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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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mindestens ein, der Fortschrittspartei oder der bürgerlichen Demokratie die¬
nendes Blatt verbreitet ist. Die Arbeiter müssen diese Nahrung bereits kennen,
um sich von ihr ab- und einer besseren zuzuwenden." Ist das nicht köstlich?
Aber das leitende Blatt der Fortschrittspartei bleibt deshalb doch das "stärkste
Bollwerk" gegen die Sozialdemokratie, wie es mit dem ganzen Stolze des
Spaniers sagte, als es am 11. Januar 1877 erwachte und die rothe Fahne
über dem dritten Theile der deutschen Hauptstadt flattern sah.

Genug von der Fortschrittspartei! Erhielte sie die Wte des deutschen
Liberalismus im Kampfe gegen die Sozialdemokratie, dann mag sich ein gnä¬
diger Himmel unseres Vaterlandes erbarmen. Menschliche Hilfe käme zu spät.


Franz Mehring.


Kussische Sozialsten über die Kaiserattentate.

Angesichts der Debatten des Reichstags über das Svzialistengesetz ist es
gewiß von Interesse, neben den Aeußerungen der sozialdemokratischen Presse in
Deutschland über die Kaiserattentate, welche die nächste und dringendste Ver¬
anlassung zu jener Vorlage gegeben, anch die Stimmen auswärtiger Sozialisten
zu hören. Denn wenn die deutschen Anhänger dieser Richtung bei der Be¬
urtheilung der Verbreche" vom 11. Mai und 2. Juni unter dem Eindrucke der
unmittelbar ihnen von den Regierungen her drohenden Gefahr stunde" und
demgemäß sich verhielten, so hatten die fremden Sozialisten nichts von derselben
zu fürchten, waren also nicht genöthigt, wie jene, ihre wahre Herzensmeiuung
hinter gleißenden Phrasen zu verstecken. Keine sozialdemokratische Partei aber
huldigt extremeren, radikaleren Grundsätzen als die russische. Wenn die deut¬
schen Vertreter des Sozialismus doch wenigstens eine staatliche Organisation
aufrecht erhalten wollen, nur daß sie den "Volksstaat" an die Stelle des ge¬
haßten "Klassenstaats" zu setzen trachten, so stehen die russischen Sozialisten
auf dem Boden der rothen Internationale. Vernichtung des Staats, wenn
nothwendig durch gewaltsame Umwälzung, Ersatz der bisherigen Ordnung dnrch
die freie Föderation des arbeitenden Volkes nach Orten, Landschaften, Nationen,
das ist ihr Ideal. Von diesem Gesichtspunkte aus fällen sie denn anch ihr
Urtheil über die Attentate und die Attentäter, wie nicht minder über die Hal¬
tung der deutschen sozialdemokratischen Presse in Bezug auf beide und die
Folgen der Verbreche" für die Partei. Wenn diese sich bemühte, jede Mit-


mindestens ein, der Fortschrittspartei oder der bürgerlichen Demokratie die¬
nendes Blatt verbreitet ist. Die Arbeiter müssen diese Nahrung bereits kennen,
um sich von ihr ab- und einer besseren zuzuwenden." Ist das nicht köstlich?
Aber das leitende Blatt der Fortschrittspartei bleibt deshalb doch das „stärkste
Bollwerk" gegen die Sozialdemokratie, wie es mit dem ganzen Stolze des
Spaniers sagte, als es am 11. Januar 1877 erwachte und die rothe Fahne
über dem dritten Theile der deutschen Hauptstadt flattern sah.

Genug von der Fortschrittspartei! Erhielte sie die Wte des deutschen
Liberalismus im Kampfe gegen die Sozialdemokratie, dann mag sich ein gnä¬
diger Himmel unseres Vaterlandes erbarmen. Menschliche Hilfe käme zu spät.


Franz Mehring.


Kussische Sozialsten über die Kaiserattentate.

Angesichts der Debatten des Reichstags über das Svzialistengesetz ist es
gewiß von Interesse, neben den Aeußerungen der sozialdemokratischen Presse in
Deutschland über die Kaiserattentate, welche die nächste und dringendste Ver¬
anlassung zu jener Vorlage gegeben, anch die Stimmen auswärtiger Sozialisten
zu hören. Denn wenn die deutschen Anhänger dieser Richtung bei der Be¬
urtheilung der Verbreche» vom 11. Mai und 2. Juni unter dem Eindrucke der
unmittelbar ihnen von den Regierungen her drohenden Gefahr stunde» und
demgemäß sich verhielten, so hatten die fremden Sozialisten nichts von derselben
zu fürchten, waren also nicht genöthigt, wie jene, ihre wahre Herzensmeiuung
hinter gleißenden Phrasen zu verstecken. Keine sozialdemokratische Partei aber
huldigt extremeren, radikaleren Grundsätzen als die russische. Wenn die deut¬
schen Vertreter des Sozialismus doch wenigstens eine staatliche Organisation
aufrecht erhalten wollen, nur daß sie den „Volksstaat" an die Stelle des ge¬
haßten „Klassenstaats" zu setzen trachten, so stehen die russischen Sozialisten
auf dem Boden der rothen Internationale. Vernichtung des Staats, wenn
nothwendig durch gewaltsame Umwälzung, Ersatz der bisherigen Ordnung dnrch
die freie Föderation des arbeitenden Volkes nach Orten, Landschaften, Nationen,
das ist ihr Ideal. Von diesem Gesichtspunkte aus fällen sie denn anch ihr
Urtheil über die Attentate und die Attentäter, wie nicht minder über die Hal¬
tung der deutschen sozialdemokratischen Presse in Bezug auf beide und die
Folgen der Verbreche« für die Partei. Wenn diese sich bemühte, jede Mit-


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[0476] mindestens ein, der Fortschrittspartei oder der bürgerlichen Demokratie die¬ nendes Blatt verbreitet ist. Die Arbeiter müssen diese Nahrung bereits kennen, um sich von ihr ab- und einer besseren zuzuwenden." Ist das nicht köstlich? Aber das leitende Blatt der Fortschrittspartei bleibt deshalb doch das „stärkste Bollwerk" gegen die Sozialdemokratie, wie es mit dem ganzen Stolze des Spaniers sagte, als es am 11. Januar 1877 erwachte und die rothe Fahne über dem dritten Theile der deutschen Hauptstadt flattern sah. Genug von der Fortschrittspartei! Erhielte sie die Wte des deutschen Liberalismus im Kampfe gegen die Sozialdemokratie, dann mag sich ein gnä¬ diger Himmel unseres Vaterlandes erbarmen. Menschliche Hilfe käme zu spät. Franz Mehring. Kussische Sozialsten über die Kaiserattentate. Angesichts der Debatten des Reichstags über das Svzialistengesetz ist es gewiß von Interesse, neben den Aeußerungen der sozialdemokratischen Presse in Deutschland über die Kaiserattentate, welche die nächste und dringendste Ver¬ anlassung zu jener Vorlage gegeben, anch die Stimmen auswärtiger Sozialisten zu hören. Denn wenn die deutschen Anhänger dieser Richtung bei der Be¬ urtheilung der Verbreche» vom 11. Mai und 2. Juni unter dem Eindrucke der unmittelbar ihnen von den Regierungen her drohenden Gefahr stunde» und demgemäß sich verhielten, so hatten die fremden Sozialisten nichts von derselben zu fürchten, waren also nicht genöthigt, wie jene, ihre wahre Herzensmeiuung hinter gleißenden Phrasen zu verstecken. Keine sozialdemokratische Partei aber huldigt extremeren, radikaleren Grundsätzen als die russische. Wenn die deut¬ schen Vertreter des Sozialismus doch wenigstens eine staatliche Organisation aufrecht erhalten wollen, nur daß sie den „Volksstaat" an die Stelle des ge¬ haßten „Klassenstaats" zu setzen trachten, so stehen die russischen Sozialisten auf dem Boden der rothen Internationale. Vernichtung des Staats, wenn nothwendig durch gewaltsame Umwälzung, Ersatz der bisherigen Ordnung dnrch die freie Föderation des arbeitenden Volkes nach Orten, Landschaften, Nationen, das ist ihr Ideal. Von diesem Gesichtspunkte aus fällen sie denn anch ihr Urtheil über die Attentate und die Attentäter, wie nicht minder über die Hal¬ tung der deutschen sozialdemokratischen Presse in Bezug auf beide und die Folgen der Verbreche« für die Partei. Wenn diese sich bemühte, jede Mit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/476>, abgerufen am 03.07.2024.