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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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"Er machte in Despotismus aus Laune, zum Zeitvertreib und hauptsächlich
aus Eigenliebe. Um die hervorragendste Person des Landes zu sein, hatte
er sich zur bösesten gemacht. Er war, den Umfang abgerechnet, wie der Floh,
der seine Gegenwart zwischen unsern Betttüchern nicht anders bemerklich
machen kann, als indem er uns sticht. Obwohl er reich war, hatte er
Gläubiger; aber es war ein Ehrenpunkt für ihn, sie nicht zu bezahlen."
"Er prügelte die Bauern, nahm ihnen ihre Weiber, wenn sie hübsch waren,
brach in ihre Felder mit seinen Meuten, trat ihre Ernten mit den Füßen
seiner Knechte zu Boden, drückte seine Flinte kaum weniger flink auf sie ab
als auf einen Fuchs. Schon hatte er zwei oder drei auf diese Weise übel
zugerichtet, und ebenso waren mehrere Honoratioren von Clamecy Opfer seiner
schlechten Späße geworden. Obwohl er noch nicht alt war, hatte das Leben
dieses ehrenwerthen Edelmannes genug blutige Schelmenstreiche für zwei
lebenslängliche Galeerensträflinge aufzuweisen. Aber seine Familie war wohl¬
gelitten ^bei Hofe, und der Einfluß seiner adeligen Vettern schützte ihn vor
aller Verfolgung durch Justiz oder Polizei." Diesem Unhold begegnet der
Onkel Benjamin eines schönen Morgens, als er sich mit seinem Collegen,
Doctor Fata, von einer ihn nicht interessirenden Jagdpartie Papa Minrit's
entfernt hat, um sich bei Fata ein von diesem in Spiritus aufbewahrtes
Kind mit vier Köpfen anzusehen. Fata grüßt den Gewaltigen demüthig mit
tiefem Bückling, Benjamin bleibt kerzengerade und mit bedecktem Kopfe stehen
wie ein spanischer Grand. "Lümmel! sagte der furchtbare Marquis zu meinem
Onkel, warum grüßest Du mich nicht? -- Selber Lümmel, antwortete Ben¬
jamin Rathery, indem er ihn mit seinen grauen Augen von oben bis unten
maß, warum grüßest Du mich nicht. -- Weißt Du nicht, daß ich der Mar¬
quis von Kambyses, Herr all dieses Landes, bin? -- Und Du, weißt Du
nicht, daß ich Benjamin Rathery, Doctor der Medicin, von Clamecy bin.--
Wirklich! sagte der Marquis, Du bist Heilkünstler? Da gratultr ich Dir.
Das ist wahrhaftig ein schöner Titel, den Du da hast. -- Das ist ein Titel,
der wohl so viel werth ist als der Deinige. Um ihn zu erwerben, mußte
ich langen und ernstlichen Studien obliegen. Aber Du, das Von, das Du
vor Deinen Namen setzest, was hat Dich das gekostet? Der König kann
Zwanzig Marquis an einem Tage machen, aber er soll mit seiner Allmacht
einmal versuchen, einen einzigen Arzt zu schaffen. -- Der Marquis hatte an
diesem Tage gut gefrühstückt und war gnädiger Laune. Das ist ein drolliger
Kauz, sagte er, ich will ihn lieber gefunden haben als einen Rehbock. Und
der dort, fügte er bei, indem er auf Fata deutete, wer ist der? -- Herr Fata
von Varzy, Euer Durchlaucht, sagte der Arzt mit einer tiefen Verbeugung. --
Wie? fragte der Marquis zu Fata, kennst Du diesen Menschen? -- Sehr
wenig. Herr Marquis, ich versichere es Ihnen; ich kenne ihn blos, weil ich


»Er machte in Despotismus aus Laune, zum Zeitvertreib und hauptsächlich
aus Eigenliebe. Um die hervorragendste Person des Landes zu sein, hatte
er sich zur bösesten gemacht. Er war, den Umfang abgerechnet, wie der Floh,
der seine Gegenwart zwischen unsern Betttüchern nicht anders bemerklich
machen kann, als indem er uns sticht. Obwohl er reich war, hatte er
Gläubiger; aber es war ein Ehrenpunkt für ihn, sie nicht zu bezahlen."
»Er prügelte die Bauern, nahm ihnen ihre Weiber, wenn sie hübsch waren,
brach in ihre Felder mit seinen Meuten, trat ihre Ernten mit den Füßen
seiner Knechte zu Boden, drückte seine Flinte kaum weniger flink auf sie ab
als auf einen Fuchs. Schon hatte er zwei oder drei auf diese Weise übel
zugerichtet, und ebenso waren mehrere Honoratioren von Clamecy Opfer seiner
schlechten Späße geworden. Obwohl er noch nicht alt war, hatte das Leben
dieses ehrenwerthen Edelmannes genug blutige Schelmenstreiche für zwei
lebenslängliche Galeerensträflinge aufzuweisen. Aber seine Familie war wohl¬
gelitten ^bei Hofe, und der Einfluß seiner adeligen Vettern schützte ihn vor
aller Verfolgung durch Justiz oder Polizei." Diesem Unhold begegnet der
Onkel Benjamin eines schönen Morgens, als er sich mit seinem Collegen,
Doctor Fata, von einer ihn nicht interessirenden Jagdpartie Papa Minrit's
entfernt hat, um sich bei Fata ein von diesem in Spiritus aufbewahrtes
Kind mit vier Köpfen anzusehen. Fata grüßt den Gewaltigen demüthig mit
tiefem Bückling, Benjamin bleibt kerzengerade und mit bedecktem Kopfe stehen
wie ein spanischer Grand. „Lümmel! sagte der furchtbare Marquis zu meinem
Onkel, warum grüßest Du mich nicht? — Selber Lümmel, antwortete Ben¬
jamin Rathery, indem er ihn mit seinen grauen Augen von oben bis unten
maß, warum grüßest Du mich nicht. — Weißt Du nicht, daß ich der Mar¬
quis von Kambyses, Herr all dieses Landes, bin? — Und Du, weißt Du
nicht, daß ich Benjamin Rathery, Doctor der Medicin, von Clamecy bin.—
Wirklich! sagte der Marquis, Du bist Heilkünstler? Da gratultr ich Dir.
Das ist wahrhaftig ein schöner Titel, den Du da hast. — Das ist ein Titel,
der wohl so viel werth ist als der Deinige. Um ihn zu erwerben, mußte
ich langen und ernstlichen Studien obliegen. Aber Du, das Von, das Du
vor Deinen Namen setzest, was hat Dich das gekostet? Der König kann
Zwanzig Marquis an einem Tage machen, aber er soll mit seiner Allmacht
einmal versuchen, einen einzigen Arzt zu schaffen. — Der Marquis hatte an
diesem Tage gut gefrühstückt und war gnädiger Laune. Das ist ein drolliger
Kauz, sagte er, ich will ihn lieber gefunden haben als einen Rehbock. Und
der dort, fügte er bei, indem er auf Fata deutete, wer ist der? — Herr Fata
von Varzy, Euer Durchlaucht, sagte der Arzt mit einer tiefen Verbeugung. —
Wie? fragte der Marquis zu Fata, kennst Du diesen Menschen? — Sehr
wenig. Herr Marquis, ich versichere es Ihnen; ich kenne ihn blos, weil ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/231>, abgerufen am 27.09.2024.