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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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in mir habe. -- Weiter hat sich auch anderes wesentlich zum Lebensabschlusse
Gehöriges in der letzten Zeit providentiell gefügt: Mariens Marmorblock muß
jeden Tag fertig werden; ich habe die leidige Bücher- und Manuscripten-An-
gelegenheit des Vaters, die neun Jahre vertrudelt worden ist, nun durch amt¬
liche Notification sicher vor mir liegen, und so noch anderes, alles deutlich
darauf weisend, daß ich xsraetis ladoribus, die wahrlich nicht klein waren,
denn ich habe das Leben furchtbar schwer genommen, nun jede Stunde ab-
marschiren kann." Nachmittags bestand er noch darauf, daß seine kleine Fa¬
milie und Hausgenossenschaft zum Anschauen der Kaiserfeierlichkeiten in Breslau
gehen solle, und blieb allein. Abends legte er sich mit den Worten zu Bett:
"Nun wollen wir sehen, was der liebe Gott machen wird." Nachts schlief
er ruhiger wie sonst. Des andern Morgens war er nicht mehr ganz klar;
eine Lungenentzündung war eingetreten, an welcher er am 11. September
Vormittags halb 11 Uhr sanft entschlief.

Das Begräbnis? fand am 14. statt unter Theilnahme des Rectors der
Universität und zahlreicher Collegen und Schüler. Die Trauerrede am Sarge
wurde im Studirzimmer des Heimgegangenen von Herrn Prediger Meyer
gehalten, der sich darin als warmen Freund und Verehrer Rückert's bekannte.
Die große Mehrheit der Trauerversammlung geleitete die irdische Hülle auf
den Gottesacker, wo die Beerdigung mit Gesang, Gebet und Einsegnung
stattfand.

"So war Heinrich Rückert" -- wie der würdige Geistliche an seinem
Sarge es ausgesprochen hat -- "durch die Idealität seines Strebens, durch
die Reinheit seiner Gesinnung, den Adel seines Charakters, die Liebe zur
deutschen Art, der ächte, werthe Sohn Friedrich Rückert's."


Fortlage.


Wein Onkel Aenzamin.
ii.

Ausführlicher müssen wir von den folgenden Kapiteln sprechen, die eine der
köstlichsten Episoden unsrer Erzählung enthalten. Nicht weit von Corvol
liegt ein altes halbverfallnes Schloß, in welchem der Herr Marquis Kam-
byses haust, ein hochmüthiger, gewaltthätiger Gesell, der sich als Gebieter
der ganz en Nachbarschaft betrachtet und dieselbe nach Kräften drangsalirt


in mir habe. — Weiter hat sich auch anderes wesentlich zum Lebensabschlusse
Gehöriges in der letzten Zeit providentiell gefügt: Mariens Marmorblock muß
jeden Tag fertig werden; ich habe die leidige Bücher- und Manuscripten-An-
gelegenheit des Vaters, die neun Jahre vertrudelt worden ist, nun durch amt¬
liche Notification sicher vor mir liegen, und so noch anderes, alles deutlich
darauf weisend, daß ich xsraetis ladoribus, die wahrlich nicht klein waren,
denn ich habe das Leben furchtbar schwer genommen, nun jede Stunde ab-
marschiren kann." Nachmittags bestand er noch darauf, daß seine kleine Fa¬
milie und Hausgenossenschaft zum Anschauen der Kaiserfeierlichkeiten in Breslau
gehen solle, und blieb allein. Abends legte er sich mit den Worten zu Bett:
„Nun wollen wir sehen, was der liebe Gott machen wird." Nachts schlief
er ruhiger wie sonst. Des andern Morgens war er nicht mehr ganz klar;
eine Lungenentzündung war eingetreten, an welcher er am 11. September
Vormittags halb 11 Uhr sanft entschlief.

Das Begräbnis? fand am 14. statt unter Theilnahme des Rectors der
Universität und zahlreicher Collegen und Schüler. Die Trauerrede am Sarge
wurde im Studirzimmer des Heimgegangenen von Herrn Prediger Meyer
gehalten, der sich darin als warmen Freund und Verehrer Rückert's bekannte.
Die große Mehrheit der Trauerversammlung geleitete die irdische Hülle auf
den Gottesacker, wo die Beerdigung mit Gesang, Gebet und Einsegnung
stattfand.

„So war Heinrich Rückert" — wie der würdige Geistliche an seinem
Sarge es ausgesprochen hat — „durch die Idealität seines Strebens, durch
die Reinheit seiner Gesinnung, den Adel seines Charakters, die Liebe zur
deutschen Art, der ächte, werthe Sohn Friedrich Rückert's."


Fortlage.


Wein Onkel Aenzamin.
ii.

Ausführlicher müssen wir von den folgenden Kapiteln sprechen, die eine der
köstlichsten Episoden unsrer Erzählung enthalten. Nicht weit von Corvol
liegt ein altes halbverfallnes Schloß, in welchem der Herr Marquis Kam-
byses haust, ein hochmüthiger, gewaltthätiger Gesell, der sich als Gebieter
der ganz en Nachbarschaft betrachtet und dieselbe nach Kräften drangsalirt


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[0230] in mir habe. — Weiter hat sich auch anderes wesentlich zum Lebensabschlusse Gehöriges in der letzten Zeit providentiell gefügt: Mariens Marmorblock muß jeden Tag fertig werden; ich habe die leidige Bücher- und Manuscripten-An- gelegenheit des Vaters, die neun Jahre vertrudelt worden ist, nun durch amt¬ liche Notification sicher vor mir liegen, und so noch anderes, alles deutlich darauf weisend, daß ich xsraetis ladoribus, die wahrlich nicht klein waren, denn ich habe das Leben furchtbar schwer genommen, nun jede Stunde ab- marschiren kann." Nachmittags bestand er noch darauf, daß seine kleine Fa¬ milie und Hausgenossenschaft zum Anschauen der Kaiserfeierlichkeiten in Breslau gehen solle, und blieb allein. Abends legte er sich mit den Worten zu Bett: „Nun wollen wir sehen, was der liebe Gott machen wird." Nachts schlief er ruhiger wie sonst. Des andern Morgens war er nicht mehr ganz klar; eine Lungenentzündung war eingetreten, an welcher er am 11. September Vormittags halb 11 Uhr sanft entschlief. Das Begräbnis? fand am 14. statt unter Theilnahme des Rectors der Universität und zahlreicher Collegen und Schüler. Die Trauerrede am Sarge wurde im Studirzimmer des Heimgegangenen von Herrn Prediger Meyer gehalten, der sich darin als warmen Freund und Verehrer Rückert's bekannte. Die große Mehrheit der Trauerversammlung geleitete die irdische Hülle auf den Gottesacker, wo die Beerdigung mit Gesang, Gebet und Einsegnung stattfand. „So war Heinrich Rückert" — wie der würdige Geistliche an seinem Sarge es ausgesprochen hat — „durch die Idealität seines Strebens, durch die Reinheit seiner Gesinnung, den Adel seines Charakters, die Liebe zur deutschen Art, der ächte, werthe Sohn Friedrich Rückert's." Fortlage. Wein Onkel Aenzamin. ii. Ausführlicher müssen wir von den folgenden Kapiteln sprechen, die eine der köstlichsten Episoden unsrer Erzählung enthalten. Nicht weit von Corvol liegt ein altes halbverfallnes Schloß, in welchem der Herr Marquis Kam- byses haust, ein hochmüthiger, gewaltthätiger Gesell, der sich als Gebieter der ganz en Nachbarschaft betrachtet und dieselbe nach Kräften drangsalirt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/230>, abgerufen am 28.09.2024.