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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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kann und niemals irgendwo existirt hat, am allerwenigsten in den Vereinigten
Staaten, auf die man sich als das classische Beispiel des religionslosen Staates
zu berufen pflegt. Der Geist der Gesetzgebung ist aber dort von den An¬
schauungen einer bestimmten Religionsstufe mehr als anderwärts durchdrungen.
Der Staat mischt sich allerdings nicht in die Verwaltung der Kulte, aber die
Staatsgesetzgebung zieht den Kulten sehr bestimmte Schranken, wiederum vom
Standpunkte einer bestimmten Religionsstufe. Einzelnen Kulten, namentlich
dem katholischen gegenüber, sind diese Schranken allerdings illusorisch, aber
nicht in Folge der Gesetzgebung, sondern in Folge der Staatsaussicht, welche
gleich allen Zweigen der Executive in den Vereinigten Staaten von Jahr zu
Jahr mehr verfällt.

Nachdem die Redner des Centrums ihr Herz erleichtert, bewilligten sie
die Ausgabe-Positionen für das Kultusministerium, soweit dieselben in dieser
Sitzung zur Abstimmung kamen. Man sieht jedoch: bet der Abstimmung
über das Gesetz betreffend die evangelische Kirchenverfassung wird das Centrum
mit den Feinden der evangelischen Kirche stimmen. Möge die national¬
liberale Partei dies nicht unbemerkt lassen und sich bei dem wichtigen Gesetz
<ü -- r. vor Spaltungen hüten.




Literatur.
Bonifacius, der Apostel der Deutschen und die Rvmamsirung von
Mitteleuropa. Eine kirchengeschichtliche Studie von August Werner.
Leipzig, T. O. Weigel. 1375.

In einem Augenblicke, wo der Staat und die gesammte Cultur bei uns
gegen den Ultramontantsmus zu Felde liegen, beansprucht eine neue quellen¬
mäßige und unparteiische Darstellung des Zeitalters, welches den ersten römi¬
schen Nuntius diesseit der Alpen gesehen hat, in weiteren Kreisen als denen
der historischen Wissenschaft Beachtung, und unser Buch verdient nicht nur
jene Prädicate, sondern ist zugleich lebendig und anziehend geschrieben, sodaß
wir es nach allen Beziehungen empfehlen können. Der erste Abschnitt schil¬
dert uns die Wirksamkeit des Bonifacius bis zum Jahre 740, den Gegensatz
des römischen und des britischen Christenthums, die Mission in Hessen und
Thüringen, die fränkische Kirchenpolitik unter Karl Martell, den Widerstand
der romfreien Christen und den Angriff Roms auf Bayern, der zweite das
allmähliche Eindringen des Römerthums in die fränkische Kirche und dessen


kann und niemals irgendwo existirt hat, am allerwenigsten in den Vereinigten
Staaten, auf die man sich als das classische Beispiel des religionslosen Staates
zu berufen pflegt. Der Geist der Gesetzgebung ist aber dort von den An¬
schauungen einer bestimmten Religionsstufe mehr als anderwärts durchdrungen.
Der Staat mischt sich allerdings nicht in die Verwaltung der Kulte, aber die
Staatsgesetzgebung zieht den Kulten sehr bestimmte Schranken, wiederum vom
Standpunkte einer bestimmten Religionsstufe. Einzelnen Kulten, namentlich
dem katholischen gegenüber, sind diese Schranken allerdings illusorisch, aber
nicht in Folge der Gesetzgebung, sondern in Folge der Staatsaussicht, welche
gleich allen Zweigen der Executive in den Vereinigten Staaten von Jahr zu
Jahr mehr verfällt.

Nachdem die Redner des Centrums ihr Herz erleichtert, bewilligten sie
die Ausgabe-Positionen für das Kultusministerium, soweit dieselben in dieser
Sitzung zur Abstimmung kamen. Man sieht jedoch: bet der Abstimmung
über das Gesetz betreffend die evangelische Kirchenverfassung wird das Centrum
mit den Feinden der evangelischen Kirche stimmen. Möge die national¬
liberale Partei dies nicht unbemerkt lassen und sich bei dem wichtigen Gesetz
<ü — r. vor Spaltungen hüten.




Literatur.
Bonifacius, der Apostel der Deutschen und die Rvmamsirung von
Mitteleuropa. Eine kirchengeschichtliche Studie von August Werner.
Leipzig, T. O. Weigel. 1375.

In einem Augenblicke, wo der Staat und die gesammte Cultur bei uns
gegen den Ultramontantsmus zu Felde liegen, beansprucht eine neue quellen¬
mäßige und unparteiische Darstellung des Zeitalters, welches den ersten römi¬
schen Nuntius diesseit der Alpen gesehen hat, in weiteren Kreisen als denen
der historischen Wissenschaft Beachtung, und unser Buch verdient nicht nur
jene Prädicate, sondern ist zugleich lebendig und anziehend geschrieben, sodaß
wir es nach allen Beziehungen empfehlen können. Der erste Abschnitt schil¬
dert uns die Wirksamkeit des Bonifacius bis zum Jahre 740, den Gegensatz
des römischen und des britischen Christenthums, die Mission in Hessen und
Thüringen, die fränkische Kirchenpolitik unter Karl Martell, den Widerstand
der romfreien Christen und den Angriff Roms auf Bayern, der zweite das
allmähliche Eindringen des Römerthums in die fränkische Kirche und dessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/484>, abgerufen am 28.06.2024.