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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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sollte, so werden die Unabhängigen sich in diesem Jahre nicht, wie im Jahre
1872, zur Wahl zwischen zwei Uebeln zwingen lassen, sondern sehr wahr¬
scheinlich aus eigene Faust vorangehen, d. h. eine eigene National-Convention
berufen, ein eigenes Parteiprogramm entwerfen und für das Amt des Präsi¬
denten und Vicepräsidenten selbständige Candidaten aufstellen. Ob allerdings
die so entstandene, oder vielmehr möglicher Weise so entstehende Partei gleich
in der ersten Wahlschlacht den Sieg davon tragen wird, das ist eine andere
Frage. Auch die republikanische Partei unterlag mit ihrem ersten Candidaten
John C. Fremont im Jahre 1856, aber nur, um im Jahre 1860 mit
Abraham Lincoln zu siegen.

Was bis dahin von der demokratischen Partei, die doch im Repräsen¬
tantenhause des Kongresses die Majorität hat. hinsichtlich der Finanzfrage
geschehen ist, trägt durchaus nicht zu deren Stärkung bei; auch die Führer
der republikanischen Partei im Kongresse haben bis jetzt nichts gethan, wo¬
durch sie ihre Sache besonders gehoben hätten. Der Antrag aber, den Herr
Conover, Bundessenator für Florida und intimer Freund des Präsidenten
Grant. am 10. Januar d. I. stellte und der dahin geht, daß die Vereinigten
Staaten den Insurgenten von Cuba und Spanien gegenüber dieselbe Neu¬
tralität beobachten sollten, die beim Ausbruche des Bürgerkrieges von Spa¬
nien den Secessionisten und dem für die Erhaltung der Union kämpfenden
Norden gegenüber beobachtet wurde, -- dieser Antrag wird sehr wahrschein¬
lich ohne alle praktischen Folgen bleiben und keine kriegerischen Verwickelungen
hervorrufen. Die "New-Uork Tribune" bezeichnet den Conover'schen Antrag
in derber Weise, aber mit Recht, als einen "thörichten und schlecht überlegten"
(to(lust ana ni-oonsiÄeröÄ). Das Volk der Vereinigten Staaten will keinen
unnöthigen Krieg, am allerwenigsten in diesem Jahre, in welchem es sein hun¬
dertjähriges Nationalfest feiert und alle civilisirten Nationen der Erde zur
Beschickung der Weltausstellung in Philadelphia eingeladen hat.


Rud. Doehn.


Vom preußischen Landtag.

Nachdem am 29. Februar eine der Berathung des Haushalts gewidmete
Sitzung ohne Interesse für unsern Bericht vorübergegangen, beschäftigte sich
das Abgeordnetenhaus am 1. März zunächst mit einer jener unnützen Inter¬
pellationen, deren Zweck für außerparlamentarische Sterbliche ganz unerfindlich


sollte, so werden die Unabhängigen sich in diesem Jahre nicht, wie im Jahre
1872, zur Wahl zwischen zwei Uebeln zwingen lassen, sondern sehr wahr¬
scheinlich aus eigene Faust vorangehen, d. h. eine eigene National-Convention
berufen, ein eigenes Parteiprogramm entwerfen und für das Amt des Präsi¬
denten und Vicepräsidenten selbständige Candidaten aufstellen. Ob allerdings
die so entstandene, oder vielmehr möglicher Weise so entstehende Partei gleich
in der ersten Wahlschlacht den Sieg davon tragen wird, das ist eine andere
Frage. Auch die republikanische Partei unterlag mit ihrem ersten Candidaten
John C. Fremont im Jahre 1856, aber nur, um im Jahre 1860 mit
Abraham Lincoln zu siegen.

Was bis dahin von der demokratischen Partei, die doch im Repräsen¬
tantenhause des Kongresses die Majorität hat. hinsichtlich der Finanzfrage
geschehen ist, trägt durchaus nicht zu deren Stärkung bei; auch die Führer
der republikanischen Partei im Kongresse haben bis jetzt nichts gethan, wo¬
durch sie ihre Sache besonders gehoben hätten. Der Antrag aber, den Herr
Conover, Bundessenator für Florida und intimer Freund des Präsidenten
Grant. am 10. Januar d. I. stellte und der dahin geht, daß die Vereinigten
Staaten den Insurgenten von Cuba und Spanien gegenüber dieselbe Neu¬
tralität beobachten sollten, die beim Ausbruche des Bürgerkrieges von Spa¬
nien den Secessionisten und dem für die Erhaltung der Union kämpfenden
Norden gegenüber beobachtet wurde, — dieser Antrag wird sehr wahrschein¬
lich ohne alle praktischen Folgen bleiben und keine kriegerischen Verwickelungen
hervorrufen. Die „New-Uork Tribune" bezeichnet den Conover'schen Antrag
in derber Weise, aber mit Recht, als einen „thörichten und schlecht überlegten"
(to(lust ana ni-oonsiÄeröÄ). Das Volk der Vereinigten Staaten will keinen
unnöthigen Krieg, am allerwenigsten in diesem Jahre, in welchem es sein hun¬
dertjähriges Nationalfest feiert und alle civilisirten Nationen der Erde zur
Beschickung der Weltausstellung in Philadelphia eingeladen hat.


Rud. Doehn.


Vom preußischen Landtag.

Nachdem am 29. Februar eine der Berathung des Haushalts gewidmete
Sitzung ohne Interesse für unsern Bericht vorübergegangen, beschäftigte sich
das Abgeordnetenhaus am 1. März zunächst mit einer jener unnützen Inter¬
pellationen, deren Zweck für außerparlamentarische Sterbliche ganz unerfindlich


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[0477] sollte, so werden die Unabhängigen sich in diesem Jahre nicht, wie im Jahre 1872, zur Wahl zwischen zwei Uebeln zwingen lassen, sondern sehr wahr¬ scheinlich aus eigene Faust vorangehen, d. h. eine eigene National-Convention berufen, ein eigenes Parteiprogramm entwerfen und für das Amt des Präsi¬ denten und Vicepräsidenten selbständige Candidaten aufstellen. Ob allerdings die so entstandene, oder vielmehr möglicher Weise so entstehende Partei gleich in der ersten Wahlschlacht den Sieg davon tragen wird, das ist eine andere Frage. Auch die republikanische Partei unterlag mit ihrem ersten Candidaten John C. Fremont im Jahre 1856, aber nur, um im Jahre 1860 mit Abraham Lincoln zu siegen. Was bis dahin von der demokratischen Partei, die doch im Repräsen¬ tantenhause des Kongresses die Majorität hat. hinsichtlich der Finanzfrage geschehen ist, trägt durchaus nicht zu deren Stärkung bei; auch die Führer der republikanischen Partei im Kongresse haben bis jetzt nichts gethan, wo¬ durch sie ihre Sache besonders gehoben hätten. Der Antrag aber, den Herr Conover, Bundessenator für Florida und intimer Freund des Präsidenten Grant. am 10. Januar d. I. stellte und der dahin geht, daß die Vereinigten Staaten den Insurgenten von Cuba und Spanien gegenüber dieselbe Neu¬ tralität beobachten sollten, die beim Ausbruche des Bürgerkrieges von Spa¬ nien den Secessionisten und dem für die Erhaltung der Union kämpfenden Norden gegenüber beobachtet wurde, — dieser Antrag wird sehr wahrschein¬ lich ohne alle praktischen Folgen bleiben und keine kriegerischen Verwickelungen hervorrufen. Die „New-Uork Tribune" bezeichnet den Conover'schen Antrag in derber Weise, aber mit Recht, als einen „thörichten und schlecht überlegten" (to(lust ana ni-oonsiÄeröÄ). Das Volk der Vereinigten Staaten will keinen unnöthigen Krieg, am allerwenigsten in diesem Jahre, in welchem es sein hun¬ dertjähriges Nationalfest feiert und alle civilisirten Nationen der Erde zur Beschickung der Weltausstellung in Philadelphia eingeladen hat. Rud. Doehn. Vom preußischen Landtag. Nachdem am 29. Februar eine der Berathung des Haushalts gewidmete Sitzung ohne Interesse für unsern Bericht vorübergegangen, beschäftigte sich das Abgeordnetenhaus am 1. März zunächst mit einer jener unnützen Inter¬ pellationen, deren Zweck für außerparlamentarische Sterbliche ganz unerfindlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/477>, abgerufen am 28.06.2024.