Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Kuh der Kefonmtionszeit.
Ein Vortrcig von
Wilhelm Maurenbrecher. II.

Wir fassen die Ergebnisse unserer Erörterung noch einmal kurz zusammen.

In der letzten Zeit des Mittelcilters war allenthalben das Verlangen
nach einer Reformation der Kirche verbreitet. Staatsregierungen und Poli¬
tiker forderten damals eine Umgestaltung der Beziehungen zwischen der allge¬
meinen Kirche und den einzelnen Staaten; auch eine Verfassungsänderung in
den höchsten Organen der Kirche war erstrebt und versucht worden, ohne
Resultate zu erzielen oder erzielen zu können.

Gegen Unsittlichkeit und Irreligiosität in der Kirche reagirte das neu
erwachte religiöse Gefühl, und Ansähe zu einer religiöseren Theologie tauchten
damals an manchen Stellen wieder auf.

Alle diese Reformationsversuche aber blieben principiell auf dem Boden
der mittelalterlichen Kirche; sie brachten einzelne Aenderungen zu Wege, aber
nicht eine wirkliche und nachhaltige Besserung für das Denken und Fühlen
der Menschheit. Und auch der Einfluß der neu ausgelebten humanistischen
Wissenschaft vermochte für das religiöse Gefühl und das sittliche Leben keine
wirkliche Erneuerung zu wirken. Weder die spanische noch die Eras-
mische Reformation hat den weltgeschichtlichen Umschwung geboren: es war
Luther's That, die das neue Zeitalter heraufführte.

Es wird immer eines der anziehendsten und lehrreichsten Kapitel der
Weltgeschichte bleiben, das von der Art und Weise berichtet, wie der einfache
Professor der Wittenberger Universität zum Reformator der Kirche, d. h. zum
gewaltigsten Revolutionär der Neuzeit geworden ist.

Aus einer thüringischen Bauernfamilie herstammend, hatte Martin Luther
das Leben eines Gelehrten und Kirchenmannes geführt. Mit 21 Jahren war
er Mönch im Augustinerorden geworden und hatte später auch die Priester¬
weihen erhalten. Im Alter von 24 Jahren wurde ihm an der Universität
Wittenberg eine Professur der Philosophie übertragen, in welcher er bald auch
'


Grenzbotc" I. 1875. 46
Kuh der Kefonmtionszeit.
Ein Vortrcig von
Wilhelm Maurenbrecher. II.

Wir fassen die Ergebnisse unserer Erörterung noch einmal kurz zusammen.

In der letzten Zeit des Mittelcilters war allenthalben das Verlangen
nach einer Reformation der Kirche verbreitet. Staatsregierungen und Poli¬
tiker forderten damals eine Umgestaltung der Beziehungen zwischen der allge¬
meinen Kirche und den einzelnen Staaten; auch eine Verfassungsänderung in
den höchsten Organen der Kirche war erstrebt und versucht worden, ohne
Resultate zu erzielen oder erzielen zu können.

Gegen Unsittlichkeit und Irreligiosität in der Kirche reagirte das neu
erwachte religiöse Gefühl, und Ansähe zu einer religiöseren Theologie tauchten
damals an manchen Stellen wieder auf.

Alle diese Reformationsversuche aber blieben principiell auf dem Boden
der mittelalterlichen Kirche; sie brachten einzelne Aenderungen zu Wege, aber
nicht eine wirkliche und nachhaltige Besserung für das Denken und Fühlen
der Menschheit. Und auch der Einfluß der neu ausgelebten humanistischen
Wissenschaft vermochte für das religiöse Gefühl und das sittliche Leben keine
wirkliche Erneuerung zu wirken. Weder die spanische noch die Eras-
mische Reformation hat den weltgeschichtlichen Umschwung geboren: es war
Luther's That, die das neue Zeitalter heraufführte.

Es wird immer eines der anziehendsten und lehrreichsten Kapitel der
Weltgeschichte bleiben, das von der Art und Weise berichtet, wie der einfache
Professor der Wittenberger Universität zum Reformator der Kirche, d. h. zum
gewaltigsten Revolutionär der Neuzeit geworden ist.

Aus einer thüringischen Bauernfamilie herstammend, hatte Martin Luther
das Leben eines Gelehrten und Kirchenmannes geführt. Mit 21 Jahren war
er Mönch im Augustinerorden geworden und hatte später auch die Priester¬
weihen erhalten. Im Alter von 24 Jahren wurde ihm an der Universität
Wittenberg eine Professur der Philosophie übertragen, in welcher er bald auch
'


Grenzbotc» I. 1875. 46
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0369" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133129"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Kuh der Kefonmtionszeit.<lb/><note type="byline"> Ein Vortrcig von<lb/>
Wilhelm Maurenbrecher.</note> II.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1307"> Wir fassen die Ergebnisse unserer Erörterung noch einmal kurz zusammen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1308"> In der letzten Zeit des Mittelcilters war allenthalben das Verlangen<lb/>
nach einer Reformation der Kirche verbreitet. Staatsregierungen und Poli¬<lb/>
tiker forderten damals eine Umgestaltung der Beziehungen zwischen der allge¬<lb/>
meinen Kirche und den einzelnen Staaten; auch eine Verfassungsänderung in<lb/>
den höchsten Organen der Kirche war erstrebt und versucht worden, ohne<lb/>
Resultate zu erzielen oder erzielen zu können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1309"> Gegen Unsittlichkeit und Irreligiosität in der Kirche reagirte das neu<lb/>
erwachte religiöse Gefühl, und Ansähe zu einer religiöseren Theologie tauchten<lb/>
damals an manchen Stellen wieder auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1310"> Alle diese Reformationsversuche aber blieben principiell auf dem Boden<lb/>
der mittelalterlichen Kirche; sie brachten einzelne Aenderungen zu Wege, aber<lb/>
nicht eine wirkliche und nachhaltige Besserung für das Denken und Fühlen<lb/>
der Menschheit. Und auch der Einfluß der neu ausgelebten humanistischen<lb/>
Wissenschaft vermochte für das religiöse Gefühl und das sittliche Leben keine<lb/>
wirkliche Erneuerung zu wirken. Weder die spanische noch die Eras-<lb/>
mische Reformation hat den weltgeschichtlichen Umschwung geboren: es war<lb/>
Luther's That, die das neue Zeitalter heraufführte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1311"> Es wird immer eines der anziehendsten und lehrreichsten Kapitel der<lb/>
Weltgeschichte bleiben, das von der Art und Weise berichtet, wie der einfache<lb/>
Professor der Wittenberger Universität zum Reformator der Kirche, d. h. zum<lb/>
gewaltigsten Revolutionär der Neuzeit geworden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1312" next="#ID_1313"> Aus einer thüringischen Bauernfamilie herstammend, hatte Martin Luther<lb/>
das Leben eines Gelehrten und Kirchenmannes geführt. Mit 21 Jahren war<lb/>
er Mönch im Augustinerorden geworden und hatte später auch die Priester¬<lb/>
weihen erhalten. Im Alter von 24 Jahren wurde ihm an der Universität<lb/>
Wittenberg eine Professur der Philosophie übertragen, in welcher er bald auch<lb/>
'</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotc» I. 1875.  46</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0369] Kuh der Kefonmtionszeit. Ein Vortrcig von Wilhelm Maurenbrecher. II. Wir fassen die Ergebnisse unserer Erörterung noch einmal kurz zusammen. In der letzten Zeit des Mittelcilters war allenthalben das Verlangen nach einer Reformation der Kirche verbreitet. Staatsregierungen und Poli¬ tiker forderten damals eine Umgestaltung der Beziehungen zwischen der allge¬ meinen Kirche und den einzelnen Staaten; auch eine Verfassungsänderung in den höchsten Organen der Kirche war erstrebt und versucht worden, ohne Resultate zu erzielen oder erzielen zu können. Gegen Unsittlichkeit und Irreligiosität in der Kirche reagirte das neu erwachte religiöse Gefühl, und Ansähe zu einer religiöseren Theologie tauchten damals an manchen Stellen wieder auf. Alle diese Reformationsversuche aber blieben principiell auf dem Boden der mittelalterlichen Kirche; sie brachten einzelne Aenderungen zu Wege, aber nicht eine wirkliche und nachhaltige Besserung für das Denken und Fühlen der Menschheit. Und auch der Einfluß der neu ausgelebten humanistischen Wissenschaft vermochte für das religiöse Gefühl und das sittliche Leben keine wirkliche Erneuerung zu wirken. Weder die spanische noch die Eras- mische Reformation hat den weltgeschichtlichen Umschwung geboren: es war Luther's That, die das neue Zeitalter heraufführte. Es wird immer eines der anziehendsten und lehrreichsten Kapitel der Weltgeschichte bleiben, das von der Art und Weise berichtet, wie der einfache Professor der Wittenberger Universität zum Reformator der Kirche, d. h. zum gewaltigsten Revolutionär der Neuzeit geworden ist. Aus einer thüringischen Bauernfamilie herstammend, hatte Martin Luther das Leben eines Gelehrten und Kirchenmannes geführt. Mit 21 Jahren war er Mönch im Augustinerorden geworden und hatte später auch die Priester¬ weihen erhalten. Im Alter von 24 Jahren wurde ihm an der Universität Wittenberg eine Professur der Philosophie übertragen, in welcher er bald auch ' Grenzbotc» I. 1875. 46

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/369
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/369>, abgerufen am 29.06.2024.