verunstalten. Der Schatz der Handzeichnungen, welchen die Photographie gehoben hat, ist besonders fleißig benutzt worden, und gerade in der Wiedergabe dieser lehr¬ reichsten Zeugnisse des künstlerischen Schaffens haben die Xylographen Vortreff¬ liches geleistet. Lin angeblich Hoethischer Kunstaussatz. Ein Theil der im Leipziger Museum befindlichen altdeutschen Bilder, namentlich von den beiden Cranach und aus ihrer Schule, hat eine besondere Berühmtheit erlangt, weil Goethe es gewesen, der die erste Nachricht über sie veröffentlichte. Sie wurden im Jahre 1815 auf den Böden der beiden Leipziger Grenzboten I. 1L7ö. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/33>, abgerufen am 03.07.2024.