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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Jelgische Studien.

Land, Leute und Verhältnisse Belgiens lassen sich nicht anschaulicher und unter¬
haltender schildern, als es von Dr. Fr. Oetker in seinen unlängst (in Stuttgart,
Verlag von Auerbach) erschienenen "Belgischen Studien" geschieht. Der Ver¬
fasser hat sich bekanntlich in den letzten Zeiten vorwiegend als Politiker her¬
vorgethan, in seinen Schilderungen und Erörterungen über Belgien erscheint
er aber nicht minder bedeutend als Erzähler.

Die Hassenpflugsche Revolution hatte Oetker 1850 zum politischen Flücht¬
ling gemacht. Als solcher lebte er erst auf Helgoland, von 1854 bis 1859
meist in Belgien, Seine Schrift über Helgoland gilt als das Beste, was über
die Insel geschrieben ist, und kaum unterläßt ein deutscher Badegast dort, sich
durch dieses Werkchen zu orientiren. Jakob Grimm rieth Oetker, eine ähnliche
Arbeit über Belgien zu liefern. Sie liegt jetzt vor und wird künftig den
Reifenden nach Belgien der beste Führer sein. Freilich sind die Notizen schon
in den fünfziger Jahren gemacht, sie haben dadurch jedoch in nichts verloren.
Sie beruhen, wie man bei der Lektüre sieht, auf den genauesten, gründlichsten
und feinsten Beobachtungen sowie den eingehendsten Studien. Das für uns
zum Theil stammverwandte Belgien erscheint uns durch diese anmuthigen
Schilderungen näher gerückt, und wer einmal durch die Straßen von Gent
und Brügge oder auf der Digue von Ostende gewandert ist, der fühlt sich
durch die Art der Schilderung aufs lebhafteste wieder an Ort und Stelle ver¬
setzt. Infolge der politischen Thätigkeit, zu welcher der Verfasser in Hessen
und Preußen berufen wurde, blieb das Manuskript liegen. Die meisten seiner
Darstellungen konnte der Verfasser nach so langer Unterbrechung nicht vollenden;
in einem Buche vou sechshundert Seiten gibt er uns den werthvollsten Theil der¬
selben. In Belgien wird mau diesem für die dortige Kulturgeschichte wichtigen
Werke alle Beachtung schenken, möge man auch in Deutschland es gebührend
würdigen!

Gerade gegenwärtig, wo das deutsche Vereinsleben in politischer Hinsicht
so viel zu wünschen übrig läßt, sühlt man sich gleichsam beschämt dnrch die
Darstellungen der hohen Stufe, welche das Vereinsleben in Belgien noch gegen¬
wärtig einnimmt. Es gibt eine Unzahl von Vereinen und Gesellschaften, die
in den mannigfaltigsten Formen und Richtungen die verschiedensten Ziele ver¬
folgen. Wir hören von Vereinigungen für Handel und Gewerbe, für Ackerbau
und Viehzucht, für Thier- und Pflanzengarten, für Obstbau und Blumenzucht,
sür Kunst und Wissenschaft, Wohlthätigkeit und Unterricht, Religion und Po¬
litik, Sicherheit und Hülfeleistung, Zeitungslesen und Spiel, Jagd und Fischerei,


Jelgische Studien.

Land, Leute und Verhältnisse Belgiens lassen sich nicht anschaulicher und unter¬
haltender schildern, als es von Dr. Fr. Oetker in seinen unlängst (in Stuttgart,
Verlag von Auerbach) erschienenen „Belgischen Studien" geschieht. Der Ver¬
fasser hat sich bekanntlich in den letzten Zeiten vorwiegend als Politiker her¬
vorgethan, in seinen Schilderungen und Erörterungen über Belgien erscheint
er aber nicht minder bedeutend als Erzähler.

Die Hassenpflugsche Revolution hatte Oetker 1850 zum politischen Flücht¬
ling gemacht. Als solcher lebte er erst auf Helgoland, von 1854 bis 1859
meist in Belgien, Seine Schrift über Helgoland gilt als das Beste, was über
die Insel geschrieben ist, und kaum unterläßt ein deutscher Badegast dort, sich
durch dieses Werkchen zu orientiren. Jakob Grimm rieth Oetker, eine ähnliche
Arbeit über Belgien zu liefern. Sie liegt jetzt vor und wird künftig den
Reifenden nach Belgien der beste Führer sein. Freilich sind die Notizen schon
in den fünfziger Jahren gemacht, sie haben dadurch jedoch in nichts verloren.
Sie beruhen, wie man bei der Lektüre sieht, auf den genauesten, gründlichsten
und feinsten Beobachtungen sowie den eingehendsten Studien. Das für uns
zum Theil stammverwandte Belgien erscheint uns durch diese anmuthigen
Schilderungen näher gerückt, und wer einmal durch die Straßen von Gent
und Brügge oder auf der Digue von Ostende gewandert ist, der fühlt sich
durch die Art der Schilderung aufs lebhafteste wieder an Ort und Stelle ver¬
setzt. Infolge der politischen Thätigkeit, zu welcher der Verfasser in Hessen
und Preußen berufen wurde, blieb das Manuskript liegen. Die meisten seiner
Darstellungen konnte der Verfasser nach so langer Unterbrechung nicht vollenden;
in einem Buche vou sechshundert Seiten gibt er uns den werthvollsten Theil der¬
selben. In Belgien wird mau diesem für die dortige Kulturgeschichte wichtigen
Werke alle Beachtung schenken, möge man auch in Deutschland es gebührend
würdigen!

Gerade gegenwärtig, wo das deutsche Vereinsleben in politischer Hinsicht
so viel zu wünschen übrig läßt, sühlt man sich gleichsam beschämt dnrch die
Darstellungen der hohen Stufe, welche das Vereinsleben in Belgien noch gegen¬
wärtig einnimmt. Es gibt eine Unzahl von Vereinen und Gesellschaften, die
in den mannigfaltigsten Formen und Richtungen die verschiedensten Ziele ver¬
folgen. Wir hören von Vereinigungen für Handel und Gewerbe, für Ackerbau
und Viehzucht, für Thier- und Pflanzengarten, für Obstbau und Blumenzucht,
sür Kunst und Wissenschaft, Wohlthätigkeit und Unterricht, Religion und Po¬
litik, Sicherheit und Hülfeleistung, Zeitungslesen und Spiel, Jagd und Fischerei,


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[0394] Jelgische Studien. Land, Leute und Verhältnisse Belgiens lassen sich nicht anschaulicher und unter¬ haltender schildern, als es von Dr. Fr. Oetker in seinen unlängst (in Stuttgart, Verlag von Auerbach) erschienenen „Belgischen Studien" geschieht. Der Ver¬ fasser hat sich bekanntlich in den letzten Zeiten vorwiegend als Politiker her¬ vorgethan, in seinen Schilderungen und Erörterungen über Belgien erscheint er aber nicht minder bedeutend als Erzähler. Die Hassenpflugsche Revolution hatte Oetker 1850 zum politischen Flücht¬ ling gemacht. Als solcher lebte er erst auf Helgoland, von 1854 bis 1859 meist in Belgien, Seine Schrift über Helgoland gilt als das Beste, was über die Insel geschrieben ist, und kaum unterläßt ein deutscher Badegast dort, sich durch dieses Werkchen zu orientiren. Jakob Grimm rieth Oetker, eine ähnliche Arbeit über Belgien zu liefern. Sie liegt jetzt vor und wird künftig den Reifenden nach Belgien der beste Führer sein. Freilich sind die Notizen schon in den fünfziger Jahren gemacht, sie haben dadurch jedoch in nichts verloren. Sie beruhen, wie man bei der Lektüre sieht, auf den genauesten, gründlichsten und feinsten Beobachtungen sowie den eingehendsten Studien. Das für uns zum Theil stammverwandte Belgien erscheint uns durch diese anmuthigen Schilderungen näher gerückt, und wer einmal durch die Straßen von Gent und Brügge oder auf der Digue von Ostende gewandert ist, der fühlt sich durch die Art der Schilderung aufs lebhafteste wieder an Ort und Stelle ver¬ setzt. Infolge der politischen Thätigkeit, zu welcher der Verfasser in Hessen und Preußen berufen wurde, blieb das Manuskript liegen. Die meisten seiner Darstellungen konnte der Verfasser nach so langer Unterbrechung nicht vollenden; in einem Buche vou sechshundert Seiten gibt er uns den werthvollsten Theil der¬ selben. In Belgien wird mau diesem für die dortige Kulturgeschichte wichtigen Werke alle Beachtung schenken, möge man auch in Deutschland es gebührend würdigen! Gerade gegenwärtig, wo das deutsche Vereinsleben in politischer Hinsicht so viel zu wünschen übrig läßt, sühlt man sich gleichsam beschämt dnrch die Darstellungen der hohen Stufe, welche das Vereinsleben in Belgien noch gegen¬ wärtig einnimmt. Es gibt eine Unzahl von Vereinen und Gesellschaften, die in den mannigfaltigsten Formen und Richtungen die verschiedensten Ziele ver¬ folgen. Wir hören von Vereinigungen für Handel und Gewerbe, für Ackerbau und Viehzucht, für Thier- und Pflanzengarten, für Obstbau und Blumenzucht, sür Kunst und Wissenschaft, Wohlthätigkeit und Unterricht, Religion und Po¬ litik, Sicherheit und Hülfeleistung, Zeitungslesen und Spiel, Jagd und Fischerei,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/394>, abgerufen am 23.07.2024.