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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Münchner Wriefe.
ii.

Treten wir einmal in das Innere des bayrischen Landtagsgebäudes ein.
Durch das Hauptthor gelangen wir in einen nicht allzugroßen Hof, in dem
ein reich galonnirter Portier -- die blauweihe Livree spielt noch eine Rolle
im Haus in der Prcmnergasse -- vor der Thür zur Aufgangstreppe steht,
der mit seinem Stock jedesmal, wenn ein Abgeordneter hinansteigt, auf eine
Art Schalldret stoßt, so daß männiglich weiß, daß kein gewöhnlich Men¬
schenkind in diesem vielleicht nicht allzu eleganten Ueberzieher und unter
diesem etwas abgegriffenem Cylinder steckt. Oben theilen sich die Bogen, rechts
gelangt man in die der rechten Seite des Hauses vorliegenden Zimmer, durch
welche gewöhnlich auch die Minister eintreten, links geht man durch den
Entresol und das Büffet- und Lesezimmer zu den Sitzen der Linken. Man
sieht also die schroffe Scheidung, welche den dermaligen Landtag durchschneidet,
gleich äußerlich ausgeprägt. Sogar die Ueberzieher hängen klerikal und
liberal geschieden. Im Jahr 1870, als man sich noch feindseliger gegenüber¬
stand, war die gegenseitige Unnahbarkeit der beiden Parteien so arg. daß
man sich sogar im Lesezimmer mied, daß, fiel's einem von der Linken,ein,
ein Zeitungsblatt aus der Hand eines Schwarzen zu nehmen, man sofort in
den Verdacht der Felonie gerathen konnte. Das ist viel besser geworden.
Der innere Zwiespalt ist vielleicht noch verstärkt, aber einen mocius vivxmcli
hat man doch gefunden und der ist doch bei Leuten nöthig, die sich tagtäglich
im engsten Raume nun schon fünf Jahre lang begegnen. Schleifen sich die
härtesten Kiesel an der Brandung ab, warum sollte nicht Herr Volk auch
einmal einen friedlichen guten Morgen seinem streitbaren Widerpart Herrn
Jörg entgegenbringen dürfen?

Es ist 10 Uhr, die Glocke ertönt, die Abgeordneten betreten den Saal.
Dieser bildet ein ziemlich großes Rechteck, dessen eine Schmalseite eine Nische
hat, in welcher das Bild des Königs Max Joseph I., des Gebers der Ver¬
fassung, hängt; vor derselben befindet sich das Bureau, etwas niedriger ge¬
stellt, vor diesem direkt die Rednerbühne. Doch wird diese gewöhnlich nur
von den Referenten bestiegen, die meisten Redner sprechen vom Platze. Rechts
des Präsidentenstuhles ist der grüne Tisch der Minister, fast zu klein für die
Excellenzen, wenn sie vollzählig erscheinen. Die Sitze der Abgeordneten erhe¬
ben sich staffelförmig zu beiden Seiten des Saales, sehr einfache grün über¬
zogene Bänke, vor denen bewegliche Pulte angebracht sind. In der Mitte
des Raumes stehen noch ein halb Dutzend kleinere Tischchen für diejenigen
Herren, welche weder zur Rechten noch zur Linken einen Platz gefunden haben.


Münchner Wriefe.
ii.

Treten wir einmal in das Innere des bayrischen Landtagsgebäudes ein.
Durch das Hauptthor gelangen wir in einen nicht allzugroßen Hof, in dem
ein reich galonnirter Portier — die blauweihe Livree spielt noch eine Rolle
im Haus in der Prcmnergasse — vor der Thür zur Aufgangstreppe steht,
der mit seinem Stock jedesmal, wenn ein Abgeordneter hinansteigt, auf eine
Art Schalldret stoßt, so daß männiglich weiß, daß kein gewöhnlich Men¬
schenkind in diesem vielleicht nicht allzu eleganten Ueberzieher und unter
diesem etwas abgegriffenem Cylinder steckt. Oben theilen sich die Bogen, rechts
gelangt man in die der rechten Seite des Hauses vorliegenden Zimmer, durch
welche gewöhnlich auch die Minister eintreten, links geht man durch den
Entresol und das Büffet- und Lesezimmer zu den Sitzen der Linken. Man
sieht also die schroffe Scheidung, welche den dermaligen Landtag durchschneidet,
gleich äußerlich ausgeprägt. Sogar die Ueberzieher hängen klerikal und
liberal geschieden. Im Jahr 1870, als man sich noch feindseliger gegenüber¬
stand, war die gegenseitige Unnahbarkeit der beiden Parteien so arg. daß
man sich sogar im Lesezimmer mied, daß, fiel's einem von der Linken,ein,
ein Zeitungsblatt aus der Hand eines Schwarzen zu nehmen, man sofort in
den Verdacht der Felonie gerathen konnte. Das ist viel besser geworden.
Der innere Zwiespalt ist vielleicht noch verstärkt, aber einen mocius vivxmcli
hat man doch gefunden und der ist doch bei Leuten nöthig, die sich tagtäglich
im engsten Raume nun schon fünf Jahre lang begegnen. Schleifen sich die
härtesten Kiesel an der Brandung ab, warum sollte nicht Herr Volk auch
einmal einen friedlichen guten Morgen seinem streitbaren Widerpart Herrn
Jörg entgegenbringen dürfen?

Es ist 10 Uhr, die Glocke ertönt, die Abgeordneten betreten den Saal.
Dieser bildet ein ziemlich großes Rechteck, dessen eine Schmalseite eine Nische
hat, in welcher das Bild des Königs Max Joseph I., des Gebers der Ver¬
fassung, hängt; vor derselben befindet sich das Bureau, etwas niedriger ge¬
stellt, vor diesem direkt die Rednerbühne. Doch wird diese gewöhnlich nur
von den Referenten bestiegen, die meisten Redner sprechen vom Platze. Rechts
des Präsidentenstuhles ist der grüne Tisch der Minister, fast zu klein für die
Excellenzen, wenn sie vollzählig erscheinen. Die Sitze der Abgeordneten erhe¬
ben sich staffelförmig zu beiden Seiten des Saales, sehr einfache grün über¬
zogene Bänke, vor denen bewegliche Pulte angebracht sind. In der Mitte
des Raumes stehen noch ein halb Dutzend kleinere Tischchen für diejenigen
Herren, welche weder zur Rechten noch zur Linken einen Platz gefunden haben.


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[0480] Münchner Wriefe. ii. Treten wir einmal in das Innere des bayrischen Landtagsgebäudes ein. Durch das Hauptthor gelangen wir in einen nicht allzugroßen Hof, in dem ein reich galonnirter Portier — die blauweihe Livree spielt noch eine Rolle im Haus in der Prcmnergasse — vor der Thür zur Aufgangstreppe steht, der mit seinem Stock jedesmal, wenn ein Abgeordneter hinansteigt, auf eine Art Schalldret stoßt, so daß männiglich weiß, daß kein gewöhnlich Men¬ schenkind in diesem vielleicht nicht allzu eleganten Ueberzieher und unter diesem etwas abgegriffenem Cylinder steckt. Oben theilen sich die Bogen, rechts gelangt man in die der rechten Seite des Hauses vorliegenden Zimmer, durch welche gewöhnlich auch die Minister eintreten, links geht man durch den Entresol und das Büffet- und Lesezimmer zu den Sitzen der Linken. Man sieht also die schroffe Scheidung, welche den dermaligen Landtag durchschneidet, gleich äußerlich ausgeprägt. Sogar die Ueberzieher hängen klerikal und liberal geschieden. Im Jahr 1870, als man sich noch feindseliger gegenüber¬ stand, war die gegenseitige Unnahbarkeit der beiden Parteien so arg. daß man sich sogar im Lesezimmer mied, daß, fiel's einem von der Linken,ein, ein Zeitungsblatt aus der Hand eines Schwarzen zu nehmen, man sofort in den Verdacht der Felonie gerathen konnte. Das ist viel besser geworden. Der innere Zwiespalt ist vielleicht noch verstärkt, aber einen mocius vivxmcli hat man doch gefunden und der ist doch bei Leuten nöthig, die sich tagtäglich im engsten Raume nun schon fünf Jahre lang begegnen. Schleifen sich die härtesten Kiesel an der Brandung ab, warum sollte nicht Herr Volk auch einmal einen friedlichen guten Morgen seinem streitbaren Widerpart Herrn Jörg entgegenbringen dürfen? Es ist 10 Uhr, die Glocke ertönt, die Abgeordneten betreten den Saal. Dieser bildet ein ziemlich großes Rechteck, dessen eine Schmalseite eine Nische hat, in welcher das Bild des Königs Max Joseph I., des Gebers der Ver¬ fassung, hängt; vor derselben befindet sich das Bureau, etwas niedriger ge¬ stellt, vor diesem direkt die Rednerbühne. Doch wird diese gewöhnlich nur von den Referenten bestiegen, die meisten Redner sprechen vom Platze. Rechts des Präsidentenstuhles ist der grüne Tisch der Minister, fast zu klein für die Excellenzen, wenn sie vollzählig erscheinen. Die Sitze der Abgeordneten erhe¬ ben sich staffelförmig zu beiden Seiten des Saales, sehr einfache grün über¬ zogene Bänke, vor denen bewegliche Pulte angebracht sind. In der Mitte des Raumes stehen noch ein halb Dutzend kleinere Tischchen für diejenigen Herren, welche weder zur Rechten noch zur Linken einen Platz gefunden haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/480>, abgerufen am 29.06.2024.