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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Kraft ist, gewinnen für ihn die Laute ihre Bedeutung, werden sie zu Zeichen
empfundener Dinge.




Z)er neueste Angriff auf Keinnch von AreitschKe.

Roms. looutÄ sse. Herr Ferd. Worthmann, der sich in jüngster Zeit, wir
wissen nicht wo, den Titel eines "Doctors der Staatswirthschaft" errungen,
hat ein vernichtendes Urtheil über Heinrich von Treitschke abgegeben.*) Damit
ist das Urtheil der gebildeten Welt über Treitschke jedenfalls abgeschlossen.
Denn der berufenste Richter, ein Doctor der Staatswirthschaft -- man denke
Staatswirthschaft, nicht blos Volkswirthschaft -- Herr Ferd. Worthmann,
nennt Treitschke nacheinander einen "Allerweltsrichter"' der "geradezu gemein¬
schädlich wirkt", einen "für freisinnig geltenden Mann", er wirst Treitschke vor:
"unwissenschaftliche Oberflächlichkeit des Verfahrens", "Mangel an scharfer
Schlußfolgerung, gründlicher Untersuchung, zulänglicher Sachkenntnis?, humaner
Philosophie"; er verstärkt dann diese äußerst maßvollen Vorhalte an den Ver¬
irrten durch einige kräftigere Naturlaute wie: "der Arbeiterverächter Treitschke",
"der dem Fanatismus halbgebildeter gedrückter Menschen übertriebene Ver¬
achtung und herausfordernden Hochmuth entgegensetzt", Herr Worthmann
spricht von Bildungsdünkel, dein ein Grundzug edlen Menschenthums
fehlt" und der selbst "nicht gleichen Schritt hält mit dem schlichten Gang und
den knappen Wendungen der Frau Logika" und redet schließlich von "Halluci¬
nationen des gefeierten Mannes". Aussprüchen von solch denkbar größter
Entschlossenheit sollte man sich in Demuth unterwerfen, besonders da Herr
Worthmann -- allerdings nur in der ausgesprochenen Absicht, um sich von
"dem Treiben der Most und Genossen" zu unterscheiden -- Treitschke einige
recht duftige Redeblumen zuwendet und ihm sogar "die Hochachtung nicht
verhehlt, die er vor seinen Vorzügen aufrichtig empfindet."

Freilich könnte gefragt werden: wer ist denn Herr Dr. Ferd. Worthmann?
Im Conversationslexicon findet man den Herrn nicht. Der Wissenschaft ist er
seine gesammten Werke noch schuldig. Das Wenige, was über ihn bekannt ge¬
worden, ist nicht gerade von ausschließlich anmuthender Wirkung. Ende der
sechsziger Jahre wurde ein holländischer Buchhändler oder Lehrer Ferd. Worth-



") Heinrich vonTreitschke und die Kathedersocialisten von Ferd. Worthmann, Doctor
der Staatswirthschaft. Jena, Gustav Fischer (vormals Manate) 187S. 64 S.

Kraft ist, gewinnen für ihn die Laute ihre Bedeutung, werden sie zu Zeichen
empfundener Dinge.




Z)er neueste Angriff auf Keinnch von AreitschKe.

Roms. looutÄ sse. Herr Ferd. Worthmann, der sich in jüngster Zeit, wir
wissen nicht wo, den Titel eines „Doctors der Staatswirthschaft" errungen,
hat ein vernichtendes Urtheil über Heinrich von Treitschke abgegeben.*) Damit
ist das Urtheil der gebildeten Welt über Treitschke jedenfalls abgeschlossen.
Denn der berufenste Richter, ein Doctor der Staatswirthschaft — man denke
Staatswirthschaft, nicht blos Volkswirthschaft — Herr Ferd. Worthmann,
nennt Treitschke nacheinander einen „Allerweltsrichter"' der „geradezu gemein¬
schädlich wirkt", einen „für freisinnig geltenden Mann", er wirst Treitschke vor:
„unwissenschaftliche Oberflächlichkeit des Verfahrens", „Mangel an scharfer
Schlußfolgerung, gründlicher Untersuchung, zulänglicher Sachkenntnis?, humaner
Philosophie"; er verstärkt dann diese äußerst maßvollen Vorhalte an den Ver¬
irrten durch einige kräftigere Naturlaute wie: „der Arbeiterverächter Treitschke",
„der dem Fanatismus halbgebildeter gedrückter Menschen übertriebene Ver¬
achtung und herausfordernden Hochmuth entgegensetzt", Herr Worthmann
spricht von Bildungsdünkel, dein ein Grundzug edlen Menschenthums
fehlt" und der selbst „nicht gleichen Schritt hält mit dem schlichten Gang und
den knappen Wendungen der Frau Logika" und redet schließlich von „Halluci¬
nationen des gefeierten Mannes". Aussprüchen von solch denkbar größter
Entschlossenheit sollte man sich in Demuth unterwerfen, besonders da Herr
Worthmann — allerdings nur in der ausgesprochenen Absicht, um sich von
„dem Treiben der Most und Genossen" zu unterscheiden — Treitschke einige
recht duftige Redeblumen zuwendet und ihm sogar „die Hochachtung nicht
verhehlt, die er vor seinen Vorzügen aufrichtig empfindet."

Freilich könnte gefragt werden: wer ist denn Herr Dr. Ferd. Worthmann?
Im Conversationslexicon findet man den Herrn nicht. Der Wissenschaft ist er
seine gesammten Werke noch schuldig. Das Wenige, was über ihn bekannt ge¬
worden, ist nicht gerade von ausschließlich anmuthender Wirkung. Ende der
sechsziger Jahre wurde ein holländischer Buchhändler oder Lehrer Ferd. Worth-



") Heinrich vonTreitschke und die Kathedersocialisten von Ferd. Worthmann, Doctor
der Staatswirthschaft. Jena, Gustav Fischer (vormals Manate) 187S. 64 S.
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[0193] Kraft ist, gewinnen für ihn die Laute ihre Bedeutung, werden sie zu Zeichen empfundener Dinge. Z)er neueste Angriff auf Keinnch von AreitschKe. Roms. looutÄ sse. Herr Ferd. Worthmann, der sich in jüngster Zeit, wir wissen nicht wo, den Titel eines „Doctors der Staatswirthschaft" errungen, hat ein vernichtendes Urtheil über Heinrich von Treitschke abgegeben.*) Damit ist das Urtheil der gebildeten Welt über Treitschke jedenfalls abgeschlossen. Denn der berufenste Richter, ein Doctor der Staatswirthschaft — man denke Staatswirthschaft, nicht blos Volkswirthschaft — Herr Ferd. Worthmann, nennt Treitschke nacheinander einen „Allerweltsrichter"' der „geradezu gemein¬ schädlich wirkt", einen „für freisinnig geltenden Mann", er wirst Treitschke vor: „unwissenschaftliche Oberflächlichkeit des Verfahrens", „Mangel an scharfer Schlußfolgerung, gründlicher Untersuchung, zulänglicher Sachkenntnis?, humaner Philosophie"; er verstärkt dann diese äußerst maßvollen Vorhalte an den Ver¬ irrten durch einige kräftigere Naturlaute wie: „der Arbeiterverächter Treitschke", „der dem Fanatismus halbgebildeter gedrückter Menschen übertriebene Ver¬ achtung und herausfordernden Hochmuth entgegensetzt", Herr Worthmann spricht von Bildungsdünkel, dein ein Grundzug edlen Menschenthums fehlt" und der selbst „nicht gleichen Schritt hält mit dem schlichten Gang und den knappen Wendungen der Frau Logika" und redet schließlich von „Halluci¬ nationen des gefeierten Mannes". Aussprüchen von solch denkbar größter Entschlossenheit sollte man sich in Demuth unterwerfen, besonders da Herr Worthmann — allerdings nur in der ausgesprochenen Absicht, um sich von „dem Treiben der Most und Genossen" zu unterscheiden — Treitschke einige recht duftige Redeblumen zuwendet und ihm sogar „die Hochachtung nicht verhehlt, die er vor seinen Vorzügen aufrichtig empfindet." Freilich könnte gefragt werden: wer ist denn Herr Dr. Ferd. Worthmann? Im Conversationslexicon findet man den Herrn nicht. Der Wissenschaft ist er seine gesammten Werke noch schuldig. Das Wenige, was über ihn bekannt ge¬ worden, ist nicht gerade von ausschließlich anmuthender Wirkung. Ende der sechsziger Jahre wurde ein holländischer Buchhändler oder Lehrer Ferd. Worth- ") Heinrich vonTreitschke und die Kathedersocialisten von Ferd. Worthmann, Doctor der Staatswirthschaft. Jena, Gustav Fischer (vormals Manate) 187S. 64 S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/193>, abgerufen am 28.12.2024.