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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Aus der Ueformationszeit.*)
Ein Vortrag von
Wilhelm Maurenbrecher. I.

Während des französischen Krieges im Herbste 1870 wurde in den Zei¬
tungen von einer Begegnung erzählt, welche in Wien zwischen dem großen
Geschichtsschreiber und Staatsmann der Franzosen. Thiers und dem Fürsten
unserer deutschen Geschichtswissenschaft Leopold von R a n k e stattgefunden haben
sollte. Thiers habe da die bekannte sonderbare Auffassung der meisten Fran-
zosen vertreten, daß für die Deutschen nach dem Sturze Napoleon's kein
Grund mehr vorhanden sei. den Krieg gegen Frankreich fortzusetzen; er habe
zuletzt ausgerufen: "Mein Gott! gegen wen führen Sie nun eigentlich Ihren
Krieg?"; und Ranke soll darauf ganz kurz geantwortet haben: "Gegen Lud¬
wig XIV."

Ob dieser Zeitungsbericht den Verlauf des Gespräches genau wiederge¬
geben, weiß ich nicht zu sagen; jedenfalls aber bezeichnet jene Antwort mit
meisterhafter Schlagfertigkeit und in denkbarster Kürze den eigentlichen Gegner,
gegen den wir 1870 und 1871 gekämpft. Der Nationalcharakter der Fran¬
zosen mit seinen Licht- und seinen Schattenseiten ist in Ludwig XIV. ver¬
körpert, in ihm sind die innersten Tendenzen der Nation Fleisch geworden; --
gegen die nationale Ueberhebung und Eitelkeit, gegen die Herrschsucht jenes
Volkes, das es als sein natürliches Recht ansieht, die Nachbarvölker in
seiner direkten oder indirekten Abhängigkeit zu erhalten -- gegen diese Be¬
strebungen Ludwig's XIV. und aller seiner Nachfolger bis zur heutigen
Stunde haben unsere Heere 1870 geschlagen.



") Dieser Vortrag wurde am 2. Februar 1875 in Königsberg zum Besten eines Denk¬
males, das zum Andenken der 1870 und 1871 gefallenen Krieger errichtet werden vor
einem größeren Publikum gehalten. Ich bringe ihn hier -- mit wenigen durch den Druck be¬
dingten Abänderungen und einigen nothwendigen Erweiterungen und Zusähen -- zum Ab¬
druck, indem ich die Vcmerknng hinzufüge, daß der Leser, der detaillirtcre Ausführungen ein¬
zelner Abschnitte oder Nachweise einzelner Behauptungen zu lesen wünscht, solche in meinem
Buche findet "Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformationszeit." Leipzig F W.
Grunow 1874 ,.
Der Verf. .
Grenzboten I. 1875.
Aus der Ueformationszeit.*)
Ein Vortrag von
Wilhelm Maurenbrecher. I.

Während des französischen Krieges im Herbste 1870 wurde in den Zei¬
tungen von einer Begegnung erzählt, welche in Wien zwischen dem großen
Geschichtsschreiber und Staatsmann der Franzosen. Thiers und dem Fürsten
unserer deutschen Geschichtswissenschaft Leopold von R a n k e stattgefunden haben
sollte. Thiers habe da die bekannte sonderbare Auffassung der meisten Fran-
zosen vertreten, daß für die Deutschen nach dem Sturze Napoleon's kein
Grund mehr vorhanden sei. den Krieg gegen Frankreich fortzusetzen; er habe
zuletzt ausgerufen: „Mein Gott! gegen wen führen Sie nun eigentlich Ihren
Krieg?"; und Ranke soll darauf ganz kurz geantwortet haben: „Gegen Lud¬
wig XIV."

Ob dieser Zeitungsbericht den Verlauf des Gespräches genau wiederge¬
geben, weiß ich nicht zu sagen; jedenfalls aber bezeichnet jene Antwort mit
meisterhafter Schlagfertigkeit und in denkbarster Kürze den eigentlichen Gegner,
gegen den wir 1870 und 1871 gekämpft. Der Nationalcharakter der Fran¬
zosen mit seinen Licht- und seinen Schattenseiten ist in Ludwig XIV. ver¬
körpert, in ihm sind die innersten Tendenzen der Nation Fleisch geworden; —
gegen die nationale Ueberhebung und Eitelkeit, gegen die Herrschsucht jenes
Volkes, das es als sein natürliches Recht ansieht, die Nachbarvölker in
seiner direkten oder indirekten Abhängigkeit zu erhalten — gegen diese Be¬
strebungen Ludwig's XIV. und aller seiner Nachfolger bis zur heutigen
Stunde haben unsere Heere 1870 geschlagen.



") Dieser Vortrag wurde am 2. Februar 1875 in Königsberg zum Besten eines Denk¬
males, das zum Andenken der 1870 und 1871 gefallenen Krieger errichtet werden vor
einem größeren Publikum gehalten. Ich bringe ihn hier — mit wenigen durch den Druck be¬
dingten Abänderungen und einigen nothwendigen Erweiterungen und Zusähen — zum Ab¬
druck, indem ich die Vcmerknng hinzufüge, daß der Leser, der detaillirtcre Ausführungen ein¬
zelner Abschnitte oder Nachweise einzelner Behauptungen zu lesen wünscht, solche in meinem
Buche findet „Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformationszeit." Leipzig F W.
Grunow 1874 ,.
Der Verf. .
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[0329] Aus der Ueformationszeit.*) Ein Vortrag von Wilhelm Maurenbrecher. I. Während des französischen Krieges im Herbste 1870 wurde in den Zei¬ tungen von einer Begegnung erzählt, welche in Wien zwischen dem großen Geschichtsschreiber und Staatsmann der Franzosen. Thiers und dem Fürsten unserer deutschen Geschichtswissenschaft Leopold von R a n k e stattgefunden haben sollte. Thiers habe da die bekannte sonderbare Auffassung der meisten Fran- zosen vertreten, daß für die Deutschen nach dem Sturze Napoleon's kein Grund mehr vorhanden sei. den Krieg gegen Frankreich fortzusetzen; er habe zuletzt ausgerufen: „Mein Gott! gegen wen führen Sie nun eigentlich Ihren Krieg?"; und Ranke soll darauf ganz kurz geantwortet haben: „Gegen Lud¬ wig XIV." Ob dieser Zeitungsbericht den Verlauf des Gespräches genau wiederge¬ geben, weiß ich nicht zu sagen; jedenfalls aber bezeichnet jene Antwort mit meisterhafter Schlagfertigkeit und in denkbarster Kürze den eigentlichen Gegner, gegen den wir 1870 und 1871 gekämpft. Der Nationalcharakter der Fran¬ zosen mit seinen Licht- und seinen Schattenseiten ist in Ludwig XIV. ver¬ körpert, in ihm sind die innersten Tendenzen der Nation Fleisch geworden; — gegen die nationale Ueberhebung und Eitelkeit, gegen die Herrschsucht jenes Volkes, das es als sein natürliches Recht ansieht, die Nachbarvölker in seiner direkten oder indirekten Abhängigkeit zu erhalten — gegen diese Be¬ strebungen Ludwig's XIV. und aller seiner Nachfolger bis zur heutigen Stunde haben unsere Heere 1870 geschlagen. ") Dieser Vortrag wurde am 2. Februar 1875 in Königsberg zum Besten eines Denk¬ males, das zum Andenken der 1870 und 1871 gefallenen Krieger errichtet werden vor einem größeren Publikum gehalten. Ich bringe ihn hier — mit wenigen durch den Druck be¬ dingten Abänderungen und einigen nothwendigen Erweiterungen und Zusähen — zum Ab¬ druck, indem ich die Vcmerknng hinzufüge, daß der Leser, der detaillirtcre Ausführungen ein¬ zelner Abschnitte oder Nachweise einzelner Behauptungen zu lesen wünscht, solche in meinem Buche findet „Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformationszeit." Leipzig F W. Grunow 1874 ,. Der Verf. . Grenzboten I. 1875.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/329>, abgerufen am 29.06.2024.