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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Historische Studien über Ion Karlos.
i.

Wie paradox es klingen mag, Antheil und Interesse des größeren
Publikum an den wissenschaftlichen Bestrebungen der Geschichtsforscher ist
eine Sache, die ihre zwei Seiten hat. Welcher Historiker sollte sich nicht
erfreuen und beleben bet dem Gedanken, daß auf seine historischen Arbeiten der
Blick weiterer Kreise sich richtet, -- und doch liegt dabei die Gefahr nahe,
daß Liebhabereien und Vorurtheile derjenigen, welche die Arbeit selbst nicht
mitmachen, welche aber von ihren Frachten mitgenießen wollen, auf den
Arbeitenden Einfluß gewinnen! Berührt eine historische Arbeit ein Gebiet
oder eine Frage, die von politischen Parteiströmungen erfüllt sind, so pflegt
sehr schnell und sehr leicht das Urtheil über die historische Arbeit sich nach
dem Verhältniß ihrer Resultate zu der politischen oder sonstigen Tendenz
des Urtheilenden zu bestimmen. Wer z. B. heute über die Geschichte des Papst¬
thums Forschungen anstellt, kann sich täglich das Vergnügen verschaffen, diese
erbauliche Erfahrung zu machen. Vielleicht noch bedenklicher gestaltet sich
dies Verhältniß da, wo poetische und ästhetische Reminiscenzen und Sympa¬
thien ihr Wort mitreden. Alle kritische Arbeit historischer Forschung bleibt
ohnmächtig gegenüber den Dichtungen gottbegnadeter Lieblinge der Menschen.
Mit unüberwindlicher Macht bannt das Dichterwerk Geist und Seele der
Menschen in eine bestimmte Vorstellung hinein; es läßt sie nicht los und
zwingt immer wieder dieselbe Vorstellung den Gemüthern auf.

Wir haben ja recht häufig die Gelegenheit diese Beobachtungen zu erfahren
an der Herrschaft, die Schiller's Don Carlos noch immer über den historischen
Don Carlos ausübt. Wie groß auch die dichterischen Vorzüge des Schiller¬
ten Dramas sein mögen, alle Welt weiß, daß der wirkliche Don Carlos
ein ganz anderer gewesen als der ideale Jüngling unseres Dichters. Eben
hegen dieser Verschiedenheit der beiden Figuren sollte man hoffen dürfen, daß
sie einander in Ruhe lassen, daß sie friedlich neben einander fortleben könnten.
Aber nein, der rührende und interessante Infant Schiller's läßt den traurigen
Namensvetter der Geschichte gar nicht recht aufkommen.

Es bedarf nur einer kurzen Bemerkung, um an die historischen Arbeiten
Zu erinnern, welche den Unterschied zwischen dem poetischen und historischen


Grenzboten IV. 1874. 31
Historische Studien über Ion Karlos.
i.

Wie paradox es klingen mag, Antheil und Interesse des größeren
Publikum an den wissenschaftlichen Bestrebungen der Geschichtsforscher ist
eine Sache, die ihre zwei Seiten hat. Welcher Historiker sollte sich nicht
erfreuen und beleben bet dem Gedanken, daß auf seine historischen Arbeiten der
Blick weiterer Kreise sich richtet, — und doch liegt dabei die Gefahr nahe,
daß Liebhabereien und Vorurtheile derjenigen, welche die Arbeit selbst nicht
mitmachen, welche aber von ihren Frachten mitgenießen wollen, auf den
Arbeitenden Einfluß gewinnen! Berührt eine historische Arbeit ein Gebiet
oder eine Frage, die von politischen Parteiströmungen erfüllt sind, so pflegt
sehr schnell und sehr leicht das Urtheil über die historische Arbeit sich nach
dem Verhältniß ihrer Resultate zu der politischen oder sonstigen Tendenz
des Urtheilenden zu bestimmen. Wer z. B. heute über die Geschichte des Papst¬
thums Forschungen anstellt, kann sich täglich das Vergnügen verschaffen, diese
erbauliche Erfahrung zu machen. Vielleicht noch bedenklicher gestaltet sich
dies Verhältniß da, wo poetische und ästhetische Reminiscenzen und Sympa¬
thien ihr Wort mitreden. Alle kritische Arbeit historischer Forschung bleibt
ohnmächtig gegenüber den Dichtungen gottbegnadeter Lieblinge der Menschen.
Mit unüberwindlicher Macht bannt das Dichterwerk Geist und Seele der
Menschen in eine bestimmte Vorstellung hinein; es läßt sie nicht los und
zwingt immer wieder dieselbe Vorstellung den Gemüthern auf.

Wir haben ja recht häufig die Gelegenheit diese Beobachtungen zu erfahren
an der Herrschaft, die Schiller's Don Carlos noch immer über den historischen
Don Carlos ausübt. Wie groß auch die dichterischen Vorzüge des Schiller¬
ten Dramas sein mögen, alle Welt weiß, daß der wirkliche Don Carlos
ein ganz anderer gewesen als der ideale Jüngling unseres Dichters. Eben
hegen dieser Verschiedenheit der beiden Figuren sollte man hoffen dürfen, daß
sie einander in Ruhe lassen, daß sie friedlich neben einander fortleben könnten.
Aber nein, der rührende und interessante Infant Schiller's läßt den traurigen
Namensvetter der Geschichte gar nicht recht aufkommen.

Es bedarf nur einer kurzen Bemerkung, um an die historischen Arbeiten
Zu erinnern, welche den Unterschied zwischen dem poetischen und historischen


Grenzboten IV. 1874. 31
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[0245] Historische Studien über Ion Karlos. i. Wie paradox es klingen mag, Antheil und Interesse des größeren Publikum an den wissenschaftlichen Bestrebungen der Geschichtsforscher ist eine Sache, die ihre zwei Seiten hat. Welcher Historiker sollte sich nicht erfreuen und beleben bet dem Gedanken, daß auf seine historischen Arbeiten der Blick weiterer Kreise sich richtet, — und doch liegt dabei die Gefahr nahe, daß Liebhabereien und Vorurtheile derjenigen, welche die Arbeit selbst nicht mitmachen, welche aber von ihren Frachten mitgenießen wollen, auf den Arbeitenden Einfluß gewinnen! Berührt eine historische Arbeit ein Gebiet oder eine Frage, die von politischen Parteiströmungen erfüllt sind, so pflegt sehr schnell und sehr leicht das Urtheil über die historische Arbeit sich nach dem Verhältniß ihrer Resultate zu der politischen oder sonstigen Tendenz des Urtheilenden zu bestimmen. Wer z. B. heute über die Geschichte des Papst¬ thums Forschungen anstellt, kann sich täglich das Vergnügen verschaffen, diese erbauliche Erfahrung zu machen. Vielleicht noch bedenklicher gestaltet sich dies Verhältniß da, wo poetische und ästhetische Reminiscenzen und Sympa¬ thien ihr Wort mitreden. Alle kritische Arbeit historischer Forschung bleibt ohnmächtig gegenüber den Dichtungen gottbegnadeter Lieblinge der Menschen. Mit unüberwindlicher Macht bannt das Dichterwerk Geist und Seele der Menschen in eine bestimmte Vorstellung hinein; es läßt sie nicht los und zwingt immer wieder dieselbe Vorstellung den Gemüthern auf. Wir haben ja recht häufig die Gelegenheit diese Beobachtungen zu erfahren an der Herrschaft, die Schiller's Don Carlos noch immer über den historischen Don Carlos ausübt. Wie groß auch die dichterischen Vorzüge des Schiller¬ ten Dramas sein mögen, alle Welt weiß, daß der wirkliche Don Carlos ein ganz anderer gewesen als der ideale Jüngling unseres Dichters. Eben hegen dieser Verschiedenheit der beiden Figuren sollte man hoffen dürfen, daß sie einander in Ruhe lassen, daß sie friedlich neben einander fortleben könnten. Aber nein, der rührende und interessante Infant Schiller's läßt den traurigen Namensvetter der Geschichte gar nicht recht aufkommen. Es bedarf nur einer kurzen Bemerkung, um an die historischen Arbeiten Zu erinnern, welche den Unterschied zwischen dem poetischen und historischen Grenzboten IV. 1874. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/245>, abgerufen am 27.07.2024.