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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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mich zu empfehlen und mir für den Wahltag Stimmen zu werben, ich hatte
sogar der Einladung des Kirchenrathes, zu bleiben und ihr provisorischer Pastor
zu werden, der allmälig zum definitiven geworden wäre und meine Wahl
zur bloßen Formalität gemacht hätte, eine Ablehnung entgegengesetzt. Das
hieß sich rar machen, das sah vornehm aus. Dem Tagebuch darf ich's ge¬
stehen, daß mein Verhalten noch mehr dadurch bedingt wurde, daß ich täglich
mehr bereue, mich auf den ganzen Handel eingelassen zu haben, und daß ich
nur den Weg noch nicht sehe, auf dem ich mich anständig herausfinden könnte.
Bleibe ich, so wachse ich unzweifelhaft fest; gehe ich auf einige Wochen weg,
so kann sich, um mit Micawber zu reden, im Verlaufe derselben "etwas finden,"
was mich der Verpflichtung enthebt, den braven Leuten auf der Walnut
Street weiter zu Willen zu sein.

22. September. Am Bormittag war ich bet Kroll, um ihm auf
seinen Wunsch meine Predigt und noch einen Artikel für sein Blatt zu geben
und dann Abschied zu nehmen. Er erwartete mich in Hemdärmeln an der
Ecke seiner Kirche. Im Laufe des Gespräches erzählte er mir seine Geschichte.
Er war aus dem Hessischen gebürtig und in Gießen ein flotter Student ge¬
wesen, der "Gefallen an der Stärke des Rosses gehabt" und fleißig auf
Fechtboden und Mensuren verkehrt hatte. Wie mich die Politik, so hatte
ihn schließlich die Liebe nach Amerika verschlagen. Nachdem er als Candidat
geheirathet und sich dadurch die Aussicht aus eine Pfarre verscherzt, war er
nach Missouri gegangen, wo er sich unmittelbar vom Dampfboote aus in einer
Wildniß am Mississippi als Squatter niedergelassen hatte. "Ich brachte nicht
mehr als zwanzig Dollars mit," erzählte er, "aber eine unerschrockne und
geduldige Frau, einige Kenntniß der Landwirthschaft, ein paar rüstige Arme
und einen breiten Rücken. Wir bauten uns mit Hülfe gefälliger Nachbarn,
denen ich später dafür manchmal predigte, auf geclaintem Lande eine tüchtige
Blockhütte. Ich schlug ein Stück Wald nieder, fenzte es ein, säete und erntete
und war in meiner Art ein gemachter Mann. Sechs Jahre haben wir da gelebt
und glücklich gelebt. Meine Frau kriegte freilich das Fieber, und die Kin¬
derchen, die mit der Zeit kamen, litten auch mitunter daran. Aber sie wur¬
den wieder gesund, wir hatten, was wir brauchten, und im Ganzen waren
es schöne Tage in Gottes grüner Natur." Später hatte er sich aber doch
"der Kinder wegen" wieder in das städtische Leben zurückgesehnt und in Folge
dessen die Pfarrersstelle an einer deutschen Gemeinde zu Louisville in Kentucky
angenommen, die er nach einigen Jahren mit der an der hiesigen Johannes¬
kirche vertauscht hatte. Er war pecuniär recht günstig gestellt und hatte nie
Streit mit seiner Gemeinde gehabt, erfreute sich vielmehr allgemeiner Beliebt¬
heit, auch über den Kreis derselben hinaus.

"Und so wird es mit Ihnen auch werden," schloß er seine Rede. "Sie


mich zu empfehlen und mir für den Wahltag Stimmen zu werben, ich hatte
sogar der Einladung des Kirchenrathes, zu bleiben und ihr provisorischer Pastor
zu werden, der allmälig zum definitiven geworden wäre und meine Wahl
zur bloßen Formalität gemacht hätte, eine Ablehnung entgegengesetzt. Das
hieß sich rar machen, das sah vornehm aus. Dem Tagebuch darf ich's ge¬
stehen, daß mein Verhalten noch mehr dadurch bedingt wurde, daß ich täglich
mehr bereue, mich auf den ganzen Handel eingelassen zu haben, und daß ich
nur den Weg noch nicht sehe, auf dem ich mich anständig herausfinden könnte.
Bleibe ich, so wachse ich unzweifelhaft fest; gehe ich auf einige Wochen weg,
so kann sich, um mit Micawber zu reden, im Verlaufe derselben „etwas finden,"
was mich der Verpflichtung enthebt, den braven Leuten auf der Walnut
Street weiter zu Willen zu sein.

22. September. Am Bormittag war ich bet Kroll, um ihm auf
seinen Wunsch meine Predigt und noch einen Artikel für sein Blatt zu geben
und dann Abschied zu nehmen. Er erwartete mich in Hemdärmeln an der
Ecke seiner Kirche. Im Laufe des Gespräches erzählte er mir seine Geschichte.
Er war aus dem Hessischen gebürtig und in Gießen ein flotter Student ge¬
wesen, der „Gefallen an der Stärke des Rosses gehabt" und fleißig auf
Fechtboden und Mensuren verkehrt hatte. Wie mich die Politik, so hatte
ihn schließlich die Liebe nach Amerika verschlagen. Nachdem er als Candidat
geheirathet und sich dadurch die Aussicht aus eine Pfarre verscherzt, war er
nach Missouri gegangen, wo er sich unmittelbar vom Dampfboote aus in einer
Wildniß am Mississippi als Squatter niedergelassen hatte. „Ich brachte nicht
mehr als zwanzig Dollars mit," erzählte er, „aber eine unerschrockne und
geduldige Frau, einige Kenntniß der Landwirthschaft, ein paar rüstige Arme
und einen breiten Rücken. Wir bauten uns mit Hülfe gefälliger Nachbarn,
denen ich später dafür manchmal predigte, auf geclaintem Lande eine tüchtige
Blockhütte. Ich schlug ein Stück Wald nieder, fenzte es ein, säete und erntete
und war in meiner Art ein gemachter Mann. Sechs Jahre haben wir da gelebt
und glücklich gelebt. Meine Frau kriegte freilich das Fieber, und die Kin¬
derchen, die mit der Zeit kamen, litten auch mitunter daran. Aber sie wur¬
den wieder gesund, wir hatten, was wir brauchten, und im Ganzen waren
es schöne Tage in Gottes grüner Natur." Später hatte er sich aber doch
„der Kinder wegen" wieder in das städtische Leben zurückgesehnt und in Folge
dessen die Pfarrersstelle an einer deutschen Gemeinde zu Louisville in Kentucky
angenommen, die er nach einigen Jahren mit der an der hiesigen Johannes¬
kirche vertauscht hatte. Er war pecuniär recht günstig gestellt und hatte nie
Streit mit seiner Gemeinde gehabt, erfreute sich vielmehr allgemeiner Beliebt¬
heit, auch über den Kreis derselben hinaus.

„Und so wird es mit Ihnen auch werden," schloß er seine Rede. „Sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/32>, abgerufen am 05.02.2025.