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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Wochen lang, doch gelang es ihnen nicht mehr, dieselbe einzunehmen. Besser
freilich ist es dadurch in Augsburg nicht geworden. Jetzt drückte die Last
wieder verdoppelt auf die Protestanten. Im Uebrigen war das kaiserliche
Säbel-Regiment gerade so schlimm wie das schwedische. An Einwohnerzahl
hat die Stadt zwar nicht mehr abgenommen, im Gegentheil eine kleine Zu¬
nahme ist bemerkbar, im Jahre 1645 waren es wieder 21,018 Seelen.*) Die
Zahlungen und sonstigen Leistungen aber, die dem Gemeinwesen und dem Ein¬
zelnen auferlegt wurden, waren kolossal und immer schwerer zu ertragen.
Die Verarmung nahm von Jahr zu Jahr zu. Nach dem Abschlüsse des
westfälischen Friedens war von der ehemaligen Blüthe, dem ehemaligen
Wohlstande nichts mehr zu sehen, und es hat zwei Jahrhunderte gedauert, bis
Augsburg wieder ungefähr die Einwohnerzahl erreicht hatte, die es vor dem
30jährigen Kriege besaß.




"Irinz Kaspar Käufer,
in.

Die Resultate unsrer bisherigen Erörterungen dürfen wir wohl dahin
zusammenfassen: wir sahen, daß der Mythus vom Prinzenthum Kaspar Hauser's
bis zum Jahr 1848 auf den denkbar unreinstem Quellen beruhte. Wir sahen,
daß selbst das 1852 zuerst veröffentlichte Geheime Mmoire Anselm von
Feuerbach's eine werthlose auf Bestellung gefertigte Arbeit war, die der be¬
rühmte Gelehrte vor seinem Tode selbst widerrufen und in Vergessenheit zu
bringen gewünscht hatte. Wir sahen, daß die größte Wahrscheinlichkeit und
die stärkste Vermuthung dafür spreche, daß jene Ueberzeugung, welche Feuerbach
mit ins Grab genommen: Kaspar Hauser sei der Sohn des Bcnnberger Dom¬
herrn von Gutenberg und der Demoiselle Königsheim gewesen, die einzig befrie¬
digende Lösung des Räthsels von Kaspar Hauser's Herkunft biete.

Wir werden nun aus dem Nachstehenden auch noch die Ueberzeugung
gewinnen: daß der am 29. September 1812 geborene badische Erbprinz un¬
zweifelhaft und ohne zuvor vertauscht zu werden, gestorben, sezirt und in der
Fürstengruft des badischen Hauses zu Pforzheim beigesetzt wordeu ist, daß also
Kaspar Hauser dieser Erbprinz nicht gewesen sein kann.



*) Nämlich l9,S60 Bürger und 1NS8 Stcidtgardisten mit Weib und Kind.

Wochen lang, doch gelang es ihnen nicht mehr, dieselbe einzunehmen. Besser
freilich ist es dadurch in Augsburg nicht geworden. Jetzt drückte die Last
wieder verdoppelt auf die Protestanten. Im Uebrigen war das kaiserliche
Säbel-Regiment gerade so schlimm wie das schwedische. An Einwohnerzahl
hat die Stadt zwar nicht mehr abgenommen, im Gegentheil eine kleine Zu¬
nahme ist bemerkbar, im Jahre 1645 waren es wieder 21,018 Seelen.*) Die
Zahlungen und sonstigen Leistungen aber, die dem Gemeinwesen und dem Ein¬
zelnen auferlegt wurden, waren kolossal und immer schwerer zu ertragen.
Die Verarmung nahm von Jahr zu Jahr zu. Nach dem Abschlüsse des
westfälischen Friedens war von der ehemaligen Blüthe, dem ehemaligen
Wohlstande nichts mehr zu sehen, und es hat zwei Jahrhunderte gedauert, bis
Augsburg wieder ungefähr die Einwohnerzahl erreicht hatte, die es vor dem
30jährigen Kriege besaß.




"Irinz Kaspar Käufer,
in.

Die Resultate unsrer bisherigen Erörterungen dürfen wir wohl dahin
zusammenfassen: wir sahen, daß der Mythus vom Prinzenthum Kaspar Hauser's
bis zum Jahr 1848 auf den denkbar unreinstem Quellen beruhte. Wir sahen,
daß selbst das 1852 zuerst veröffentlichte Geheime Mmoire Anselm von
Feuerbach's eine werthlose auf Bestellung gefertigte Arbeit war, die der be¬
rühmte Gelehrte vor seinem Tode selbst widerrufen und in Vergessenheit zu
bringen gewünscht hatte. Wir sahen, daß die größte Wahrscheinlichkeit und
die stärkste Vermuthung dafür spreche, daß jene Ueberzeugung, welche Feuerbach
mit ins Grab genommen: Kaspar Hauser sei der Sohn des Bcnnberger Dom¬
herrn von Gutenberg und der Demoiselle Königsheim gewesen, die einzig befrie¬
digende Lösung des Räthsels von Kaspar Hauser's Herkunft biete.

Wir werden nun aus dem Nachstehenden auch noch die Ueberzeugung
gewinnen: daß der am 29. September 1812 geborene badische Erbprinz un¬
zweifelhaft und ohne zuvor vertauscht zu werden, gestorben, sezirt und in der
Fürstengruft des badischen Hauses zu Pforzheim beigesetzt wordeu ist, daß also
Kaspar Hauser dieser Erbprinz nicht gewesen sein kann.



*) Nämlich l9,S60 Bürger und 1NS8 Stcidtgardisten mit Weib und Kind.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/468>, abgerufen am 28.12.2024.