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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Man kann nicht sagen, daß dies Jahrhundert einen besonderen Ueberfluß
an Phantasie gehabt habe; darin stehen ihm jene Zeiten, welche unsere
Dome erdachten weit voran; aber das leuchtete seinem praktischen Sinne ein,
daß Kirchen auch einmal fertig werden müssen, um brauchbar zu sein, und
um der Stadt und dem Lande zum Ruhme zu gereichen.

Fragen wir nun, woher es kam, daß auch diese Bauthätigkeit im sechs¬
zehnten Jahrhundert ins Stocken gerieth, so werden wir nicht antworten kön¬
nen -- wie nicht selten geschieht -- der Grund liegt in der Abnahme des
kirchlichen Lebens oder in dem Auftreten der Reformation. Einmal ist ein
Abnehmen des kirchlichen Lebens in dieser Zeit überhaupt Nicht zu constatiren,
und sodann findet sich eine Stockung auch in denjenigen Theilen Deutschlands,
die von der Reformation nicht berührt wurde. Der Hauptgrund ist die herein¬
brechende Geldnoth, die Verarmung der Städte; nächst diesem die auftretende
neue "welsch' Manier" und das Ersterben der gothischen Tradition. Aber
das erste ist das Wichtigere. Wo, wie z. B. in Frankreich, ein Rückgang des
Wohlstandes nicht so fühlbar war, oder wo Kirchenfürsten mit ansehnlichen
eigenen Mitteln trotz der auftretenden Renaissance an gothischen Werken
weiter bauten, zeigt sich sogleich ein gothisch-italienischer Uebergangsstyl, der
manches Originale hat, und der beweist, daß das Aufhören der gothischen
Tradition den Stillstand nicht in erster Linie verschuldet.


Max Allihn.


Der Katholicismus und die Wohlfahrt der DölKer.
ii.

Im vorigen Artikel hatten wir nach dem Verfasser unseres Originals
gezeigt, daß die modernen Ideen der Freiheit und der Gleichheit vor dem
Gesetz, von denen die letztere aus der im Gegensatz zu der katholischen Schei¬
dung der Christen in Laien und Priester von der Reformation aufgestellten
Idee des allgemeinen Priesterthums hervorgegangen ist, Früchte des Protestan¬
tismus sind, und dieß mit zahlreichen Beispielen belegt. Im Folgenden
fahren wir zunächst hierin fort, um dann Herrn de Laveleye in weiterer Aus¬
führung der Gründe nachzugehen, aus denen die protestantischen Völker den
katholischen gegenwärtig in wesentlichen Dingen voraus sind.

Jene Ideen, nach denen der Mensch sich selbst angehört, nach denen er
frei ist, nach denen man von ihm keinen Dienst und keine Steuer fordern


Man kann nicht sagen, daß dies Jahrhundert einen besonderen Ueberfluß
an Phantasie gehabt habe; darin stehen ihm jene Zeiten, welche unsere
Dome erdachten weit voran; aber das leuchtete seinem praktischen Sinne ein,
daß Kirchen auch einmal fertig werden müssen, um brauchbar zu sein, und
um der Stadt und dem Lande zum Ruhme zu gereichen.

Fragen wir nun, woher es kam, daß auch diese Bauthätigkeit im sechs¬
zehnten Jahrhundert ins Stocken gerieth, so werden wir nicht antworten kön¬
nen — wie nicht selten geschieht — der Grund liegt in der Abnahme des
kirchlichen Lebens oder in dem Auftreten der Reformation. Einmal ist ein
Abnehmen des kirchlichen Lebens in dieser Zeit überhaupt Nicht zu constatiren,
und sodann findet sich eine Stockung auch in denjenigen Theilen Deutschlands,
die von der Reformation nicht berührt wurde. Der Hauptgrund ist die herein¬
brechende Geldnoth, die Verarmung der Städte; nächst diesem die auftretende
neue „welsch' Manier" und das Ersterben der gothischen Tradition. Aber
das erste ist das Wichtigere. Wo, wie z. B. in Frankreich, ein Rückgang des
Wohlstandes nicht so fühlbar war, oder wo Kirchenfürsten mit ansehnlichen
eigenen Mitteln trotz der auftretenden Renaissance an gothischen Werken
weiter bauten, zeigt sich sogleich ein gothisch-italienischer Uebergangsstyl, der
manches Originale hat, und der beweist, daß das Aufhören der gothischen
Tradition den Stillstand nicht in erster Linie verschuldet.


Max Allihn.


Der Katholicismus und die Wohlfahrt der DölKer.
ii.

Im vorigen Artikel hatten wir nach dem Verfasser unseres Originals
gezeigt, daß die modernen Ideen der Freiheit und der Gleichheit vor dem
Gesetz, von denen die letztere aus der im Gegensatz zu der katholischen Schei¬
dung der Christen in Laien und Priester von der Reformation aufgestellten
Idee des allgemeinen Priesterthums hervorgegangen ist, Früchte des Protestan¬
tismus sind, und dieß mit zahlreichen Beispielen belegt. Im Folgenden
fahren wir zunächst hierin fort, um dann Herrn de Laveleye in weiterer Aus¬
führung der Gründe nachzugehen, aus denen die protestantischen Völker den
katholischen gegenwärtig in wesentlichen Dingen voraus sind.

Jene Ideen, nach denen der Mensch sich selbst angehört, nach denen er
frei ist, nach denen man von ihm keinen Dienst und keine Steuer fordern


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[0096] Man kann nicht sagen, daß dies Jahrhundert einen besonderen Ueberfluß an Phantasie gehabt habe; darin stehen ihm jene Zeiten, welche unsere Dome erdachten weit voran; aber das leuchtete seinem praktischen Sinne ein, daß Kirchen auch einmal fertig werden müssen, um brauchbar zu sein, und um der Stadt und dem Lande zum Ruhme zu gereichen. Fragen wir nun, woher es kam, daß auch diese Bauthätigkeit im sechs¬ zehnten Jahrhundert ins Stocken gerieth, so werden wir nicht antworten kön¬ nen — wie nicht selten geschieht — der Grund liegt in der Abnahme des kirchlichen Lebens oder in dem Auftreten der Reformation. Einmal ist ein Abnehmen des kirchlichen Lebens in dieser Zeit überhaupt Nicht zu constatiren, und sodann findet sich eine Stockung auch in denjenigen Theilen Deutschlands, die von der Reformation nicht berührt wurde. Der Hauptgrund ist die herein¬ brechende Geldnoth, die Verarmung der Städte; nächst diesem die auftretende neue „welsch' Manier" und das Ersterben der gothischen Tradition. Aber das erste ist das Wichtigere. Wo, wie z. B. in Frankreich, ein Rückgang des Wohlstandes nicht so fühlbar war, oder wo Kirchenfürsten mit ansehnlichen eigenen Mitteln trotz der auftretenden Renaissance an gothischen Werken weiter bauten, zeigt sich sogleich ein gothisch-italienischer Uebergangsstyl, der manches Originale hat, und der beweist, daß das Aufhören der gothischen Tradition den Stillstand nicht in erster Linie verschuldet. Max Allihn. Der Katholicismus und die Wohlfahrt der DölKer. ii. Im vorigen Artikel hatten wir nach dem Verfasser unseres Originals gezeigt, daß die modernen Ideen der Freiheit und der Gleichheit vor dem Gesetz, von denen die letztere aus der im Gegensatz zu der katholischen Schei¬ dung der Christen in Laien und Priester von der Reformation aufgestellten Idee des allgemeinen Priesterthums hervorgegangen ist, Früchte des Protestan¬ tismus sind, und dieß mit zahlreichen Beispielen belegt. Im Folgenden fahren wir zunächst hierin fort, um dann Herrn de Laveleye in weiterer Aus¬ führung der Gründe nachzugehen, aus denen die protestantischen Völker den katholischen gegenwärtig in wesentlichen Dingen voraus sind. Jene Ideen, nach denen der Mensch sich selbst angehört, nach denen er frei ist, nach denen man von ihm keinen Dienst und keine Steuer fordern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/96>, abgerufen am 22.07.2024.