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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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darf, wenn er durch seine Vertreter nicht einwilligt, nach denen die Regierung,
die Gerechtigkeitspflege, alle Gewalten vom Volke ausgehen, stammen unbe¬
streitbar aus altgermanischer Ueberlieferung. Aber sie waren im Mittelalter
durch das Feudalsystem und vom fünfzehnten Jahrhundert an durch die cen-
tralisirte und unbeschränkte Monarchie, dieses Abbild des Papstthums, unter¬
drückt, und wenn sie in der Schweiz, in den Niederlanden, in England und
Amerika wieder auflebten, so danken wir dieß dem demokratischen Geiste der
Reformation. Nur in protestantischen Ländern haben sie sich behauptet und
Früchte getragen. Hätte Frankreich diejenigen von seinen Kindern, die sich
dem Protestantismus zuwendeten, nicht verfolgt, umgebracht oder vertrieben,
so würde es die Keime der Freiheit und Selbstregierung, die sich in den
Provinzialstaaten erhalten hatten, zu entwickeln im Stande gewesen sein. In
den Versammlungen von la Rochelle und Grenoble, in den Generalstaaten
von Orleans zeigt sich der parlamentarische Geist in derselben Stärke wie im
englischen Parlament, man redet hier jene deutliche und feste Sprache Calvin's,
die so wohl angethan ist zur Behandlung der großen Interessen der Religion
und Politik.

"Wir werden unsere Städte ohne König gegen den König zu vertheidigen
wissen", sagten die Hugenotten, und es ist nicht daran zu zweifeln, daß sie.
Wenn sie gesiegt hätten, eine constitutionelle Monarchie wie in England ge¬
gründet haben würden. Hätte der französische Adel den Geist der Unab¬
hängigkeit und des gesetzlichen Widerstandes bewahrt, den ihm der Protestan¬
tismus eingeflößt, so würde er der Königsmacht Schranken gesetzt und jenen
orientalischen Despotismus Ludwig's des Vierzehnten und seiner Nachfolger
der die Charaktere gebrochen hat, unmöglich gemacht haben. Franz der Erste,
indem er das Zeichen zur Verfolgung der Reformirten gab, und Heinrich der
Bierte, indem er den Protestantismus abschwor, haben das wahre Interesse
Frankreichs verrathen wie der französische Adel. Das von den meisten fran¬
zösischen Schriftstellern als ein Beweis praktischen Sinnes gepriesene Wort
"I^aris of.ut Kien uns messe" ist vielmehr ein empörender Cynismus. Ein
redlicher Geist wäre dazu nicht fähig gewesen. Frankreich trägt noch jetzt den
Schaden davon, wie es noch von den Folgen der Bartholomäusnacht und
der Aufhebung des Edicts von Nantes leidet. Was ihm am meisten fehlt,
sind Männer, die, ohne mit der Ueberlieferung zu brechen, die neuen Ideen
annehmen, wie dieß Fürst Bismarck gethan hat. Die Republikaner sind
Feinde jeder religiösen Idee oder wenigstens gleichgültig gegen jede solche
Idee, und es fehlt ihnen, wie ihren Vorgängern, den Revolutionsmännern
des vorigen Jahrhunderts, an einer festen Grundlage zur Errichtung eines
soliden Baues. Die, welche die religiösen Ideen vertheidigen, wollen das
alte Regiment wieder aufleben lassen und widersetzen sich jeder Reform. Frank-


darf, wenn er durch seine Vertreter nicht einwilligt, nach denen die Regierung,
die Gerechtigkeitspflege, alle Gewalten vom Volke ausgehen, stammen unbe¬
streitbar aus altgermanischer Ueberlieferung. Aber sie waren im Mittelalter
durch das Feudalsystem und vom fünfzehnten Jahrhundert an durch die cen-
tralisirte und unbeschränkte Monarchie, dieses Abbild des Papstthums, unter¬
drückt, und wenn sie in der Schweiz, in den Niederlanden, in England und
Amerika wieder auflebten, so danken wir dieß dem demokratischen Geiste der
Reformation. Nur in protestantischen Ländern haben sie sich behauptet und
Früchte getragen. Hätte Frankreich diejenigen von seinen Kindern, die sich
dem Protestantismus zuwendeten, nicht verfolgt, umgebracht oder vertrieben,
so würde es die Keime der Freiheit und Selbstregierung, die sich in den
Provinzialstaaten erhalten hatten, zu entwickeln im Stande gewesen sein. In
den Versammlungen von la Rochelle und Grenoble, in den Generalstaaten
von Orleans zeigt sich der parlamentarische Geist in derselben Stärke wie im
englischen Parlament, man redet hier jene deutliche und feste Sprache Calvin's,
die so wohl angethan ist zur Behandlung der großen Interessen der Religion
und Politik.

„Wir werden unsere Städte ohne König gegen den König zu vertheidigen
wissen", sagten die Hugenotten, und es ist nicht daran zu zweifeln, daß sie.
Wenn sie gesiegt hätten, eine constitutionelle Monarchie wie in England ge¬
gründet haben würden. Hätte der französische Adel den Geist der Unab¬
hängigkeit und des gesetzlichen Widerstandes bewahrt, den ihm der Protestan¬
tismus eingeflößt, so würde er der Königsmacht Schranken gesetzt und jenen
orientalischen Despotismus Ludwig's des Vierzehnten und seiner Nachfolger
der die Charaktere gebrochen hat, unmöglich gemacht haben. Franz der Erste,
indem er das Zeichen zur Verfolgung der Reformirten gab, und Heinrich der
Bierte, indem er den Protestantismus abschwor, haben das wahre Interesse
Frankreichs verrathen wie der französische Adel. Das von den meisten fran¬
zösischen Schriftstellern als ein Beweis praktischen Sinnes gepriesene Wort
»I^aris of.ut Kien uns messe" ist vielmehr ein empörender Cynismus. Ein
redlicher Geist wäre dazu nicht fähig gewesen. Frankreich trägt noch jetzt den
Schaden davon, wie es noch von den Folgen der Bartholomäusnacht und
der Aufhebung des Edicts von Nantes leidet. Was ihm am meisten fehlt,
sind Männer, die, ohne mit der Ueberlieferung zu brechen, die neuen Ideen
annehmen, wie dieß Fürst Bismarck gethan hat. Die Republikaner sind
Feinde jeder religiösen Idee oder wenigstens gleichgültig gegen jede solche
Idee, und es fehlt ihnen, wie ihren Vorgängern, den Revolutionsmännern
des vorigen Jahrhunderts, an einer festen Grundlage zur Errichtung eines
soliden Baues. Die, welche die religiösen Ideen vertheidigen, wollen das
alte Regiment wieder aufleben lassen und widersetzen sich jeder Reform. Frank-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/97>, abgerufen am 22.07.2024.