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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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müssen Ihre europäischen Schrullen aufgeben, lieber Freund. Ihre Bedenken
gegen Sanct Paul sind grundlos. Die Leute sind ein bischen geradezu, me i°
nen es aber gut. Die große Mehrzahl, das weiß ich jetzt schon, wird für
sie stimmen, und man denkt nicht daran, einem Pfarrer gegenüber, der seine
Schuldigkeit thut, nach Ablauf seines Contracts von seinem Kündigungsrechte
Gebrauch zu machen. Es sind jetzt bewegte Zeiten, aber man darf sich da¬
durch nicht irre machen lassen, es kommen auch ruhige Tage, und die wollen
wir beide als gute Freunde mit einander genießen."

Ich versprach mir das zu überlegen, und wir schieden "auf baldiges
Wiedersehen".




Iriefe aus der Mserftadt.

Einen Brief auf anständige Weise mit dem Wetter anzufangen, ist nicht
immer leicht. Diesmal geben mir die "Grenzboten" selbst ausreichende Legi¬
timation dazu. Ich bin kein Freund von Druckfehlerberichtigungen; aber
wenn mich der Setzer meines vorigen Briefes am 28. Februar mit kühner
Metapher die Ansicht aussprechen läßt, daß die Eisblumen am Fenster zu
"zerrinnenden Pflanzen" werden zu wollen scheinen, so macht das freilich dem
fröhlichen Frühlingsglauben dieses Jüngers der schwarzen Kunst alle Ehre,
allein im Interesse der Wahrheit und Logik erlaube ich mir doch die Bemerkung,
daß ich damals an "perennirende" Pflanzen gedacht habe. Und leider
ist meine Befürchtung nur zu gerechtfertigt gewesen, denn heute, drei Wochen
später, am officiellen Anfang des Frühlings, haucht uns die Eisblume noch
immer ihren frischen Morgengruß entgegen und der Erdboden weit und breit
hat zum Geburtstage unseres Kaisers nochmals ganz ernstlich das weiße
Feierkleid angelegt. Das Wetter paßt zu der politischen Lage. Der parla¬
mentarische Kampf der letzten Woche ist begleitet gewesen von den eisigen
Stürmen des Himmels, und die Stimmung, in welcher die Parteien die vier¬
zehntägige Waffenruhe antreten, mag sich der frostigen Pause im Widerstreit
der Elemente vergleichen lassen. Dennoch, wie uns felsenfest gewiß ist, daß
die schaffenden Kräfte des Himmels und der Erde die verneinende Gewalt des
Winters endlich brechen werden, so bürgt uns der warme Pulsschlag, mit
dem unseres Volkes Herzen dem Heldengreise im Königsschloß der Hohenzollern
entgegenschlagen, daß dem Genius der deutschen Nation der Sieg verbleiben


müssen Ihre europäischen Schrullen aufgeben, lieber Freund. Ihre Bedenken
gegen Sanct Paul sind grundlos. Die Leute sind ein bischen geradezu, me i°
nen es aber gut. Die große Mehrzahl, das weiß ich jetzt schon, wird für
sie stimmen, und man denkt nicht daran, einem Pfarrer gegenüber, der seine
Schuldigkeit thut, nach Ablauf seines Contracts von seinem Kündigungsrechte
Gebrauch zu machen. Es sind jetzt bewegte Zeiten, aber man darf sich da¬
durch nicht irre machen lassen, es kommen auch ruhige Tage, und die wollen
wir beide als gute Freunde mit einander genießen."

Ich versprach mir das zu überlegen, und wir schieden „auf baldiges
Wiedersehen".




Iriefe aus der Mserftadt.

Einen Brief auf anständige Weise mit dem Wetter anzufangen, ist nicht
immer leicht. Diesmal geben mir die „Grenzboten" selbst ausreichende Legi¬
timation dazu. Ich bin kein Freund von Druckfehlerberichtigungen; aber
wenn mich der Setzer meines vorigen Briefes am 28. Februar mit kühner
Metapher die Ansicht aussprechen läßt, daß die Eisblumen am Fenster zu
„zerrinnenden Pflanzen" werden zu wollen scheinen, so macht das freilich dem
fröhlichen Frühlingsglauben dieses Jüngers der schwarzen Kunst alle Ehre,
allein im Interesse der Wahrheit und Logik erlaube ich mir doch die Bemerkung,
daß ich damals an „perennirende" Pflanzen gedacht habe. Und leider
ist meine Befürchtung nur zu gerechtfertigt gewesen, denn heute, drei Wochen
später, am officiellen Anfang des Frühlings, haucht uns die Eisblume noch
immer ihren frischen Morgengruß entgegen und der Erdboden weit und breit
hat zum Geburtstage unseres Kaisers nochmals ganz ernstlich das weiße
Feierkleid angelegt. Das Wetter paßt zu der politischen Lage. Der parla¬
mentarische Kampf der letzten Woche ist begleitet gewesen von den eisigen
Stürmen des Himmels, und die Stimmung, in welcher die Parteien die vier¬
zehntägige Waffenruhe antreten, mag sich der frostigen Pause im Widerstreit
der Elemente vergleichen lassen. Dennoch, wie uns felsenfest gewiß ist, daß
die schaffenden Kräfte des Himmels und der Erde die verneinende Gewalt des
Winters endlich brechen werden, so bürgt uns der warme Pulsschlag, mit
dem unseres Volkes Herzen dem Heldengreise im Königsschloß der Hohenzollern
entgegenschlagen, daß dem Genius der deutschen Nation der Sieg verbleiben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/33>, abgerufen am 05.02.2025.