Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Kunst XIII, Heft 4 und 5) gezeigt. Ans diesem Wege ist fortzuschreiten.
Ihn gewiesen, gewissermaßen das Fachwerk aufgeschlagen zu haben, in welches
die Steine einzufügen sind, ist Springer's Verdienst.

Der zweite Theil der Aufgabe, der oft von unschätzbarer Wichtigkeit ist,
kann nur von Forschern gelöst werden, die in der glücklichen Lage sind, die
Geschichte der italienischen Familien und Herrscherhäuser mit so klarem Ange
zu durchschauen wie Herr v. Reumont. Zu den manichfachen Verdiensten, welche
sich der berühmte Historiker um die italienische Kunstgeschichte erworben hat,
gesellt sich auch die Feststellung der Schicksale manches berühmten Bildes.
Noch vor wenigen Wochen hat er in der Augsb. Allgem. Zeitung über die
mannichfachen Besitzveränderungen berichtet, denen die liebliche Madonna aus
dem Hause Couuestabile unterworfen war, bis sie im Jahre 1871 eine dauernde
Stätte in Petersburg fand.

Von welcher Wichtigkeit solche Feststellungen sind, beweist am besten die
kürzlich wieder aus Privatbesitz aufgetauchte Madonna mit den Kande¬
labern. Sie befand sich zuletzt im Besitze A. I. Munro's in London, nach
dessen Tode sie im Auftrage der Erben versteigert werden sollte. Um die
Kauflust der Kunstfreunde anzufeuern, wurde das Bild vor der Auktion nach
Paris gesandt, wo es während des Monats Mai ausgestellt wurde. Das
letzte Gebot -- 409,500 Mark -- erschien den Erben nicht preiswürdig genug,
so daß sie das Bild aus der Versteigerung zurückzogen. Die Geschichte der
Madonna mit den Kandelabern läßt sich nur bis an das Ende des vorigen
Jahrhunderts zurückverfolgen. Damals befand sich das kleine Ruudbild in der
Galerie Borghese in Rom. Zu gleicher Zeit befand sich aber auch daselbst
ein zweites Exemplar, welches der Schriftsteller Robinson in London besitzt.
Springer vermuthet in dem (Munro'scheu) Bilde "eine Überarbeitung eines
älteren Entwurfes, ein florentinisches Motiv in römischen Formen." Er findet
die Zusammenstellung der beiden Kandelaber tragenden Engel mit der Haupt¬
gruppe "steif". Schon Waagen hat einige Bedenken gegen dieses Bild ausge¬
sprochen, bei welchem er, namentlich bei dem Kinde und bei den Engeln, die
Beihilfe des Giulio Romano erkennen wollte. Der Schreiber dieser Zeilen,
der nur das Munro'sche Exemplar kennt, kann sich diesem Urtheile nur anschlie¬
ßen. Der wundervolle Kopf und die linke, einzig sichtbare Hand der Madonna
scheinen ihm jedoch bis auf den kleinsten Pinselstrich das Werk Raffael's zu sein.
Auch auf dem Robinson'schen Exemplare glaubt I. P. Richter (Kunstchronik
1878, S. 623 f.) die Hand Raffael's, besonders an dem Christkinde, konstatiren
zu können. Sonst ist das Robinson'sche Bild nur in den untergeordneten Par-
tieen, in der Behandlung der Haare, der Engel, der Flammen und der Reflex¬
lichter, dem Muner'schen überlegen. Wenn gerade diese Partieen auf dem letzte-


Kunst XIII, Heft 4 und 5) gezeigt. Ans diesem Wege ist fortzuschreiten.
Ihn gewiesen, gewissermaßen das Fachwerk aufgeschlagen zu haben, in welches
die Steine einzufügen sind, ist Springer's Verdienst.

Der zweite Theil der Aufgabe, der oft von unschätzbarer Wichtigkeit ist,
kann nur von Forschern gelöst werden, die in der glücklichen Lage sind, die
Geschichte der italienischen Familien und Herrscherhäuser mit so klarem Ange
zu durchschauen wie Herr v. Reumont. Zu den manichfachen Verdiensten, welche
sich der berühmte Historiker um die italienische Kunstgeschichte erworben hat,
gesellt sich auch die Feststellung der Schicksale manches berühmten Bildes.
Noch vor wenigen Wochen hat er in der Augsb. Allgem. Zeitung über die
mannichfachen Besitzveränderungen berichtet, denen die liebliche Madonna aus
dem Hause Couuestabile unterworfen war, bis sie im Jahre 1871 eine dauernde
Stätte in Petersburg fand.

Von welcher Wichtigkeit solche Feststellungen sind, beweist am besten die
kürzlich wieder aus Privatbesitz aufgetauchte Madonna mit den Kande¬
labern. Sie befand sich zuletzt im Besitze A. I. Munro's in London, nach
dessen Tode sie im Auftrage der Erben versteigert werden sollte. Um die
Kauflust der Kunstfreunde anzufeuern, wurde das Bild vor der Auktion nach
Paris gesandt, wo es während des Monats Mai ausgestellt wurde. Das
letzte Gebot — 409,500 Mark — erschien den Erben nicht preiswürdig genug,
so daß sie das Bild aus der Versteigerung zurückzogen. Die Geschichte der
Madonna mit den Kandelabern läßt sich nur bis an das Ende des vorigen
Jahrhunderts zurückverfolgen. Damals befand sich das kleine Ruudbild in der
Galerie Borghese in Rom. Zu gleicher Zeit befand sich aber auch daselbst
ein zweites Exemplar, welches der Schriftsteller Robinson in London besitzt.
Springer vermuthet in dem (Munro'scheu) Bilde „eine Überarbeitung eines
älteren Entwurfes, ein florentinisches Motiv in römischen Formen." Er findet
die Zusammenstellung der beiden Kandelaber tragenden Engel mit der Haupt¬
gruppe „steif". Schon Waagen hat einige Bedenken gegen dieses Bild ausge¬
sprochen, bei welchem er, namentlich bei dem Kinde und bei den Engeln, die
Beihilfe des Giulio Romano erkennen wollte. Der Schreiber dieser Zeilen,
der nur das Munro'sche Exemplar kennt, kann sich diesem Urtheile nur anschlie¬
ßen. Der wundervolle Kopf und die linke, einzig sichtbare Hand der Madonna
scheinen ihm jedoch bis auf den kleinsten Pinselstrich das Werk Raffael's zu sein.
Auch auf dem Robinson'schen Exemplare glaubt I. P. Richter (Kunstchronik
1878, S. 623 f.) die Hand Raffael's, besonders an dem Christkinde, konstatiren
zu können. Sonst ist das Robinson'sche Bild nur in den untergeordneten Par-
tieen, in der Behandlung der Haare, der Engel, der Flammen und der Reflex¬
lichter, dem Muner'schen überlegen. Wenn gerade diese Partieen auf dem letzte-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141443"/>
          <p xml:id="ID_71" prev="#ID_70"> Kunst XIII, Heft 4 und 5) gezeigt. Ans diesem Wege ist fortzuschreiten.<lb/>
Ihn gewiesen, gewissermaßen das Fachwerk aufgeschlagen zu haben, in welches<lb/>
die Steine einzufügen sind, ist Springer's Verdienst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_72"> Der zweite Theil der Aufgabe, der oft von unschätzbarer Wichtigkeit ist,<lb/>
kann nur von Forschern gelöst werden, die in der glücklichen Lage sind, die<lb/>
Geschichte der italienischen Familien und Herrscherhäuser mit so klarem Ange<lb/>
zu durchschauen wie Herr v. Reumont. Zu den manichfachen Verdiensten, welche<lb/>
sich der berühmte Historiker um die italienische Kunstgeschichte erworben hat,<lb/>
gesellt sich auch die Feststellung der Schicksale manches berühmten Bildes.<lb/>
Noch vor wenigen Wochen hat er in der Augsb. Allgem. Zeitung über die<lb/>
mannichfachen Besitzveränderungen berichtet, denen die liebliche Madonna aus<lb/>
dem Hause Couuestabile unterworfen war, bis sie im Jahre 1871 eine dauernde<lb/>
Stätte in Petersburg fand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_73" next="#ID_74"> Von welcher Wichtigkeit solche Feststellungen sind, beweist am besten die<lb/>
kürzlich wieder aus Privatbesitz aufgetauchte Madonna mit den Kande¬<lb/>
labern. Sie befand sich zuletzt im Besitze A. I. Munro's in London, nach<lb/>
dessen Tode sie im Auftrage der Erben versteigert werden sollte. Um die<lb/>
Kauflust der Kunstfreunde anzufeuern, wurde das Bild vor der Auktion nach<lb/>
Paris gesandt, wo es während des Monats Mai ausgestellt wurde. Das<lb/>
letzte Gebot &#x2014; 409,500 Mark &#x2014; erschien den Erben nicht preiswürdig genug,<lb/>
so daß sie das Bild aus der Versteigerung zurückzogen. Die Geschichte der<lb/>
Madonna mit den Kandelabern läßt sich nur bis an das Ende des vorigen<lb/>
Jahrhunderts zurückverfolgen. Damals befand sich das kleine Ruudbild in der<lb/>
Galerie Borghese in Rom. Zu gleicher Zeit befand sich aber auch daselbst<lb/>
ein zweites Exemplar, welches der Schriftsteller Robinson in London besitzt.<lb/>
Springer vermuthet in dem (Munro'scheu) Bilde &#x201E;eine Überarbeitung eines<lb/>
älteren Entwurfes, ein florentinisches Motiv in römischen Formen." Er findet<lb/>
die Zusammenstellung der beiden Kandelaber tragenden Engel mit der Haupt¬<lb/>
gruppe &#x201E;steif". Schon Waagen hat einige Bedenken gegen dieses Bild ausge¬<lb/>
sprochen, bei welchem er, namentlich bei dem Kinde und bei den Engeln, die<lb/>
Beihilfe des Giulio Romano erkennen wollte. Der Schreiber dieser Zeilen,<lb/>
der nur das Munro'sche Exemplar kennt, kann sich diesem Urtheile nur anschlie¬<lb/>
ßen. Der wundervolle Kopf und die linke, einzig sichtbare Hand der Madonna<lb/>
scheinen ihm jedoch bis auf den kleinsten Pinselstrich das Werk Raffael's zu sein.<lb/>
Auch auf dem Robinson'schen Exemplare glaubt I. P. Richter (Kunstchronik<lb/>
1878, S. 623 f.) die Hand Raffael's, besonders an dem Christkinde, konstatiren<lb/>
zu können. Sonst ist das Robinson'sche Bild nur in den untergeordneten Par-<lb/>
tieen, in der Behandlung der Haare, der Engel, der Flammen und der Reflex¬<lb/>
lichter, dem Muner'schen überlegen. Wenn gerade diese Partieen auf dem letzte-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] Kunst XIII, Heft 4 und 5) gezeigt. Ans diesem Wege ist fortzuschreiten. Ihn gewiesen, gewissermaßen das Fachwerk aufgeschlagen zu haben, in welches die Steine einzufügen sind, ist Springer's Verdienst. Der zweite Theil der Aufgabe, der oft von unschätzbarer Wichtigkeit ist, kann nur von Forschern gelöst werden, die in der glücklichen Lage sind, die Geschichte der italienischen Familien und Herrscherhäuser mit so klarem Ange zu durchschauen wie Herr v. Reumont. Zu den manichfachen Verdiensten, welche sich der berühmte Historiker um die italienische Kunstgeschichte erworben hat, gesellt sich auch die Feststellung der Schicksale manches berühmten Bildes. Noch vor wenigen Wochen hat er in der Augsb. Allgem. Zeitung über die mannichfachen Besitzveränderungen berichtet, denen die liebliche Madonna aus dem Hause Couuestabile unterworfen war, bis sie im Jahre 1871 eine dauernde Stätte in Petersburg fand. Von welcher Wichtigkeit solche Feststellungen sind, beweist am besten die kürzlich wieder aus Privatbesitz aufgetauchte Madonna mit den Kande¬ labern. Sie befand sich zuletzt im Besitze A. I. Munro's in London, nach dessen Tode sie im Auftrage der Erben versteigert werden sollte. Um die Kauflust der Kunstfreunde anzufeuern, wurde das Bild vor der Auktion nach Paris gesandt, wo es während des Monats Mai ausgestellt wurde. Das letzte Gebot — 409,500 Mark — erschien den Erben nicht preiswürdig genug, so daß sie das Bild aus der Versteigerung zurückzogen. Die Geschichte der Madonna mit den Kandelabern läßt sich nur bis an das Ende des vorigen Jahrhunderts zurückverfolgen. Damals befand sich das kleine Ruudbild in der Galerie Borghese in Rom. Zu gleicher Zeit befand sich aber auch daselbst ein zweites Exemplar, welches der Schriftsteller Robinson in London besitzt. Springer vermuthet in dem (Munro'scheu) Bilde „eine Überarbeitung eines älteren Entwurfes, ein florentinisches Motiv in römischen Formen." Er findet die Zusammenstellung der beiden Kandelaber tragenden Engel mit der Haupt¬ gruppe „steif". Schon Waagen hat einige Bedenken gegen dieses Bild ausge¬ sprochen, bei welchem er, namentlich bei dem Kinde und bei den Engeln, die Beihilfe des Giulio Romano erkennen wollte. Der Schreiber dieser Zeilen, der nur das Munro'sche Exemplar kennt, kann sich diesem Urtheile nur anschlie¬ ßen. Der wundervolle Kopf und die linke, einzig sichtbare Hand der Madonna scheinen ihm jedoch bis auf den kleinsten Pinselstrich das Werk Raffael's zu sein. Auch auf dem Robinson'schen Exemplare glaubt I. P. Richter (Kunstchronik 1878, S. 623 f.) die Hand Raffael's, besonders an dem Christkinde, konstatiren zu können. Sonst ist das Robinson'sche Bild nur in den untergeordneten Par- tieen, in der Behandlung der Haare, der Engel, der Flammen und der Reflex¬ lichter, dem Muner'schen überlegen. Wenn gerade diese Partieen auf dem letzte-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/32
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/32>, abgerufen am 03.07.2024.