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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Mein voriger Bericht aus der Schweiz beschränkte sich beinahe auf Nekro-
loge; ich kann leider auch dießmal keine bessere Botschaft bringen -- nicht
durch meine Schuld, sondern durch die der Liieva nveessitÄS. Und dießmal
ist noch dazu ein eroseenä o in dem I^crimoso zu constatiren. Werner Mun-
zinger, der berühmte Afrikareisende, Heinrich Lang, der feurige Kanzelredner
und das Haupt der schweizerischen Reformer, Juste Oltvier, der weit über die
Grenzen seines Vaterlandes hinaus bekannte und beliebte Novellist, einer der
Koryphäen der französischen Dorfgeschichte, Professor Rültimann, der gediegene
Gelehrte und Lehrer, der Genfer Dichter Moise Hornung, den im 33. Jahre
der Unerbittliche hinwegraffte, der liebenswürdige Mann von vollendeter Urba¬
nität, Mitarbeiter der "IZiblitMöyuö umverLöllL" und des "NaMiüin xittorizs-
yue", der trotz fünfzehnjähriger Thätigkeit in der Finanzverwaltung den Musen
treu blieb und seine Landsleute mit den lieblichen Gaben eines naturwüchsigen
Talents erfreute: sie Alle sind gestorben. Hornung starb am Sylvestertage fern
von der Heimath in Algier, wo er Heilung gesucht hatte. Reiferen Alters und
auf der Höhe seines Ruhmes starb Olivier (geb. 18. Oct. 1807 in der Waadt,
im Dorfe Eysins), ohne Widerspruch einer der hervorragendsten Vertreter der
schönwisfenschaftlichen schweizerischen Literatur und der populärste Schriftsteller
der romanischen Schweiz. Olivier ist zunächst als Ethnograph aufgetreten in
dem zweibändigen Werk "Is cantor als VauZ" (Lausanne 1837 --1841), hier¬
auf als Dichter, dessen "enansons loinwines" (Paris 1847) sich eines nach¬
haltigen Erfolgs selbst in der französischen Metropole erfreuten und ebenda
in einer Prachtausgabe (1834) wiederholt aufgelegt wurden. Seine Haupt¬
stärke ruht jedoch in seiner Novellistik. Der Roman: "1e pr6 aux noisettes"
hat einen Vergleich mit den besten Erzeugnissen Töpfer's, des berühmten Ver¬
fassers der "Vo^AM en Uig-sag" durchaus nicht zu scheuen. Seine Novellen,
in denen das Leben der Heimath, das Blut des Volkes, die Liebe zum
Vaterland pulst, deren Sprache den Reiz der Einfachheit mit dem Adel der
Gesinnung verbindet und, vom Hauch feiner Bildung durchgeistigt, gleich¬
wohl das Abbild der Natur zu sein scheint und daneben doch wieder das
Gepräge unnachahmlicher, wahrhaft genialer Originalität trägt, haben seinem
Ruhm zu stetem Steigen verholfen. Alle seine Nachahmer sind an ihm ge¬
scheitert, weil eben die Sprache Olivier's er selber, der durchaus individuell
geartete Dichter war. In seinem Heimathcanton bekleidete er, nach einem
längeren Aufenthalt als Professor der Geschichte und Literatur in Neuenburg,
die Stelle eines Lehrers derselben Fächer an der Akademie von Lausanne.
Durch bürgerliche Unruhen vertrieben (1843) ließ er sich in Paris nieder und


Mein voriger Bericht aus der Schweiz beschränkte sich beinahe auf Nekro-
loge; ich kann leider auch dießmal keine bessere Botschaft bringen — nicht
durch meine Schuld, sondern durch die der Liieva nveessitÄS. Und dießmal
ist noch dazu ein eroseenä o in dem I^crimoso zu constatiren. Werner Mun-
zinger, der berühmte Afrikareisende, Heinrich Lang, der feurige Kanzelredner
und das Haupt der schweizerischen Reformer, Juste Oltvier, der weit über die
Grenzen seines Vaterlandes hinaus bekannte und beliebte Novellist, einer der
Koryphäen der französischen Dorfgeschichte, Professor Rültimann, der gediegene
Gelehrte und Lehrer, der Genfer Dichter Moise Hornung, den im 33. Jahre
der Unerbittliche hinwegraffte, der liebenswürdige Mann von vollendeter Urba¬
nität, Mitarbeiter der „IZiblitMöyuö umverLöllL" und des „NaMiüin xittorizs-
yue", der trotz fünfzehnjähriger Thätigkeit in der Finanzverwaltung den Musen
treu blieb und seine Landsleute mit den lieblichen Gaben eines naturwüchsigen
Talents erfreute: sie Alle sind gestorben. Hornung starb am Sylvestertage fern
von der Heimath in Algier, wo er Heilung gesucht hatte. Reiferen Alters und
auf der Höhe seines Ruhmes starb Olivier (geb. 18. Oct. 1807 in der Waadt,
im Dorfe Eysins), ohne Widerspruch einer der hervorragendsten Vertreter der
schönwisfenschaftlichen schweizerischen Literatur und der populärste Schriftsteller
der romanischen Schweiz. Olivier ist zunächst als Ethnograph aufgetreten in
dem zweibändigen Werk „Is cantor als VauZ" (Lausanne 1837 —1841), hier¬
auf als Dichter, dessen „enansons loinwines" (Paris 1847) sich eines nach¬
haltigen Erfolgs selbst in der französischen Metropole erfreuten und ebenda
in einer Prachtausgabe (1834) wiederholt aufgelegt wurden. Seine Haupt¬
stärke ruht jedoch in seiner Novellistik. Der Roman: „1e pr6 aux noisettes"
hat einen Vergleich mit den besten Erzeugnissen Töpfer's, des berühmten Ver¬
fassers der „Vo^AM en Uig-sag" durchaus nicht zu scheuen. Seine Novellen,
in denen das Leben der Heimath, das Blut des Volkes, die Liebe zum
Vaterland pulst, deren Sprache den Reiz der Einfachheit mit dem Adel der
Gesinnung verbindet und, vom Hauch feiner Bildung durchgeistigt, gleich¬
wohl das Abbild der Natur zu sein scheint und daneben doch wieder das
Gepräge unnachahmlicher, wahrhaft genialer Originalität trägt, haben seinem
Ruhm zu stetem Steigen verholfen. Alle seine Nachahmer sind an ihm ge¬
scheitert, weil eben die Sprache Olivier's er selber, der durchaus individuell
geartete Dichter war. In seinem Heimathcanton bekleidete er, nach einem
längeren Aufenthalt als Professor der Geschichte und Literatur in Neuenburg,
die Stelle eines Lehrers derselben Fächer an der Akademie von Lausanne.
Durch bürgerliche Unruhen vertrieben (1843) ließ er sich in Paris nieder und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/398>, abgerufen am 28.09.2024.