Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.Jer Juddha und der Juddhismus. ii. Nach dem Tode des Meisters bildeten sich sofort verschiedene Auffassun¬ Die Erweiterung der heiligen Schriften und die Veränderung der Lehren Jer Juddha und der Juddhismus. ii. Nach dem Tode des Meisters bildeten sich sofort verschiedene Auffassun¬ Die Erweiterung der heiligen Schriften und die Veränderung der Lehren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137885"/> </div> <div n="1"> <head> Jer Juddha und der Juddhismus.<lb/> ii.</head><lb/> <p xml:id="ID_468"> Nach dem Tode des Meisters bildeten sich sofort verschiedene Auffassun¬<lb/> gen seiner Lehre, und es kam darüber zu ärgerlichen Streitigkeiten. Um diesen<lb/> durch schriftliche Feststellung der Lehre des Buddha ein Ende zu machen, be¬<lb/> rief Kaßjapa drei Wochen nach dessen Ableben eine Versammlung der vor¬<lb/> nehmsten Geistlichen des Buddhismus nach Radjagriha, wo dieselbe unter dem<lb/> Schutze des Königs Adjcitaßatru sieben Monate tagte. Dieses erste Konzil der<lb/> Buddhisten, dem fünfhundert Arhats beiwohnten, begann damit, daß man alle<lb/> Vorträge des Buddha, die sich auf die Glaubenslehre bezogen, sammelte und<lb/> Ananda, den Lieblingsjünger desselben, beauftragte, sie zu ordnen und zu<lb/> gleicher Zeit ein Leben des Reformators zu schreiben. Dann sammelte auf<lb/> das Gebot des Konzils Upali, ein anderer Schüler Ssakjamunis, die verschie¬<lb/> denen Verfügungen, die dieser in Betreff des geistlichen und klösterlichen Lebens<lb/> erlassen hatte, und gestaltete daraus eine Art Disciplinarverfassung, die von<lb/> den versammelten Vätern dann gutgeheißen wurde. Endlich empfand das<lb/> Konzil, daß es dem Evangelium des Buddha an einer Metaphysik fehlte, und<lb/> daß der Buddhismus ohne eine solche keinen rechten Halt haben, keine Religion<lb/> sein würde. Ssakjamuni, vor allem mit Zerstörung der ungeheuerlichen Un¬<lb/> gleichheiten der bramanischen Gesellschaft und mit Verkündigung der frohen<lb/> Botschaft von der Fähigkeit aller Menschen zur Erlangung des Heils im Nir¬<lb/> wana beschäftigt, hatte von dem Nachdenken über ein höchstes Urwesen und<lb/> dessen Verhältniß zur Menschheit ganz abgesehen, seine Lehre hatte keinen<lb/> Gott. Sie besaß eine Moral, aber keine Theologie. Die letztere zu schaffen<lb/> unternahmen im Auftrage des Konzils die Apostel Kaßjapa und Ssariputra.<lb/> So entstand das Tripitaka, das „dreifache Körbchen", oder die drei Samm¬<lb/> lungen der Moralvorschriften (die Sudras), der Disciplinarverfassnng (Winaja)<lb/> und der anfangs ohne Zweifel sehr einfachen Metaphysik (Abdidharma) der<lb/> Buddhisten, eine Art Bibel, die durch spätere Konzile allerlei Zusätze erhielt.<lb/> Noch später traf man unter den bändereichen Sammlungen dieser Literatur<lb/> eine Auswahl, und die neun Bücher, die man wählte (Dharmas), galten fortan<lb/> allein für kanonisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_469" next="#ID_470"> Die Erweiterung der heiligen Schriften und die Veränderung der Lehren<lb/> des Buddhismus erfolgten vorzüglich durch das feindliche Andringen der<lb/> Bramanen und das Bedürfniß, sich gegen sie zu vertheidigen. Auch nach dem<lb/> Ableben des Buddha breitete sich seine Lehre rasch und mächtig ans. Die<lb/> Bramanen würden sie mit Gewalt bekämpft haben, wenn es ihnen dazu nicht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0184]
Jer Juddha und der Juddhismus.
ii.
Nach dem Tode des Meisters bildeten sich sofort verschiedene Auffassun¬
gen seiner Lehre, und es kam darüber zu ärgerlichen Streitigkeiten. Um diesen
durch schriftliche Feststellung der Lehre des Buddha ein Ende zu machen, be¬
rief Kaßjapa drei Wochen nach dessen Ableben eine Versammlung der vor¬
nehmsten Geistlichen des Buddhismus nach Radjagriha, wo dieselbe unter dem
Schutze des Königs Adjcitaßatru sieben Monate tagte. Dieses erste Konzil der
Buddhisten, dem fünfhundert Arhats beiwohnten, begann damit, daß man alle
Vorträge des Buddha, die sich auf die Glaubenslehre bezogen, sammelte und
Ananda, den Lieblingsjünger desselben, beauftragte, sie zu ordnen und zu
gleicher Zeit ein Leben des Reformators zu schreiben. Dann sammelte auf
das Gebot des Konzils Upali, ein anderer Schüler Ssakjamunis, die verschie¬
denen Verfügungen, die dieser in Betreff des geistlichen und klösterlichen Lebens
erlassen hatte, und gestaltete daraus eine Art Disciplinarverfassung, die von
den versammelten Vätern dann gutgeheißen wurde. Endlich empfand das
Konzil, daß es dem Evangelium des Buddha an einer Metaphysik fehlte, und
daß der Buddhismus ohne eine solche keinen rechten Halt haben, keine Religion
sein würde. Ssakjamuni, vor allem mit Zerstörung der ungeheuerlichen Un¬
gleichheiten der bramanischen Gesellschaft und mit Verkündigung der frohen
Botschaft von der Fähigkeit aller Menschen zur Erlangung des Heils im Nir¬
wana beschäftigt, hatte von dem Nachdenken über ein höchstes Urwesen und
dessen Verhältniß zur Menschheit ganz abgesehen, seine Lehre hatte keinen
Gott. Sie besaß eine Moral, aber keine Theologie. Die letztere zu schaffen
unternahmen im Auftrage des Konzils die Apostel Kaßjapa und Ssariputra.
So entstand das Tripitaka, das „dreifache Körbchen", oder die drei Samm¬
lungen der Moralvorschriften (die Sudras), der Disciplinarverfassnng (Winaja)
und der anfangs ohne Zweifel sehr einfachen Metaphysik (Abdidharma) der
Buddhisten, eine Art Bibel, die durch spätere Konzile allerlei Zusätze erhielt.
Noch später traf man unter den bändereichen Sammlungen dieser Literatur
eine Auswahl, und die neun Bücher, die man wählte (Dharmas), galten fortan
allein für kanonisch.
Die Erweiterung der heiligen Schriften und die Veränderung der Lehren
des Buddhismus erfolgten vorzüglich durch das feindliche Andringen der
Bramanen und das Bedürfniß, sich gegen sie zu vertheidigen. Auch nach dem
Ableben des Buddha breitete sich seine Lehre rasch und mächtig ans. Die
Bramanen würden sie mit Gewalt bekämpft haben, wenn es ihnen dazu nicht
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