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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Wlhelm Wischers Kleine Schriften.

Oft genug ist es beklagt worden, wie selten doch -- im Kreise der Uni¬
versität wie der Schule -- eine ersprießliche und fruchtbringende Lehrthätigkeit
neben einer bemerkenswerthen schriftstellerischen Thätigkeit auf die Dauer be¬
stehen kann. Die Schule vor allem legt auf die meisten, die ihr dienen, das
schwere Joch d.er Resignation. Zugestanden auch, daß die Mittelmäßigkeit hier
wie überall in der Welt die Majorität bildet, welche Summe von Fähigkeit,
Wissen und Lust mag Jahr für Jahr im Schulamte verkümmern? Eine gewissen¬
hafte Erfüllung aller mit dem Amte verbundenen Pflichten erfordert schlechter¬
dings den vollen Einsatz der Persönlichkeit; da gilt kein Pallirer, kein Halbiren,
kein Zersplittern. Und obgleich kein Beruf so dringend wie der des Lehrers, bei
der unerquicklichen, abstumpfenden und aufreibenden Arbeit, die vielfach mit ihm
verbunden ist und leider verbunden sein muß, es nöthig hätte, daß von Zeit zu
Zeit durch Berührung mit dem Fruchtboden der Wissenschaft ihm neue Kraft
zuströmte, wie dem Antaeos durch die Berührung mit der Muttererde, wie wenigen
ist diese öftere Berührung vergönnt! Viele find in's Amt getreten, den Kopf
voll wissenschaftlicher Pläne und Entwürfe, welche eine glückliche Studienzeit in
ihnen angeregt hatte. In jungen Jahren, so lange die Kräfte noch frisch waren,
ist wohl auch die und jene Kleinigkeit davon zur Ausführung gekommen, aber
mit jedem Jahre ist's weniger geworden. Die knapp zugemessene Mußezeit der
Ferienwochen, in der es einen anfangs mit magnetischer Gewalt zur alten Liebe
zurückzog, und nach deren Verlauf man sich mit Schmerzen wieder losriß, um das
eben begonnene, eben eine kleine Strecke geförderte Werk für Monate wieder
in's Pult zu sperren, diese Mußezeit führt gar bald nicht mehr die variatio,
suas äsIsLtat, fondern das ganz gemeine, triviale ehr oisuts mit sich; und
endlich kommt sie gerade dann, wenn es die höchste Zeit ist und wenn sie ohne
Schaden nicht länger ausbleiben dürfte. Wer soll dann die gelb gewordenen
Blätter mit den Notizen und Kollektcmeen, die vor zwanzig, vor dreißig Jahren
gesammelt worden sind, noch mit der alten Freudigkeit wieder zur Hand nehmen?
Verzichten, verzichten -- das ist das herbe Wort, das anfangs leise, aber bald
immer vernehmlicher in der Brust erklingt. Es liegt ein gut Theil Tragik in
dieser Sehnsucht und in der Unmöglichkeit sie zu befriedigen, aber es gehen
vielleicht mehr tragische Gestalten der Art in der Gesellschaft umher als man
glauben möchte.

Wohl sehlt es auch nicht an solchen, denen das Lehramt kein Hinderniß ist,
ihren wissenschaftlichen Neigungen unbefangen nachzugehen. Und vielleicht erringen
sie damit nicht blos literarische Erfolge, sondern auch Beförderung im Amte.
Denn da die große Menge sich gern an sichtbare und greifbare Leistungen


Grenzboten I. 1879. 22
Wlhelm Wischers Kleine Schriften.

Oft genug ist es beklagt worden, wie selten doch — im Kreise der Uni¬
versität wie der Schule — eine ersprießliche und fruchtbringende Lehrthätigkeit
neben einer bemerkenswerthen schriftstellerischen Thätigkeit auf die Dauer be¬
stehen kann. Die Schule vor allem legt auf die meisten, die ihr dienen, das
schwere Joch d.er Resignation. Zugestanden auch, daß die Mittelmäßigkeit hier
wie überall in der Welt die Majorität bildet, welche Summe von Fähigkeit,
Wissen und Lust mag Jahr für Jahr im Schulamte verkümmern? Eine gewissen¬
hafte Erfüllung aller mit dem Amte verbundenen Pflichten erfordert schlechter¬
dings den vollen Einsatz der Persönlichkeit; da gilt kein Pallirer, kein Halbiren,
kein Zersplittern. Und obgleich kein Beruf so dringend wie der des Lehrers, bei
der unerquicklichen, abstumpfenden und aufreibenden Arbeit, die vielfach mit ihm
verbunden ist und leider verbunden sein muß, es nöthig hätte, daß von Zeit zu
Zeit durch Berührung mit dem Fruchtboden der Wissenschaft ihm neue Kraft
zuströmte, wie dem Antaeos durch die Berührung mit der Muttererde, wie wenigen
ist diese öftere Berührung vergönnt! Viele find in's Amt getreten, den Kopf
voll wissenschaftlicher Pläne und Entwürfe, welche eine glückliche Studienzeit in
ihnen angeregt hatte. In jungen Jahren, so lange die Kräfte noch frisch waren,
ist wohl auch die und jene Kleinigkeit davon zur Ausführung gekommen, aber
mit jedem Jahre ist's weniger geworden. Die knapp zugemessene Mußezeit der
Ferienwochen, in der es einen anfangs mit magnetischer Gewalt zur alten Liebe
zurückzog, und nach deren Verlauf man sich mit Schmerzen wieder losriß, um das
eben begonnene, eben eine kleine Strecke geförderte Werk für Monate wieder
in's Pult zu sperren, diese Mußezeit führt gar bald nicht mehr die variatio,
suas äsIsLtat, fondern das ganz gemeine, triviale ehr oisuts mit sich; und
endlich kommt sie gerade dann, wenn es die höchste Zeit ist und wenn sie ohne
Schaden nicht länger ausbleiben dürfte. Wer soll dann die gelb gewordenen
Blätter mit den Notizen und Kollektcmeen, die vor zwanzig, vor dreißig Jahren
gesammelt worden sind, noch mit der alten Freudigkeit wieder zur Hand nehmen?
Verzichten, verzichten — das ist das herbe Wort, das anfangs leise, aber bald
immer vernehmlicher in der Brust erklingt. Es liegt ein gut Theil Tragik in
dieser Sehnsucht und in der Unmöglichkeit sie zu befriedigen, aber es gehen
vielleicht mehr tragische Gestalten der Art in der Gesellschaft umher als man
glauben möchte.

Wohl sehlt es auch nicht an solchen, denen das Lehramt kein Hinderniß ist,
ihren wissenschaftlichen Neigungen unbefangen nachzugehen. Und vielleicht erringen
sie damit nicht blos literarische Erfolge, sondern auch Beförderung im Amte.
Denn da die große Menge sich gern an sichtbare und greifbare Leistungen


Grenzboten I. 1879. 22
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[0177] Wlhelm Wischers Kleine Schriften. Oft genug ist es beklagt worden, wie selten doch — im Kreise der Uni¬ versität wie der Schule — eine ersprießliche und fruchtbringende Lehrthätigkeit neben einer bemerkenswerthen schriftstellerischen Thätigkeit auf die Dauer be¬ stehen kann. Die Schule vor allem legt auf die meisten, die ihr dienen, das schwere Joch d.er Resignation. Zugestanden auch, daß die Mittelmäßigkeit hier wie überall in der Welt die Majorität bildet, welche Summe von Fähigkeit, Wissen und Lust mag Jahr für Jahr im Schulamte verkümmern? Eine gewissen¬ hafte Erfüllung aller mit dem Amte verbundenen Pflichten erfordert schlechter¬ dings den vollen Einsatz der Persönlichkeit; da gilt kein Pallirer, kein Halbiren, kein Zersplittern. Und obgleich kein Beruf so dringend wie der des Lehrers, bei der unerquicklichen, abstumpfenden und aufreibenden Arbeit, die vielfach mit ihm verbunden ist und leider verbunden sein muß, es nöthig hätte, daß von Zeit zu Zeit durch Berührung mit dem Fruchtboden der Wissenschaft ihm neue Kraft zuströmte, wie dem Antaeos durch die Berührung mit der Muttererde, wie wenigen ist diese öftere Berührung vergönnt! Viele find in's Amt getreten, den Kopf voll wissenschaftlicher Pläne und Entwürfe, welche eine glückliche Studienzeit in ihnen angeregt hatte. In jungen Jahren, so lange die Kräfte noch frisch waren, ist wohl auch die und jene Kleinigkeit davon zur Ausführung gekommen, aber mit jedem Jahre ist's weniger geworden. Die knapp zugemessene Mußezeit der Ferienwochen, in der es einen anfangs mit magnetischer Gewalt zur alten Liebe zurückzog, und nach deren Verlauf man sich mit Schmerzen wieder losriß, um das eben begonnene, eben eine kleine Strecke geförderte Werk für Monate wieder in's Pult zu sperren, diese Mußezeit führt gar bald nicht mehr die variatio, suas äsIsLtat, fondern das ganz gemeine, triviale ehr oisuts mit sich; und endlich kommt sie gerade dann, wenn es die höchste Zeit ist und wenn sie ohne Schaden nicht länger ausbleiben dürfte. Wer soll dann die gelb gewordenen Blätter mit den Notizen und Kollektcmeen, die vor zwanzig, vor dreißig Jahren gesammelt worden sind, noch mit der alten Freudigkeit wieder zur Hand nehmen? Verzichten, verzichten — das ist das herbe Wort, das anfangs leise, aber bald immer vernehmlicher in der Brust erklingt. Es liegt ein gut Theil Tragik in dieser Sehnsucht und in der Unmöglichkeit sie zu befriedigen, aber es gehen vielleicht mehr tragische Gestalten der Art in der Gesellschaft umher als man glauben möchte. Wohl sehlt es auch nicht an solchen, denen das Lehramt kein Hinderniß ist, ihren wissenschaftlichen Neigungen unbefangen nachzugehen. Und vielleicht erringen sie damit nicht blos literarische Erfolge, sondern auch Beförderung im Amte. Denn da die große Menge sich gern an sichtbare und greifbare Leistungen Grenzboten I. 1879. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/177>, abgerufen am 29.06.2024.