Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Es gibt eine doppelte Art von Zusammensetzungen mit dem Grnndworte
weise. Die eine erscheint als Adverbiale, welches, besonders um den Begriff
des Adverbs hervorzuheben, gleichsam eine Umschreibung darbietet, und zwar
in der Form von Genitiven, wie glücklicherweise, natürlicherweise, gleicherweise.
Die zweite Art besteht aus reinen Adverbialformen, die sich aus ihrer Zuscnn-
mensetzung nicht herausreißen lassen. Hierher gehören die Bildungen theilweise,
stufenweise, stückweise, vorzugsweise, zwangsweise, scharenweise und paarweise.
Die Adverbia der ersten Art heißen adjektivische, die der zweiten substantivische
Formen, jene lassen sich trennen, diese nicht. Unter allen Umständen sind aber
beide Arten nichts weiter als Adverbien, und dennoch hat der Sprachgebrauch
die letztere Art auch zu deklinirbareu Adjektiven erhöht. Man liest z. B. die
schrittweise Vervollkommung, die zwangsweise Verhaftung, die theilweise Ab¬
nutzung, das stufenweise Emporklimmen, die ausnahmsweise Stellung, der
stückweise Verkauf, eine scharenweise Zusammenkunft nndAehnliches. Schon die
Klassiker mit Einschluß Lessing/s haben dieser Erhebung des Adverbs zum Ad¬
jektiv gehuldigt, aber seltener als die Gegenwart. Wie sollen wir uns ihr ge¬
genüber verhalten? Der Usus hat schon wiederholt über die strengsten Sprach¬
gesetze gesiegt. Und wenn man erwägt, daß die Vermeidung des Fehlers, der
ohne Zweifel weniger aus Nachlässigkeit als aus Liebe zur Kürze entspringt,
in den meisten Fällen nur durch eine breitere, schleppende Ausdrucksweise ver¬
mieden werden kann, so würde man wohl in solchen Fällen nicht Unrecht thun,
wenn man einmal den Usus walten ließe.

Wir danken dem Verfasser für sein Buch, wollen es bestens empfohlen
haben und hoffen, daß es wenigstens bei denen, die etwas auf saubern Stil
halten, Beherzigung finde. Für die große Masse der Tagesskribenten freilich,
die in bekannter Weise leer an Wissen und liederlich im Schreiben in den Tag
hineinlumpt, wird es nur Das sein, was nach dem Sprichwort für die Kuh
Muskate ist.




Literatur.
Das Sprichwort der neueren Sprachen. -- Ein vergleichend phraseologischer
Beitrag zur deutschen Literatur von v. M. C. Wahl. Erfmt, 1877, Kayser'sche
Buchhandlung.

Die Schwierigkeiten bei der Erlernung einer fremden Sprache bestehen
nicht allein in der Nothwendigkeit, sich die Kenntniß ihres grammatischen Ge¬
bäudes anzueignen, sondern auch darin, daß man sich jene Besonderheiten in


Es gibt eine doppelte Art von Zusammensetzungen mit dem Grnndworte
weise. Die eine erscheint als Adverbiale, welches, besonders um den Begriff
des Adverbs hervorzuheben, gleichsam eine Umschreibung darbietet, und zwar
in der Form von Genitiven, wie glücklicherweise, natürlicherweise, gleicherweise.
Die zweite Art besteht aus reinen Adverbialformen, die sich aus ihrer Zuscnn-
mensetzung nicht herausreißen lassen. Hierher gehören die Bildungen theilweise,
stufenweise, stückweise, vorzugsweise, zwangsweise, scharenweise und paarweise.
Die Adverbia der ersten Art heißen adjektivische, die der zweiten substantivische
Formen, jene lassen sich trennen, diese nicht. Unter allen Umständen sind aber
beide Arten nichts weiter als Adverbien, und dennoch hat der Sprachgebrauch
die letztere Art auch zu deklinirbareu Adjektiven erhöht. Man liest z. B. die
schrittweise Vervollkommung, die zwangsweise Verhaftung, die theilweise Ab¬
nutzung, das stufenweise Emporklimmen, die ausnahmsweise Stellung, der
stückweise Verkauf, eine scharenweise Zusammenkunft nndAehnliches. Schon die
Klassiker mit Einschluß Lessing/s haben dieser Erhebung des Adverbs zum Ad¬
jektiv gehuldigt, aber seltener als die Gegenwart. Wie sollen wir uns ihr ge¬
genüber verhalten? Der Usus hat schon wiederholt über die strengsten Sprach¬
gesetze gesiegt. Und wenn man erwägt, daß die Vermeidung des Fehlers, der
ohne Zweifel weniger aus Nachlässigkeit als aus Liebe zur Kürze entspringt,
in den meisten Fällen nur durch eine breitere, schleppende Ausdrucksweise ver¬
mieden werden kann, so würde man wohl in solchen Fällen nicht Unrecht thun,
wenn man einmal den Usus walten ließe.

Wir danken dem Verfasser für sein Buch, wollen es bestens empfohlen
haben und hoffen, daß es wenigstens bei denen, die etwas auf saubern Stil
halten, Beherzigung finde. Für die große Masse der Tagesskribenten freilich,
die in bekannter Weise leer an Wissen und liederlich im Schreiben in den Tag
hineinlumpt, wird es nur Das sein, was nach dem Sprichwort für die Kuh
Muskate ist.




Literatur.
Das Sprichwort der neueren Sprachen. — Ein vergleichend phraseologischer
Beitrag zur deutschen Literatur von v. M. C. Wahl. Erfmt, 1877, Kayser'sche
Buchhandlung.

Die Schwierigkeiten bei der Erlernung einer fremden Sprache bestehen
nicht allein in der Nothwendigkeit, sich die Kenntniß ihres grammatischen Ge¬
bäudes anzueignen, sondern auch darin, daß man sich jene Besonderheiten in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0360" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138061"/>
          <p xml:id="ID_1024"> Es gibt eine doppelte Art von Zusammensetzungen mit dem Grnndworte<lb/>
weise. Die eine erscheint als Adverbiale, welches, besonders um den Begriff<lb/>
des Adverbs hervorzuheben, gleichsam eine Umschreibung darbietet, und zwar<lb/>
in der Form von Genitiven, wie glücklicherweise, natürlicherweise, gleicherweise.<lb/>
Die zweite Art besteht aus reinen Adverbialformen, die sich aus ihrer Zuscnn-<lb/>
mensetzung nicht herausreißen lassen. Hierher gehören die Bildungen theilweise,<lb/>
stufenweise, stückweise, vorzugsweise, zwangsweise, scharenweise und paarweise.<lb/>
Die Adverbia der ersten Art heißen adjektivische, die der zweiten substantivische<lb/>
Formen, jene lassen sich trennen, diese nicht. Unter allen Umständen sind aber<lb/>
beide Arten nichts weiter als Adverbien, und dennoch hat der Sprachgebrauch<lb/>
die letztere Art auch zu deklinirbareu Adjektiven erhöht. Man liest z. B. die<lb/>
schrittweise Vervollkommung, die zwangsweise Verhaftung, die theilweise Ab¬<lb/>
nutzung, das stufenweise Emporklimmen, die ausnahmsweise Stellung, der<lb/>
stückweise Verkauf, eine scharenweise Zusammenkunft nndAehnliches. Schon die<lb/>
Klassiker mit Einschluß Lessing/s haben dieser Erhebung des Adverbs zum Ad¬<lb/>
jektiv gehuldigt, aber seltener als die Gegenwart. Wie sollen wir uns ihr ge¬<lb/>
genüber verhalten? Der Usus hat schon wiederholt über die strengsten Sprach¬<lb/>
gesetze gesiegt. Und wenn man erwägt, daß die Vermeidung des Fehlers, der<lb/>
ohne Zweifel weniger aus Nachlässigkeit als aus Liebe zur Kürze entspringt,<lb/>
in den meisten Fällen nur durch eine breitere, schleppende Ausdrucksweise ver¬<lb/>
mieden werden kann, so würde man wohl in solchen Fällen nicht Unrecht thun,<lb/>
wenn man einmal den Usus walten ließe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1025"> Wir danken dem Verfasser für sein Buch, wollen es bestens empfohlen<lb/>
haben und hoffen, daß es wenigstens bei denen, die etwas auf saubern Stil<lb/>
halten, Beherzigung finde. Für die große Masse der Tagesskribenten freilich,<lb/>
die in bekannter Weise leer an Wissen und liederlich im Schreiben in den Tag<lb/>
hineinlumpt, wird es nur Das sein, was nach dem Sprichwort für die Kuh<lb/>
Muskate ist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literatur.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Das Sprichwort der neueren Sprachen. &#x2014; Ein vergleichend phraseologischer<lb/>
Beitrag zur deutschen Literatur von v. M. C. Wahl.  Erfmt, 1877, Kayser'sche<lb/>
Buchhandlung.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1026" next="#ID_1027"> Die Schwierigkeiten bei der Erlernung einer fremden Sprache bestehen<lb/>
nicht allein in der Nothwendigkeit, sich die Kenntniß ihres grammatischen Ge¬<lb/>
bäudes anzueignen, sondern auch darin, daß man sich jene Besonderheiten in</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0360] Es gibt eine doppelte Art von Zusammensetzungen mit dem Grnndworte weise. Die eine erscheint als Adverbiale, welches, besonders um den Begriff des Adverbs hervorzuheben, gleichsam eine Umschreibung darbietet, und zwar in der Form von Genitiven, wie glücklicherweise, natürlicherweise, gleicherweise. Die zweite Art besteht aus reinen Adverbialformen, die sich aus ihrer Zuscnn- mensetzung nicht herausreißen lassen. Hierher gehören die Bildungen theilweise, stufenweise, stückweise, vorzugsweise, zwangsweise, scharenweise und paarweise. Die Adverbia der ersten Art heißen adjektivische, die der zweiten substantivische Formen, jene lassen sich trennen, diese nicht. Unter allen Umständen sind aber beide Arten nichts weiter als Adverbien, und dennoch hat der Sprachgebrauch die letztere Art auch zu deklinirbareu Adjektiven erhöht. Man liest z. B. die schrittweise Vervollkommung, die zwangsweise Verhaftung, die theilweise Ab¬ nutzung, das stufenweise Emporklimmen, die ausnahmsweise Stellung, der stückweise Verkauf, eine scharenweise Zusammenkunft nndAehnliches. Schon die Klassiker mit Einschluß Lessing/s haben dieser Erhebung des Adverbs zum Ad¬ jektiv gehuldigt, aber seltener als die Gegenwart. Wie sollen wir uns ihr ge¬ genüber verhalten? Der Usus hat schon wiederholt über die strengsten Sprach¬ gesetze gesiegt. Und wenn man erwägt, daß die Vermeidung des Fehlers, der ohne Zweifel weniger aus Nachlässigkeit als aus Liebe zur Kürze entspringt, in den meisten Fällen nur durch eine breitere, schleppende Ausdrucksweise ver¬ mieden werden kann, so würde man wohl in solchen Fällen nicht Unrecht thun, wenn man einmal den Usus walten ließe. Wir danken dem Verfasser für sein Buch, wollen es bestens empfohlen haben und hoffen, daß es wenigstens bei denen, die etwas auf saubern Stil halten, Beherzigung finde. Für die große Masse der Tagesskribenten freilich, die in bekannter Weise leer an Wissen und liederlich im Schreiben in den Tag hineinlumpt, wird es nur Das sein, was nach dem Sprichwort für die Kuh Muskate ist. Literatur. Das Sprichwort der neueren Sprachen. — Ein vergleichend phraseologischer Beitrag zur deutschen Literatur von v. M. C. Wahl. Erfmt, 1877, Kayser'sche Buchhandlung. Die Schwierigkeiten bei der Erlernung einer fremden Sprache bestehen nicht allein in der Nothwendigkeit, sich die Kenntniß ihres grammatischen Ge¬ bäudes anzueignen, sondern auch darin, daß man sich jene Besonderheiten in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/360
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/360>, abgerufen am 03.07.2024.