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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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für Reiten und Schlesien, Gesang und Tanz, für Scherz und Ernst, kurz, man
kann sagen, auf alles, und zwar in hundert verschiedenen Richtungen und
Eigenthümlichkeiten, hat sich das Vereinsrecht und der Hang zu genossenschaft¬
lichen Verbindungen erstreckt. In Gent bestanden z. B. 1858 über hundert
Vereine, in dem kleinen Se. Nicolas dreißig. Und diese Vereinslust beschränkt
sich nicht etwa ans das reifere Alter und die wohlhabenden Klassen. Es gibt
sehr jugendliche und sehr dürftige "Maatschappijen". Besonders bemerkens¬
werth sind in Gent die Verbindungen der jungen Fabrikarbeiter und Fabrik¬
mädchen. Diese hartgeplagten und doch so unendlich lebenslustigen Geschöpfe
haben nämlich "Kompagnien" gebildet, je aus zehn bis zwanzig Paaren be¬
stehend; denn jedes Mädchen hat seinen ständigen Cavalier; an der Spitze stehen
gewählte Hauptleute. Und der Zweck der Vereinigungen ist nicht etwa Zu-
sammenhalten oder gar auflehnendes Anfordern dem Fabrikherrn gegenüber,
sondern geselliges Vergnügen. Die Compagnie macht gemeinsame Spaziergänge,
besucht dasselbe Bierhaus, denselben Tanzboden und ist überhaupt in strenger
Ordnung, aber heiterer Ungezwungenheit zu Lust und Frende verbrüdert und
gegen jede Störung zu Schutz und Trutz verbündet. Ans Gemeinsamkeit und
Zucht wird mit Strenge geachtet. Monatelang wird gespart und gedarbt für
die Kirmeßfeste und Faschingtage. Es hat, sagt der Verfasser, etwas ungemein
Anziehendes, selbst Rührendes, dies jahrelange Abmühen und Zusammensparen,
um sich einmal mit eigener Kraft und ans eigenen Mitteln einen fröhlichen
Tag machen zu können, und uun erst wenn der Verein, auf neuen Schmuck
verzichtend, einem krank darniederliegenden Genossen eine Freude bereitet.

Es ist dies nur ein Bild aus dem tausendfältig schillernden Vereinsleben,
wie es der Verfasser ans langer Vergangenheit und aus der Gegenwart
schildert. Malt gewinnt die Ueberzeugung, daß dieser Zug nach Vereinigung
aufs tiefste mit dem Wesen des Volkes in Flandern lind Brabant verknüpft
und selbst durch die Schrecknisse, welche früher über das Land zogen, nicht
gemindert worden ist. Wir sehen dies in der Schilderung der Schützenfeste
"ut Preisschießen im funfzehnten Jahrhundert, der Feste und Ehrenbezeugungen
für Philipp den Guten, Karl den Fünften, Margarethe von Oesterreich u. s. w.,
sowie ni dem unverwüstlichen Behagen und der Frende des Volks an glänzendem
Aufputz und öffentlichen Schaustellungen. Bei allem kirchlichen Sinne der
Belgier und all ihrer Liebe zum Königshause würde man, wie Octker sagt,
sich irren, wenn man alle Umzüge und alle Millionen ans Rechnung der Liebe
zur Kirche und zum Könige setzen wollte, vielmehr muß die Neigung des ganzen
Volkes zu Aufzügen und Schaugepränge in Anschlag gebracht werden. Längere
Erzählungen aus Vergangenheit und Gegenwart geben uns einen Begriff, was
alles in diesen: Punkte geleistet wird. Sehr wesentlich wird unsere Kenntniß


für Reiten und Schlesien, Gesang und Tanz, für Scherz und Ernst, kurz, man
kann sagen, auf alles, und zwar in hundert verschiedenen Richtungen und
Eigenthümlichkeiten, hat sich das Vereinsrecht und der Hang zu genossenschaft¬
lichen Verbindungen erstreckt. In Gent bestanden z. B. 1858 über hundert
Vereine, in dem kleinen Se. Nicolas dreißig. Und diese Vereinslust beschränkt
sich nicht etwa ans das reifere Alter und die wohlhabenden Klassen. Es gibt
sehr jugendliche und sehr dürftige „Maatschappijen". Besonders bemerkens¬
werth sind in Gent die Verbindungen der jungen Fabrikarbeiter und Fabrik¬
mädchen. Diese hartgeplagten und doch so unendlich lebenslustigen Geschöpfe
haben nämlich „Kompagnien" gebildet, je aus zehn bis zwanzig Paaren be¬
stehend; denn jedes Mädchen hat seinen ständigen Cavalier; an der Spitze stehen
gewählte Hauptleute. Und der Zweck der Vereinigungen ist nicht etwa Zu-
sammenhalten oder gar auflehnendes Anfordern dem Fabrikherrn gegenüber,
sondern geselliges Vergnügen. Die Compagnie macht gemeinsame Spaziergänge,
besucht dasselbe Bierhaus, denselben Tanzboden und ist überhaupt in strenger
Ordnung, aber heiterer Ungezwungenheit zu Lust und Frende verbrüdert und
gegen jede Störung zu Schutz und Trutz verbündet. Ans Gemeinsamkeit und
Zucht wird mit Strenge geachtet. Monatelang wird gespart und gedarbt für
die Kirmeßfeste und Faschingtage. Es hat, sagt der Verfasser, etwas ungemein
Anziehendes, selbst Rührendes, dies jahrelange Abmühen und Zusammensparen,
um sich einmal mit eigener Kraft und ans eigenen Mitteln einen fröhlichen
Tag machen zu können, und uun erst wenn der Verein, auf neuen Schmuck
verzichtend, einem krank darniederliegenden Genossen eine Freude bereitet.

Es ist dies nur ein Bild aus dem tausendfältig schillernden Vereinsleben,
wie es der Verfasser ans langer Vergangenheit und aus der Gegenwart
schildert. Malt gewinnt die Ueberzeugung, daß dieser Zug nach Vereinigung
aufs tiefste mit dem Wesen des Volkes in Flandern lind Brabant verknüpft
und selbst durch die Schrecknisse, welche früher über das Land zogen, nicht
gemindert worden ist. Wir sehen dies in der Schilderung der Schützenfeste
"ut Preisschießen im funfzehnten Jahrhundert, der Feste und Ehrenbezeugungen
für Philipp den Guten, Karl den Fünften, Margarethe von Oesterreich u. s. w.,
sowie ni dem unverwüstlichen Behagen und der Frende des Volks an glänzendem
Aufputz und öffentlichen Schaustellungen. Bei allem kirchlichen Sinne der
Belgier und all ihrer Liebe zum Königshause würde man, wie Octker sagt,
sich irren, wenn man alle Umzüge und alle Millionen ans Rechnung der Liebe
zur Kirche und zum Könige setzen wollte, vielmehr muß die Neigung des ganzen
Volkes zu Aufzügen und Schaugepränge in Anschlag gebracht werden. Längere
Erzählungen aus Vergangenheit und Gegenwart geben uns einen Begriff, was
alles in diesen: Punkte geleistet wird. Sehr wesentlich wird unsere Kenntniß


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[0395] für Reiten und Schlesien, Gesang und Tanz, für Scherz und Ernst, kurz, man kann sagen, auf alles, und zwar in hundert verschiedenen Richtungen und Eigenthümlichkeiten, hat sich das Vereinsrecht und der Hang zu genossenschaft¬ lichen Verbindungen erstreckt. In Gent bestanden z. B. 1858 über hundert Vereine, in dem kleinen Se. Nicolas dreißig. Und diese Vereinslust beschränkt sich nicht etwa ans das reifere Alter und die wohlhabenden Klassen. Es gibt sehr jugendliche und sehr dürftige „Maatschappijen". Besonders bemerkens¬ werth sind in Gent die Verbindungen der jungen Fabrikarbeiter und Fabrik¬ mädchen. Diese hartgeplagten und doch so unendlich lebenslustigen Geschöpfe haben nämlich „Kompagnien" gebildet, je aus zehn bis zwanzig Paaren be¬ stehend; denn jedes Mädchen hat seinen ständigen Cavalier; an der Spitze stehen gewählte Hauptleute. Und der Zweck der Vereinigungen ist nicht etwa Zu- sammenhalten oder gar auflehnendes Anfordern dem Fabrikherrn gegenüber, sondern geselliges Vergnügen. Die Compagnie macht gemeinsame Spaziergänge, besucht dasselbe Bierhaus, denselben Tanzboden und ist überhaupt in strenger Ordnung, aber heiterer Ungezwungenheit zu Lust und Frende verbrüdert und gegen jede Störung zu Schutz und Trutz verbündet. Ans Gemeinsamkeit und Zucht wird mit Strenge geachtet. Monatelang wird gespart und gedarbt für die Kirmeßfeste und Faschingtage. Es hat, sagt der Verfasser, etwas ungemein Anziehendes, selbst Rührendes, dies jahrelange Abmühen und Zusammensparen, um sich einmal mit eigener Kraft und ans eigenen Mitteln einen fröhlichen Tag machen zu können, und uun erst wenn der Verein, auf neuen Schmuck verzichtend, einem krank darniederliegenden Genossen eine Freude bereitet. Es ist dies nur ein Bild aus dem tausendfältig schillernden Vereinsleben, wie es der Verfasser ans langer Vergangenheit und aus der Gegenwart schildert. Malt gewinnt die Ueberzeugung, daß dieser Zug nach Vereinigung aufs tiefste mit dem Wesen des Volkes in Flandern lind Brabant verknüpft und selbst durch die Schrecknisse, welche früher über das Land zogen, nicht gemindert worden ist. Wir sehen dies in der Schilderung der Schützenfeste "ut Preisschießen im funfzehnten Jahrhundert, der Feste und Ehrenbezeugungen für Philipp den Guten, Karl den Fünften, Margarethe von Oesterreich u. s. w., sowie ni dem unverwüstlichen Behagen und der Frende des Volks an glänzendem Aufputz und öffentlichen Schaustellungen. Bei allem kirchlichen Sinne der Belgier und all ihrer Liebe zum Königshause würde man, wie Octker sagt, sich irren, wenn man alle Umzüge und alle Millionen ans Rechnung der Liebe zur Kirche und zum Könige setzen wollte, vielmehr muß die Neigung des ganzen Volkes zu Aufzügen und Schaugepränge in Anschlag gebracht werden. Längere Erzählungen aus Vergangenheit und Gegenwart geben uns einen Begriff, was alles in diesen: Punkte geleistet wird. Sehr wesentlich wird unsere Kenntniß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/395>, abgerufen am 23.07.2024.