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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Dom preußischen Landtag.

Die Sitzungen des Abgeordnetenhauses haben während der vergangenen
Woche, mit Ausnahme einer einzigen, sämmtlich wiederum der Berathung des
Staatshaushaltes gegolten. Daß bei dieser Berathung von allen Seiten alle
möglichen Dinge zur Sprache gebracht, ein wenig hin und her gezerrt und
schließlich nicht geändert werden, das giebt zu immer häufigeren und wohlbe¬
gründeten Klagen über diese Art der Geschäftsbehandlung Anlaß. In der
That, was soll man dazu sagen, wenn ein Abgeordneter bei Gelegenheit der
Eisenbahnausgaben Anlaß nimmt, über Perronpolizei, über die Zulassung des
nichtreisenden Publicums auf den Bahnhöfen und dergleichen einen Haufen
Wünsche auszuschütten. Solche ganz und gar technische, untergeordnete, lo¬
kale Fragen zu entscheiden, kann unmöglich.Sache des Landtags sein. Will
aber der Landtag dergleichen in die Hand nehmen, so darf es nur in Form
besonderer Anträge geschehen. Bei der Haushaltsberathung solche Sachen zur
Sprache zubringen, ist ein völliger Mißbrauch. Ob es gegen diesen Mi߬
brauch einer formellen Abhülfe auf dem Wege der Geschäftsordnung bedürfen
oder ob es gelingen wird, die gute parlamentarische Sitte soweit herauszubil¬
den, um nöthigenfalls mit Unterstützung des Präsidenten dem Mißbrauch zu
steuern, läßt sich einstweilen noch nicht sagen. Sicher ist nur dieses Beides,
daß der Mißbrauch bei der diesmaligen Haushaltsberathung wieder üppig
gewundert hat und daß das Mißvergnügen darüber in Regierungs- wie in
Abgeordnetenkreisen sehr groß ist. Wir sollten meinen, die Abhülfe könne am
besten geschafft werden durch eine Verabredung der Fractionsvorstände unter¬
einander und mit dem Präsidium. Wir meinen also, dem Haushalt gegen¬
über sollte nicht nur die Antragsfreiheit durch die erforderliche Uebereinstim¬
mung mit den Fractionsgenossen beschränkt werden, wie es ja glücklicherweise
schon der Fall ist, sondern auch die Redefreiheit. Mögen die Herrn Kritiker
ihr Licht zunächst in den Fractionen leuchten lassen, in der Plenarberathung
aber schweigen, sofern sie nicht von ihrer Fraction zur Stellung von Anträgen
oder Interpellationen bevollmächtigt worden. Wem diese Beschränkung der
Redefreiheit unzulässig scheint, der möge erwägen, ob nicht Gefahr vorhanden,
daß die Redefreiheit an der Redefreiheit zu Grunde geht.

Die einzige Sitzung dieser Woche, welche nicht dem Haushalt gewidmet
war, beschäftigte sich mit einer Variation des Themas der großen kirchlichen
Frage. Der Abgeordnete Petri, ein Mitglied der Altkatholischen Glaubens¬
genossenschaft, hatte einen Gesetzentwurf eingebracht zur Gebrauchstheilung des
Vermögens der katholischen Kirchengemeinden zwischen Alt- und Neukatholiken,


Dom preußischen Landtag.

Die Sitzungen des Abgeordnetenhauses haben während der vergangenen
Woche, mit Ausnahme einer einzigen, sämmtlich wiederum der Berathung des
Staatshaushaltes gegolten. Daß bei dieser Berathung von allen Seiten alle
möglichen Dinge zur Sprache gebracht, ein wenig hin und her gezerrt und
schließlich nicht geändert werden, das giebt zu immer häufigeren und wohlbe¬
gründeten Klagen über diese Art der Geschäftsbehandlung Anlaß. In der
That, was soll man dazu sagen, wenn ein Abgeordneter bei Gelegenheit der
Eisenbahnausgaben Anlaß nimmt, über Perronpolizei, über die Zulassung des
nichtreisenden Publicums auf den Bahnhöfen und dergleichen einen Haufen
Wünsche auszuschütten. Solche ganz und gar technische, untergeordnete, lo¬
kale Fragen zu entscheiden, kann unmöglich.Sache des Landtags sein. Will
aber der Landtag dergleichen in die Hand nehmen, so darf es nur in Form
besonderer Anträge geschehen. Bei der Haushaltsberathung solche Sachen zur
Sprache zubringen, ist ein völliger Mißbrauch. Ob es gegen diesen Mi߬
brauch einer formellen Abhülfe auf dem Wege der Geschäftsordnung bedürfen
oder ob es gelingen wird, die gute parlamentarische Sitte soweit herauszubil¬
den, um nöthigenfalls mit Unterstützung des Präsidenten dem Mißbrauch zu
steuern, läßt sich einstweilen noch nicht sagen. Sicher ist nur dieses Beides,
daß der Mißbrauch bei der diesmaligen Haushaltsberathung wieder üppig
gewundert hat und daß das Mißvergnügen darüber in Regierungs- wie in
Abgeordnetenkreisen sehr groß ist. Wir sollten meinen, die Abhülfe könne am
besten geschafft werden durch eine Verabredung der Fractionsvorstände unter¬
einander und mit dem Präsidium. Wir meinen also, dem Haushalt gegen¬
über sollte nicht nur die Antragsfreiheit durch die erforderliche Uebereinstim¬
mung mit den Fractionsgenossen beschränkt werden, wie es ja glücklicherweise
schon der Fall ist, sondern auch die Redefreiheit. Mögen die Herrn Kritiker
ihr Licht zunächst in den Fractionen leuchten lassen, in der Plenarberathung
aber schweigen, sofern sie nicht von ihrer Fraction zur Stellung von Anträgen
oder Interpellationen bevollmächtigt worden. Wem diese Beschränkung der
Redefreiheit unzulässig scheint, der möge erwägen, ob nicht Gefahr vorhanden,
daß die Redefreiheit an der Redefreiheit zu Grunde geht.

Die einzige Sitzung dieser Woche, welche nicht dem Haushalt gewidmet
war, beschäftigte sich mit einer Variation des Themas der großen kirchlichen
Frage. Der Abgeordnete Petri, ein Mitglied der Altkatholischen Glaubens¬
genossenschaft, hatte einen Gesetzentwurf eingebracht zur Gebrauchstheilung des
Vermögens der katholischen Kirchengemeinden zwischen Alt- und Neukatholiken,


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[0477] Dom preußischen Landtag. Die Sitzungen des Abgeordnetenhauses haben während der vergangenen Woche, mit Ausnahme einer einzigen, sämmtlich wiederum der Berathung des Staatshaushaltes gegolten. Daß bei dieser Berathung von allen Seiten alle möglichen Dinge zur Sprache gebracht, ein wenig hin und her gezerrt und schließlich nicht geändert werden, das giebt zu immer häufigeren und wohlbe¬ gründeten Klagen über diese Art der Geschäftsbehandlung Anlaß. In der That, was soll man dazu sagen, wenn ein Abgeordneter bei Gelegenheit der Eisenbahnausgaben Anlaß nimmt, über Perronpolizei, über die Zulassung des nichtreisenden Publicums auf den Bahnhöfen und dergleichen einen Haufen Wünsche auszuschütten. Solche ganz und gar technische, untergeordnete, lo¬ kale Fragen zu entscheiden, kann unmöglich.Sache des Landtags sein. Will aber der Landtag dergleichen in die Hand nehmen, so darf es nur in Form besonderer Anträge geschehen. Bei der Haushaltsberathung solche Sachen zur Sprache zubringen, ist ein völliger Mißbrauch. Ob es gegen diesen Mi߬ brauch einer formellen Abhülfe auf dem Wege der Geschäftsordnung bedürfen oder ob es gelingen wird, die gute parlamentarische Sitte soweit herauszubil¬ den, um nöthigenfalls mit Unterstützung des Präsidenten dem Mißbrauch zu steuern, läßt sich einstweilen noch nicht sagen. Sicher ist nur dieses Beides, daß der Mißbrauch bei der diesmaligen Haushaltsberathung wieder üppig gewundert hat und daß das Mißvergnügen darüber in Regierungs- wie in Abgeordnetenkreisen sehr groß ist. Wir sollten meinen, die Abhülfe könne am besten geschafft werden durch eine Verabredung der Fractionsvorstände unter¬ einander und mit dem Präsidium. Wir meinen also, dem Haushalt gegen¬ über sollte nicht nur die Antragsfreiheit durch die erforderliche Uebereinstim¬ mung mit den Fractionsgenossen beschränkt werden, wie es ja glücklicherweise schon der Fall ist, sondern auch die Redefreiheit. Mögen die Herrn Kritiker ihr Licht zunächst in den Fractionen leuchten lassen, in der Plenarberathung aber schweigen, sofern sie nicht von ihrer Fraction zur Stellung von Anträgen oder Interpellationen bevollmächtigt worden. Wem diese Beschränkung der Redefreiheit unzulässig scheint, der möge erwägen, ob nicht Gefahr vorhanden, daß die Redefreiheit an der Redefreiheit zu Grunde geht. Die einzige Sitzung dieser Woche, welche nicht dem Haushalt gewidmet war, beschäftigte sich mit einer Variation des Themas der großen kirchlichen Frage. Der Abgeordnete Petri, ein Mitglied der Altkatholischen Glaubens¬ genossenschaft, hatte einen Gesetzentwurf eingebracht zur Gebrauchstheilung des Vermögens der katholischen Kirchengemeinden zwischen Alt- und Neukatholiken,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/477>, abgerufen am 29.06.2024.