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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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ficht in das Wesen aller Herrschaft und glaubte nicht, wie so viele seiner
Landsleute, dasselbe ändere sich je nach der Regierungsform. Er verlangte
Herr zu sein, so lauge der Souverän ihm die Leitung seiner Geschäfte über¬
trug; daß dieser Souverän nicht mehr, wie zu Richelieu's Zeiten, der König,
sondern die Volksvertretung war, focht ihn nicht an. Und er wollte allein
Herr sein, überall und immer; aber er übernahm auch die ganze Verantwort¬
lichkeit und wußte sich zu erobern, was jedem englischen Kabinets- und Partei¬
chef, Dank der angehäuften Weisheit aufeinander folgender Geschlechter von
Staatsmännern und Politikern, ohne Widerstand zugestanden wird: die ab¬
solute Unterwerfung aller Mitarbeiter, Untergebenen, Parteigenossen, ja der
Krone selber, welche die Nation verkörpert. So, und nur so hatte er es unter¬
nehmen wollen, das kompaßlose Schiff Frankreichs ans den ringsum drohen¬
den Klippen hinauszusteueru. Es war ihm gelungen, und, weil er dem Könige
Respekt, dem Auslande Vertrauen, den Gebildeten der Nation Stolz, den
Feinden der politischen und gesellschaftlichen Ordnung Furcht einzuflößen
wußte, hatte er Frankreich den Frieden und die Freiheit erhalten, seine Stel¬
lung in Europa zurückerobert, seinen Kredit wieder hergestellt."

Wer das Hillebrand'sche Buch zur Hand nimmt, wird, davon sind wir
überzeugt, nicht nur gleich uns für das Gebotene dankbar sein, er wird auch
einstimmen in die herzlichen Wünsche , die wir dem Verfasser für die fernere
Bewältigung der übernommenen großen Aufgabe entgegenbringen.




München vor hundert Jahren.
Von C, A, Raguel, II.

Das München der Herzöge Albrecht V. und Wilhelm V. erwarb sich
den Titel "das deutsche Rom", und es hatte sich dieser, in Manches Augen wohl
etwas bedenklich erscheinenden Bezeichnung auch vollkommen würdig gemacht.
Ja es zählte noch vor hundert Jahren innerhalb seiner Mauern nicht weniger
als 42 Kirchen und 28 Hanskapellen mit jährlich wiederkehrender Kirchweih¬
feier. Die Zahl der Klöster war auf 29 mit etwa 950 Mönchen und Nonnen
von alleu Farben angewachsen. Es gab da Franziskaner und Franziskanerinnen,
Panlaner und Panlanerinuen, Kapuziner, Karnieliter, Theatiner, Augustiner,
Hieronymitaner, Jesuiten, Barmherzige Brüder, Clarissinnen, Elisabethineriunen,


ficht in das Wesen aller Herrschaft und glaubte nicht, wie so viele seiner
Landsleute, dasselbe ändere sich je nach der Regierungsform. Er verlangte
Herr zu sein, so lauge der Souverän ihm die Leitung seiner Geschäfte über¬
trug; daß dieser Souverän nicht mehr, wie zu Richelieu's Zeiten, der König,
sondern die Volksvertretung war, focht ihn nicht an. Und er wollte allein
Herr sein, überall und immer; aber er übernahm auch die ganze Verantwort¬
lichkeit und wußte sich zu erobern, was jedem englischen Kabinets- und Partei¬
chef, Dank der angehäuften Weisheit aufeinander folgender Geschlechter von
Staatsmännern und Politikern, ohne Widerstand zugestanden wird: die ab¬
solute Unterwerfung aller Mitarbeiter, Untergebenen, Parteigenossen, ja der
Krone selber, welche die Nation verkörpert. So, und nur so hatte er es unter¬
nehmen wollen, das kompaßlose Schiff Frankreichs ans den ringsum drohen¬
den Klippen hinauszusteueru. Es war ihm gelungen, und, weil er dem Könige
Respekt, dem Auslande Vertrauen, den Gebildeten der Nation Stolz, den
Feinden der politischen und gesellschaftlichen Ordnung Furcht einzuflößen
wußte, hatte er Frankreich den Frieden und die Freiheit erhalten, seine Stel¬
lung in Europa zurückerobert, seinen Kredit wieder hergestellt."

Wer das Hillebrand'sche Buch zur Hand nimmt, wird, davon sind wir
überzeugt, nicht nur gleich uns für das Gebotene dankbar sein, er wird auch
einstimmen in die herzlichen Wünsche , die wir dem Verfasser für die fernere
Bewältigung der übernommenen großen Aufgabe entgegenbringen.




München vor hundert Jahren.
Von C, A, Raguel, II.

Das München der Herzöge Albrecht V. und Wilhelm V. erwarb sich
den Titel „das deutsche Rom", und es hatte sich dieser, in Manches Augen wohl
etwas bedenklich erscheinenden Bezeichnung auch vollkommen würdig gemacht.
Ja es zählte noch vor hundert Jahren innerhalb seiner Mauern nicht weniger
als 42 Kirchen und 28 Hanskapellen mit jährlich wiederkehrender Kirchweih¬
feier. Die Zahl der Klöster war auf 29 mit etwa 950 Mönchen und Nonnen
von alleu Farben angewachsen. Es gab da Franziskaner und Franziskanerinnen,
Panlaner und Panlanerinuen, Kapuziner, Karnieliter, Theatiner, Augustiner,
Hieronymitaner, Jesuiten, Barmherzige Brüder, Clarissinnen, Elisabethineriunen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/373>, abgerufen am 28.09.2024.