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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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gewisser Staatsmänner und Parteien verschuldete Darniederliegen der deutschen
Industrie mich hier endlich begreifen und sich auf die vom Reichskanzler er-
gnngene Anregung dem nationalen Freihandel zuwenden wird, der uns
England so lange vom Halse hält, als es uns überlegen ist und uns wieder
überlegen werden kann.

Nachschrift:

Seit das Obige geschrieben wurde, ist in der Sache
eine weitere Kundgebung des Reichskanzlers erfolgt. Nachdem der Bundesrath
auf Grund der Eingangs des obigen Aufsatzes erwähnten Zuschrift die Ein¬
setzung einer Kommission zur Revision des Zolltarifs beschlossen, hat Fürst
Bismarck in einem Schreiben vom 15. Dezember demselben die Gedanken aus¬
gesprochen, die ihm in Betreff jener Revision als leitende vorschweben. Der
Reichskanzler erstrebt hiernach Verminderung der direkten Steuerlast durch
Vermehrung der auf indirekten Abgaben beruhenden Einnahmen des Reichs.
Andere Großstaaten, namentlich die mit weit fortgeschrittener politischer und
wirthschaftlicher Entwickelung, suchen vorzugsweise in Zöllen und indirekten
Steuern, die weniger drücken als die direkten und oft kaum empfunden werden,
Deckung ihrer Ausgaben. Im größten Theile Deutschland's dagegen haben
die direkten Steuern einschließlich der Gemeindeabgaben eine Höhe erreicht, die
vorzüglich auf den Mittelstand sehr ungünstig wirkt. Je ergiebiger man
das Zollsystem in finanzieller Hinsicht gestaltet, um so mehr wird man
von den direkten Steuern erlassen können und müssen. "Denn es versteht
sich von selbst, daß mit der Vermehrung der indirekten Ein¬
nahmen des Reiches nicht eine Erhöhung der Gesammtsteuer-
last bezweckt werden kann", was man sich für den sehr möglichen Fall, daß
ein bekannter Abgeordneter ähnliche Trümpfe, wie deu, wo er ein Wahlflngblatt
mit dem Titel: "Zweihundert Millionen neuer Steuern!" ausspielte, in seiner
Karte hat, merken wolle. Die beabsichtigte Finanzreform aber soll durch eine
Revision des Zolltarifs herbeigeführt werden, die zur allgemeinen Zollpflicht
zurückkehrt. Von dieser sollen nur diejenigen der Industrie unentbehrlichen
Rohstoffe ausgenommen sein, die bei uns gar nicht oder ungenügend erzeugt
werden. Alle übrigen Gegenstände würden mit einer Eingangsabgabe zu be¬
legen sein, die nach dem Werthe derselben unter Zugrundelegung verschiedener
Prozentsätze, je nach dem Bedarf der einheimischen Produktion abzustufen wäre.

Empfiehlt sich die hier skizzirte Wiederherstellung der allgemeinen Zollpflicht
vom finanziellen Gesichtspunkte, so rechtfertigt sie sich auch in volkswirtschaft¬
licher Beziehung. "So lange die meisten der Länder, auf welche wir mit
unserm Verkehr augewiesen sind, sich mit Zollschranken umgeben, und die
Tendenz zur Erhöhung derselben noch im Steigen begriffen ist, erscheint es
gerechtfertigt und im wirthschaftlichen Interesse der Nation geboten, uns in der


Grenzboten I. 1879. g

gewisser Staatsmänner und Parteien verschuldete Darniederliegen der deutschen
Industrie mich hier endlich begreifen und sich auf die vom Reichskanzler er-
gnngene Anregung dem nationalen Freihandel zuwenden wird, der uns
England so lange vom Halse hält, als es uns überlegen ist und uns wieder
überlegen werden kann.

Nachschrift:

Seit das Obige geschrieben wurde, ist in der Sache
eine weitere Kundgebung des Reichskanzlers erfolgt. Nachdem der Bundesrath
auf Grund der Eingangs des obigen Aufsatzes erwähnten Zuschrift die Ein¬
setzung einer Kommission zur Revision des Zolltarifs beschlossen, hat Fürst
Bismarck in einem Schreiben vom 15. Dezember demselben die Gedanken aus¬
gesprochen, die ihm in Betreff jener Revision als leitende vorschweben. Der
Reichskanzler erstrebt hiernach Verminderung der direkten Steuerlast durch
Vermehrung der auf indirekten Abgaben beruhenden Einnahmen des Reichs.
Andere Großstaaten, namentlich die mit weit fortgeschrittener politischer und
wirthschaftlicher Entwickelung, suchen vorzugsweise in Zöllen und indirekten
Steuern, die weniger drücken als die direkten und oft kaum empfunden werden,
Deckung ihrer Ausgaben. Im größten Theile Deutschland's dagegen haben
die direkten Steuern einschließlich der Gemeindeabgaben eine Höhe erreicht, die
vorzüglich auf den Mittelstand sehr ungünstig wirkt. Je ergiebiger man
das Zollsystem in finanzieller Hinsicht gestaltet, um so mehr wird man
von den direkten Steuern erlassen können und müssen. „Denn es versteht
sich von selbst, daß mit der Vermehrung der indirekten Ein¬
nahmen des Reiches nicht eine Erhöhung der Gesammtsteuer-
last bezweckt werden kann", was man sich für den sehr möglichen Fall, daß
ein bekannter Abgeordneter ähnliche Trümpfe, wie deu, wo er ein Wahlflngblatt
mit dem Titel: „Zweihundert Millionen neuer Steuern!" ausspielte, in seiner
Karte hat, merken wolle. Die beabsichtigte Finanzreform aber soll durch eine
Revision des Zolltarifs herbeigeführt werden, die zur allgemeinen Zollpflicht
zurückkehrt. Von dieser sollen nur diejenigen der Industrie unentbehrlichen
Rohstoffe ausgenommen sein, die bei uns gar nicht oder ungenügend erzeugt
werden. Alle übrigen Gegenstände würden mit einer Eingangsabgabe zu be¬
legen sein, die nach dem Werthe derselben unter Zugrundelegung verschiedener
Prozentsätze, je nach dem Bedarf der einheimischen Produktion abzustufen wäre.

Empfiehlt sich die hier skizzirte Wiederherstellung der allgemeinen Zollpflicht
vom finanziellen Gesichtspunkte, so rechtfertigt sie sich auch in volkswirtschaft¬
licher Beziehung. „So lange die meisten der Länder, auf welche wir mit
unserm Verkehr augewiesen sind, sich mit Zollschranken umgeben, und die
Tendenz zur Erhöhung derselben noch im Steigen begriffen ist, erscheint es
gerechtfertigt und im wirthschaftlichen Interesse der Nation geboten, uns in der


Grenzboten I. 1879. g
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/25>, abgerufen am 28.09.2024.