Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.Aphorismen zu den neuesten Ieitfragen. Von L. P. Lange, Professor und Oberconsistorialrath zu Bonn. 1. Gallische sympathetische Ekstase". Die jetzige ultramontane Aufregung in Frankreich oder vielmehr des Es erscheint als eine Eigenheit des gallischen Geistes, welche ohne Zweifel Die Erscheinungen des Aufloderns gallischer Ekstasen gegen vermeintliche Aphorismen zu den neuesten Ieitfragen. Von L. P. Lange, Professor und Oberconsistorialrath zu Bonn. 1. Gallische sympathetische Ekstase«. Die jetzige ultramontane Aufregung in Frankreich oder vielmehr des Es erscheint als eine Eigenheit des gallischen Geistes, welche ohne Zweifel Die Erscheinungen des Aufloderns gallischer Ekstasen gegen vermeintliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133855"/> </div> <div n="1"> <head> Aphorismen zu den neuesten Ieitfragen.<lb/><note type="byline"> Von L. P. Lange, Professor und Oberconsistorialrath zu Bonn.</note> 1. Gallische sympathetische Ekstase«.</head><lb/> <p xml:id="ID_85"> Die jetzige ultramontane Aufregung in Frankreich oder vielmehr des<lb/> französischen Volkes ist keine neue Erscheinung, sondern das letzte, allerdings<lb/> größte und schauerlichste Phänomen einer Eigenheit des Gallicismus, welche<lb/> in der französischen Geschichte in einer Reihe von sympathetischen oder patho¬<lb/> logisch unfreien Exaltationen zu Tage tritt.</p><lb/> <p xml:id="ID_86"> Es erscheint als eine Eigenheit des gallischen Geistes, welche ohne Zweifel<lb/> mit seiner Ruhmbegierde zusammenhängt, daß er historische Leiden und<lb/> Niederlagen nicht wohl ertragen kann, ohne dagegen in schwär-<lb/> merischen Aufregungen zu reagiren. Während es bei anderen be¬<lb/> sonneneren Nationen fast wie ein Lebensgesetz sich ausnimmt, daß sie durch<lb/> große geschichtliche Katastrophen zur stillen ruhigen Einkehr in ihrem natio¬<lb/> nalen Beruf, zur geistigen Concentration und Sammlung ihrer Kräfte, zur<lb/> AbWartung der Zeit, und endlich zu einer würdigen begeisterten Erhebung<lb/> gestimmt werden, reagirt der gallische Geist in der Regel gegen seine Anfälle<lb/> mit Explosionen eines wilden, krankhaften Enthusiasmus, welcher sich mit¬<lb/> unter bis zu dämonischer Maaßlosigkeit steigerte. Schon Cäsar hat in seiner<lb/> Schrift as böllo Mllieo diesen Charakterzug durch manche allgemeine Be¬<lb/> merkungen wie durch die Darstellung der immer neuen Ueberstürzungen des<lb/> gallischen Ruhm- und Rachetriebes veranschaulicht. Auch tritt bei ihm schon<lb/> die Wahrnehmung hervor, daß solche Ueberstürzungen gerne den Charakter<lb/> religiöser Ueberspannungen unter priesterlicher Leitung annehmen. Zum Be¬<lb/> leg dient unter anderm die Stelle, Buch VI, Kap. XVI. Auch hebt er den<lb/> großen Unterschied der Germanen von dieser Leidenschaftlichkeit hervor,<lb/> eben daselbst und Kap. XXI. Er berichtet, daß er nur durch die grausamste<lb/> Strenge das gallische Land habe zur Ruhe bringen können, Buch VIII,<lb/> Kap. XXXXIIII.</p><lb/> <p xml:id="ID_87"> Die Erscheinungen des Aufloderns gallischer Ekstasen gegen vermeintliche<lb/> U Verträglichkeiten bilden eine lange Geschichte. In den Kreuzzügen<lb/> reißt der Peter von Amiens sein ganzes Volk und Frankreich, das ganze<lb/> Abendland mit sich fort: die Muhamedaner dürfen das heilige Grab nicht<lb/> beherrschen. Weiterhin erklärt der Vertilgungskrieg gegen die Albigenser: die<lb/> Ketzerei darf das schöne und fröhliche Frankreich nicht verdunkeln. Sogar<lb/> der Glanz der Tempelherrn wird dem französischen Hofe unerträglich,<lb/> nicht minder die deutsche Kaiserkrone, und selbst die Autorität Roms mehr<lb/> als einmal.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0037]
Aphorismen zu den neuesten Ieitfragen.
Von L. P. Lange, Professor und Oberconsistorialrath zu Bonn. 1. Gallische sympathetische Ekstase«.
Die jetzige ultramontane Aufregung in Frankreich oder vielmehr des
französischen Volkes ist keine neue Erscheinung, sondern das letzte, allerdings
größte und schauerlichste Phänomen einer Eigenheit des Gallicismus, welche
in der französischen Geschichte in einer Reihe von sympathetischen oder patho¬
logisch unfreien Exaltationen zu Tage tritt.
Es erscheint als eine Eigenheit des gallischen Geistes, welche ohne Zweifel
mit seiner Ruhmbegierde zusammenhängt, daß er historische Leiden und
Niederlagen nicht wohl ertragen kann, ohne dagegen in schwär-
merischen Aufregungen zu reagiren. Während es bei anderen be¬
sonneneren Nationen fast wie ein Lebensgesetz sich ausnimmt, daß sie durch
große geschichtliche Katastrophen zur stillen ruhigen Einkehr in ihrem natio¬
nalen Beruf, zur geistigen Concentration und Sammlung ihrer Kräfte, zur
AbWartung der Zeit, und endlich zu einer würdigen begeisterten Erhebung
gestimmt werden, reagirt der gallische Geist in der Regel gegen seine Anfälle
mit Explosionen eines wilden, krankhaften Enthusiasmus, welcher sich mit¬
unter bis zu dämonischer Maaßlosigkeit steigerte. Schon Cäsar hat in seiner
Schrift as böllo Mllieo diesen Charakterzug durch manche allgemeine Be¬
merkungen wie durch die Darstellung der immer neuen Ueberstürzungen des
gallischen Ruhm- und Rachetriebes veranschaulicht. Auch tritt bei ihm schon
die Wahrnehmung hervor, daß solche Ueberstürzungen gerne den Charakter
religiöser Ueberspannungen unter priesterlicher Leitung annehmen. Zum Be¬
leg dient unter anderm die Stelle, Buch VI, Kap. XVI. Auch hebt er den
großen Unterschied der Germanen von dieser Leidenschaftlichkeit hervor,
eben daselbst und Kap. XXI. Er berichtet, daß er nur durch die grausamste
Strenge das gallische Land habe zur Ruhe bringen können, Buch VIII,
Kap. XXXXIIII.
Die Erscheinungen des Aufloderns gallischer Ekstasen gegen vermeintliche
U Verträglichkeiten bilden eine lange Geschichte. In den Kreuzzügen
reißt der Peter von Amiens sein ganzes Volk und Frankreich, das ganze
Abendland mit sich fort: die Muhamedaner dürfen das heilige Grab nicht
beherrschen. Weiterhin erklärt der Vertilgungskrieg gegen die Albigenser: die
Ketzerei darf das schöne und fröhliche Frankreich nicht verdunkeln. Sogar
der Glanz der Tempelherrn wird dem französischen Hofe unerträglich,
nicht minder die deutsche Kaiserkrone, und selbst die Autorität Roms mehr
als einmal.
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