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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Aphorismen über eine Keichsfleuer.

Nach Art. 70 der Verfassung des früheren norddeutschen Bundes und
jetzt des Reichs sind die Ausgaben, soweit sie nicht durch eigene Einnahmen
des Reichs an Zöllen und Verbrauchssteuern gedeckt werden, durch Beiträge
der einzelnen Staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerungszahl aufzubringen.

Diese Reparation der Last nach Köpfen würde gerecht sein, wenn sämmt¬
liche deutsche Staaten gleichmäßig leistungsfähig wären. Dies ist aber nicht
der Fall; so hat beispielsweise, wie auf der Versammlung von Volkswirthen
in Eisenach am 11. October v. I. constatirt wurde, der Hamburger Staats¬
angehörige 4 --- S mal mehr Steuerfähigkeit als der Coburg-Gothaische.

Selbstverständlich kann es nicht im Interesse des Reiches liegen, die ärme¬
ren Staaten zu überbürden und sie dadurch in ihrer Entwickelung zu hemmen.
Eine Abänderung des seitherigen Nepartitionsmodus ist daher und um so
mehr nöthig, als bei den steigenden Anforderungen, die an das Reichsbudget
gemacht werden, und bei der hierdurch bedingten fortwährenden Erhöhung der
Matricularbeiträge, mehrere Staaten in nicht zu ferner Zeit kaum noch in der
Lage sein werden, die Last dieser Matricularbeiträge zu tragen.

Schon bis jetzt ist dies einzelnen nur dadurch möglich gewesen, daß sie
bei äußerster Anstrengung der Steuerkraft und bei sparsamster Bemessung der
unbedingt nöthigen Ausgaben, dergleichen zur Förderang des Verkehrs, der
Industrie u. s. w. dienende nicht mehr geleistet haben. Daß bei einem der¬
artigen System eine Schädigung, man kann sagen Verkümmerung der
betreffenden Staatsgebiete eintreten muß, braucht sicher nicht erst bewiesen
zu werden.

Unbedingt der Gerechtigkeit entsprechender ist eine auf der Leistungsfähig¬
keit bezüglich der Steuerkraft basirende Heranziehung der einzelnen Staaten
zur Deckung des Deficits im Neichshaushalt. Es ist dies gleichfalls bei der
erwähnten Eisenacher Versammlung von Reichs- und Landtagsabgeordneten
und den dort versammelten Volkswirthen constatirt und gleichzeitig zur Durch¬
führung dieses Projects die Ersetzung der Matricularbeiträge durch eine
gleichmäßig zu veranlagende Reichseinkommensteuer vorgeschlagen worden.

Es fragt sich, ob letztere neben den seither in den einzelnen Staaten be¬
stehenden Steuern veranlagt und erhoben werden, oder ob sie an die Stelle
der bisherigen sämmtlichen directen Steuern treten soll, so daß neben der für
den Reichshaushalt nöthigen Terminzahl die für das Budget der einzelnen
Staaten erforderlichen Beträge als Zuschlag zu diesen Terminen erhoben
würden.

Jedenfalls dürfte der letztere Weg der richtigere und auch durchfuhr-


Aphorismen über eine Keichsfleuer.

Nach Art. 70 der Verfassung des früheren norddeutschen Bundes und
jetzt des Reichs sind die Ausgaben, soweit sie nicht durch eigene Einnahmen
des Reichs an Zöllen und Verbrauchssteuern gedeckt werden, durch Beiträge
der einzelnen Staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerungszahl aufzubringen.

Diese Reparation der Last nach Köpfen würde gerecht sein, wenn sämmt¬
liche deutsche Staaten gleichmäßig leistungsfähig wären. Dies ist aber nicht
der Fall; so hat beispielsweise, wie auf der Versammlung von Volkswirthen
in Eisenach am 11. October v. I. constatirt wurde, der Hamburger Staats¬
angehörige 4 —- S mal mehr Steuerfähigkeit als der Coburg-Gothaische.

Selbstverständlich kann es nicht im Interesse des Reiches liegen, die ärme¬
ren Staaten zu überbürden und sie dadurch in ihrer Entwickelung zu hemmen.
Eine Abänderung des seitherigen Nepartitionsmodus ist daher und um so
mehr nöthig, als bei den steigenden Anforderungen, die an das Reichsbudget
gemacht werden, und bei der hierdurch bedingten fortwährenden Erhöhung der
Matricularbeiträge, mehrere Staaten in nicht zu ferner Zeit kaum noch in der
Lage sein werden, die Last dieser Matricularbeiträge zu tragen.

Schon bis jetzt ist dies einzelnen nur dadurch möglich gewesen, daß sie
bei äußerster Anstrengung der Steuerkraft und bei sparsamster Bemessung der
unbedingt nöthigen Ausgaben, dergleichen zur Förderang des Verkehrs, der
Industrie u. s. w. dienende nicht mehr geleistet haben. Daß bei einem der¬
artigen System eine Schädigung, man kann sagen Verkümmerung der
betreffenden Staatsgebiete eintreten muß, braucht sicher nicht erst bewiesen
zu werden.

Unbedingt der Gerechtigkeit entsprechender ist eine auf der Leistungsfähig¬
keit bezüglich der Steuerkraft basirende Heranziehung der einzelnen Staaten
zur Deckung des Deficits im Neichshaushalt. Es ist dies gleichfalls bei der
erwähnten Eisenacher Versammlung von Reichs- und Landtagsabgeordneten
und den dort versammelten Volkswirthen constatirt und gleichzeitig zur Durch¬
führung dieses Projects die Ersetzung der Matricularbeiträge durch eine
gleichmäßig zu veranlagende Reichseinkommensteuer vorgeschlagen worden.

Es fragt sich, ob letztere neben den seither in den einzelnen Staaten be¬
stehenden Steuern veranlagt und erhoben werden, oder ob sie an die Stelle
der bisherigen sämmtlichen directen Steuern treten soll, so daß neben der für
den Reichshaushalt nöthigen Terminzahl die für das Budget der einzelnen
Staaten erforderlichen Beträge als Zuschlag zu diesen Terminen erhoben
würden.

Jedenfalls dürfte der letztere Weg der richtigere und auch durchfuhr-


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[0286] Aphorismen über eine Keichsfleuer. Nach Art. 70 der Verfassung des früheren norddeutschen Bundes und jetzt des Reichs sind die Ausgaben, soweit sie nicht durch eigene Einnahmen des Reichs an Zöllen und Verbrauchssteuern gedeckt werden, durch Beiträge der einzelnen Staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerungszahl aufzubringen. Diese Reparation der Last nach Köpfen würde gerecht sein, wenn sämmt¬ liche deutsche Staaten gleichmäßig leistungsfähig wären. Dies ist aber nicht der Fall; so hat beispielsweise, wie auf der Versammlung von Volkswirthen in Eisenach am 11. October v. I. constatirt wurde, der Hamburger Staats¬ angehörige 4 —- S mal mehr Steuerfähigkeit als der Coburg-Gothaische. Selbstverständlich kann es nicht im Interesse des Reiches liegen, die ärme¬ ren Staaten zu überbürden und sie dadurch in ihrer Entwickelung zu hemmen. Eine Abänderung des seitherigen Nepartitionsmodus ist daher und um so mehr nöthig, als bei den steigenden Anforderungen, die an das Reichsbudget gemacht werden, und bei der hierdurch bedingten fortwährenden Erhöhung der Matricularbeiträge, mehrere Staaten in nicht zu ferner Zeit kaum noch in der Lage sein werden, die Last dieser Matricularbeiträge zu tragen. Schon bis jetzt ist dies einzelnen nur dadurch möglich gewesen, daß sie bei äußerster Anstrengung der Steuerkraft und bei sparsamster Bemessung der unbedingt nöthigen Ausgaben, dergleichen zur Förderang des Verkehrs, der Industrie u. s. w. dienende nicht mehr geleistet haben. Daß bei einem der¬ artigen System eine Schädigung, man kann sagen Verkümmerung der betreffenden Staatsgebiete eintreten muß, braucht sicher nicht erst bewiesen zu werden. Unbedingt der Gerechtigkeit entsprechender ist eine auf der Leistungsfähig¬ keit bezüglich der Steuerkraft basirende Heranziehung der einzelnen Staaten zur Deckung des Deficits im Neichshaushalt. Es ist dies gleichfalls bei der erwähnten Eisenacher Versammlung von Reichs- und Landtagsabgeordneten und den dort versammelten Volkswirthen constatirt und gleichzeitig zur Durch¬ führung dieses Projects die Ersetzung der Matricularbeiträge durch eine gleichmäßig zu veranlagende Reichseinkommensteuer vorgeschlagen worden. Es fragt sich, ob letztere neben den seither in den einzelnen Staaten be¬ stehenden Steuern veranlagt und erhoben werden, oder ob sie an die Stelle der bisherigen sämmtlichen directen Steuern treten soll, so daß neben der für den Reichshaushalt nöthigen Terminzahl die für das Budget der einzelnen Staaten erforderlichen Beträge als Zuschlag zu diesen Terminen erhoben würden. Jedenfalls dürfte der letztere Weg der richtigere und auch durchfuhr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/286>, abgerufen am 29.06.2024.