Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wiederherstellung eines scheinbar schwer bedrohten Familienfriedeus wollen wir
von unserm Leser Abschied nehmen.


Adolf Müller.


Die Herzogin von Kingston.

Die Herzogin Elisabeth von Kingston, von der wir in Ur. 34 aus
den Memoiren des Baron v. Rosen noch einiges mitzutheilen versprochen haben,
gehört zu den Erscheinungen in der Kulturgeschichte, welche gewisse Seiten der
vornehmen Welt des vorigen Jahrhunderts besonders lebhaft repräsentiren.
1.720 geboren, wurde sie von ihrer lebenslustigen, aber vermögenslosen Mutter,
nachdem sie ihren Vater, einen englischen Obersten, in zartem Alter verloren,
frühzeitig in Gesellschaften geführt. Dreiundzwanzig Jahre alt, war sie als
Ehrenfräulein beim Hofstaat der Prinzessin von Wales, in welcher Stellung sie
durch ihre Schönheit und ihren originellen Geist Glück und Aufsehen machte
und viele Anbeter fand. Sie gab unter den letzteren dem jungen Herzog von
Hamilton den Vorzug und versprach, ihn nach seiner Rückkehr von einer Reise
ans den Kontinent zu heirathen. Aber ein anderer ihrer Verehrer, Kapitän
Hervey, der später den Titel eines Grafen v. Bristol erbte, wußte sie, indem
er die Briefe des Herzogs unterschlug, zu überzeugen, daß dieser ihr untren
geworden sei, und bewog sie dadurch, sich 1744 heimlich mit ihm trauen zu
lassen. Elisabeth aber empfand schon Tags darauf eine so starke Abneigung
vor ihm, daß sie sich sofort von ihm wieder trennte. 'Um dem Andringen des
endlich zurückgekehrten Hamilton und anderer Freier, die nichts von ihrer
Trauung wußten, zu entgehen, unternahm sie eine Reise nach dem Festlande,
Wo sie sich durch ihr geistreiches Wesen die Freundschaft Friedrichs des Großen
erwarb und auch am Dresdner Hofe großer Hochachtung und Verehrung be¬
gegnete.

Nach London zurückgekehrt, empfand sie von Neuem das Drückende, das
darin lag, daß sie gesetzlich noch immer die Gattin Herveys war, und um sich
davon zu lösen, begab sie sich zum Pfarrer von Lainston, der sie getraut hatte,
und riß hinter dessen Rücken das Blatt aus dem Kirchenbuche, das deu Akt
ihrer Vermählung bezeugte. Bald nachher aber hörte sie, daß ihr Gemahl,
der inzwischen mit dem Grafentitel ein sehr bedeutendes Vermögen geerbt hatte,
tödtlich erkrankt sei, und so beeilte sie sich, den Pfarrer zu bewegen, jenes Blatt
dem Kirchenbuche wieder einzuverleiben. Allein der Graf v. Bristol starb


Wiederherstellung eines scheinbar schwer bedrohten Familienfriedeus wollen wir
von unserm Leser Abschied nehmen.


Adolf Müller.


Die Herzogin von Kingston.

Die Herzogin Elisabeth von Kingston, von der wir in Ur. 34 aus
den Memoiren des Baron v. Rosen noch einiges mitzutheilen versprochen haben,
gehört zu den Erscheinungen in der Kulturgeschichte, welche gewisse Seiten der
vornehmen Welt des vorigen Jahrhunderts besonders lebhaft repräsentiren.
1.720 geboren, wurde sie von ihrer lebenslustigen, aber vermögenslosen Mutter,
nachdem sie ihren Vater, einen englischen Obersten, in zartem Alter verloren,
frühzeitig in Gesellschaften geführt. Dreiundzwanzig Jahre alt, war sie als
Ehrenfräulein beim Hofstaat der Prinzessin von Wales, in welcher Stellung sie
durch ihre Schönheit und ihren originellen Geist Glück und Aufsehen machte
und viele Anbeter fand. Sie gab unter den letzteren dem jungen Herzog von
Hamilton den Vorzug und versprach, ihn nach seiner Rückkehr von einer Reise
ans den Kontinent zu heirathen. Aber ein anderer ihrer Verehrer, Kapitän
Hervey, der später den Titel eines Grafen v. Bristol erbte, wußte sie, indem
er die Briefe des Herzogs unterschlug, zu überzeugen, daß dieser ihr untren
geworden sei, und bewog sie dadurch, sich 1744 heimlich mit ihm trauen zu
lassen. Elisabeth aber empfand schon Tags darauf eine so starke Abneigung
vor ihm, daß sie sich sofort von ihm wieder trennte. 'Um dem Andringen des
endlich zurückgekehrten Hamilton und anderer Freier, die nichts von ihrer
Trauung wußten, zu entgehen, unternahm sie eine Reise nach dem Festlande,
Wo sie sich durch ihr geistreiches Wesen die Freundschaft Friedrichs des Großen
erwarb und auch am Dresdner Hofe großer Hochachtung und Verehrung be¬
gegnete.

Nach London zurückgekehrt, empfand sie von Neuem das Drückende, das
darin lag, daß sie gesetzlich noch immer die Gattin Herveys war, und um sich
davon zu lösen, begab sie sich zum Pfarrer von Lainston, der sie getraut hatte,
und riß hinter dessen Rücken das Blatt aus dem Kirchenbuche, das deu Akt
ihrer Vermählung bezeugte. Bald nachher aber hörte sie, daß ihr Gemahl,
der inzwischen mit dem Grafentitel ein sehr bedeutendes Vermögen geerbt hatte,
tödtlich erkrankt sei, und so beeilte sie sich, den Pfarrer zu bewegen, jenes Blatt
dem Kirchenbuche wieder einzuverleiben. Allein der Graf v. Bristol starb


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138634"/>
          <p xml:id="ID_1238" prev="#ID_1237"> Wiederherstellung eines scheinbar schwer bedrohten Familienfriedeus wollen wir<lb/>
von unserm Leser Abschied nehmen.</p><lb/>
          <note type="byline"> Adolf Müller.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Herzogin von Kingston.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1239"> Die Herzogin Elisabeth von Kingston, von der wir in Ur. 34 aus<lb/>
den Memoiren des Baron v. Rosen noch einiges mitzutheilen versprochen haben,<lb/>
gehört zu den Erscheinungen in der Kulturgeschichte, welche gewisse Seiten der<lb/>
vornehmen Welt des vorigen Jahrhunderts besonders lebhaft repräsentiren.<lb/>
1.720 geboren, wurde sie von ihrer lebenslustigen, aber vermögenslosen Mutter,<lb/>
nachdem sie ihren Vater, einen englischen Obersten, in zartem Alter verloren,<lb/>
frühzeitig in Gesellschaften geführt. Dreiundzwanzig Jahre alt, war sie als<lb/>
Ehrenfräulein beim Hofstaat der Prinzessin von Wales, in welcher Stellung sie<lb/>
durch ihre Schönheit und ihren originellen Geist Glück und Aufsehen machte<lb/>
und viele Anbeter fand. Sie gab unter den letzteren dem jungen Herzog von<lb/>
Hamilton den Vorzug und versprach, ihn nach seiner Rückkehr von einer Reise<lb/>
ans den Kontinent zu heirathen. Aber ein anderer ihrer Verehrer, Kapitän<lb/>
Hervey, der später den Titel eines Grafen v. Bristol erbte, wußte sie, indem<lb/>
er die Briefe des Herzogs unterschlug, zu überzeugen, daß dieser ihr untren<lb/>
geworden sei, und bewog sie dadurch, sich 1744 heimlich mit ihm trauen zu<lb/>
lassen. Elisabeth aber empfand schon Tags darauf eine so starke Abneigung<lb/>
vor ihm, daß sie sich sofort von ihm wieder trennte. 'Um dem Andringen des<lb/>
endlich zurückgekehrten Hamilton und anderer Freier, die nichts von ihrer<lb/>
Trauung wußten, zu entgehen, unternahm sie eine Reise nach dem Festlande,<lb/>
Wo sie sich durch ihr geistreiches Wesen die Freundschaft Friedrichs des Großen<lb/>
erwarb und auch am Dresdner Hofe großer Hochachtung und Verehrung be¬<lb/>
gegnete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1240" next="#ID_1241"> Nach London zurückgekehrt, empfand sie von Neuem das Drückende, das<lb/>
darin lag, daß sie gesetzlich noch immer die Gattin Herveys war, und um sich<lb/>
davon zu lösen, begab sie sich zum Pfarrer von Lainston, der sie getraut hatte,<lb/>
und riß hinter dessen Rücken das Blatt aus dem Kirchenbuche, das deu Akt<lb/>
ihrer Vermählung bezeugte. Bald nachher aber hörte sie, daß ihr Gemahl,<lb/>
der inzwischen mit dem Grafentitel ein sehr bedeutendes Vermögen geerbt hatte,<lb/>
tödtlich erkrankt sei, und so beeilte sie sich, den Pfarrer zu bewegen, jenes Blatt<lb/>
dem Kirchenbuche wieder einzuverleiben. Allein der Graf v. Bristol starb</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0403] Wiederherstellung eines scheinbar schwer bedrohten Familienfriedeus wollen wir von unserm Leser Abschied nehmen. Adolf Müller. Die Herzogin von Kingston. Die Herzogin Elisabeth von Kingston, von der wir in Ur. 34 aus den Memoiren des Baron v. Rosen noch einiges mitzutheilen versprochen haben, gehört zu den Erscheinungen in der Kulturgeschichte, welche gewisse Seiten der vornehmen Welt des vorigen Jahrhunderts besonders lebhaft repräsentiren. 1.720 geboren, wurde sie von ihrer lebenslustigen, aber vermögenslosen Mutter, nachdem sie ihren Vater, einen englischen Obersten, in zartem Alter verloren, frühzeitig in Gesellschaften geführt. Dreiundzwanzig Jahre alt, war sie als Ehrenfräulein beim Hofstaat der Prinzessin von Wales, in welcher Stellung sie durch ihre Schönheit und ihren originellen Geist Glück und Aufsehen machte und viele Anbeter fand. Sie gab unter den letzteren dem jungen Herzog von Hamilton den Vorzug und versprach, ihn nach seiner Rückkehr von einer Reise ans den Kontinent zu heirathen. Aber ein anderer ihrer Verehrer, Kapitän Hervey, der später den Titel eines Grafen v. Bristol erbte, wußte sie, indem er die Briefe des Herzogs unterschlug, zu überzeugen, daß dieser ihr untren geworden sei, und bewog sie dadurch, sich 1744 heimlich mit ihm trauen zu lassen. Elisabeth aber empfand schon Tags darauf eine so starke Abneigung vor ihm, daß sie sich sofort von ihm wieder trennte. 'Um dem Andringen des endlich zurückgekehrten Hamilton und anderer Freier, die nichts von ihrer Trauung wußten, zu entgehen, unternahm sie eine Reise nach dem Festlande, Wo sie sich durch ihr geistreiches Wesen die Freundschaft Friedrichs des Großen erwarb und auch am Dresdner Hofe großer Hochachtung und Verehrung be¬ gegnete. Nach London zurückgekehrt, empfand sie von Neuem das Drückende, das darin lag, daß sie gesetzlich noch immer die Gattin Herveys war, und um sich davon zu lösen, begab sie sich zum Pfarrer von Lainston, der sie getraut hatte, und riß hinter dessen Rücken das Blatt aus dem Kirchenbuche, das deu Akt ihrer Vermählung bezeugte. Bald nachher aber hörte sie, daß ihr Gemahl, der inzwischen mit dem Grafentitel ein sehr bedeutendes Vermögen geerbt hatte, tödtlich erkrankt sei, und so beeilte sie sich, den Pfarrer zu bewegen, jenes Blatt dem Kirchenbuche wieder einzuverleiben. Allein der Graf v. Bristol starb

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/403
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/403>, abgerufen am 28.09.2024.