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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Unter aus Mecklenburg.
Aus den Tagen der Bürgerwehr. I.
Von Hugo Gaedcke.

Unter meinem Fenster spielen die Kinder "Soldat". Des Nachbars
Emil ist die Hauptperson; die andern Kinder folgen ihm ehrfurchtsvoll, denn
^ trägt einen Tschako, den er Gott weiß woher erhalten hat. Und sah'ich
recht? Wahrhaftig, dieser mächtige Tschako mit der strahlenden Sonne
vorn und dem Vogel Greif in der Sonne, dieser furchtbare Augenschirm an
dem Tschako und oben darüber der mächtige weiße Haarbusch --, das ist
wahrhaftig noch ein Käppi von der alten Rostocker Bürgerwehr. Du Rest
vergangener Herrlichkeit, armes Käppi! Meinte doch in deiner Blüthezeit ein
Anonymus in der Zeitung von Dir: "Mir ist schon das schwizerisch tadelnde
weibische Wort Käppi etwas widerlich. Wer es nicht weiß, der soll es
wahrlich nicht verrathen, daß mit jenem federleichter Wort ein so schwerer
Sturmdeckel gemeint ist; er wird sich jedenfalls eher ein spitzenbesetztes Mull^
Häubchen für ein Wickelkind darunter vorstellen."

Rostocker Bürgergarde! Ja, es war eine schöne Zeit, als diese alte
Bürgerwehr jung gewesen. Jugendliche Begeisterung hatte in den Märztagen
des Jahres 1848 Alt und Jung auch in Rostock entflammt. Es galt den
edlen und thatkräftigen Gedanken: Schutz dem Volke durch das Volk.
Aufrechterhaltung der sittlichen Ordnung und Erleichterung der Militärlast.
Als daher am 18. März die Listen für den freiwilligen Eintritt in die
Bürgerwehr öffentlich ausgelegt wurden, zeichneten an diesem Tage eine Menge
tüchtiger Männer ihren Namen in die Liste. Schon der zweite Tag zählte
200 Freiwillige; die Zahl stieg bis zum 6. April auf 671 Personen. Alle
Stände wetteiferten in der Begeisterung. Einer wollte es dem Andern zuvor¬
thun. Herrliche Reden wurden gehalten; man verschwor sich, für die Garde
und zum Schutz des Vaterlandes Gut und Leben zu lassen.

Zur einstweiligen Bewaffnung suchte man auf das Schleunigste aus den
dunklen Kammern des Rathhauses nach den alten abgedienten Flinten, die
ohne Schloß und Feuerstein, seit Decennien dort verborgen lagerten. Einige
Unteroffiziere vom Militär wurden requirirt, um die nöthigen Exercitien zu
leiten; Alles war muthvoll und kampsbeseelt. Namentlich die alten. Degen
von 1813 lebten wieder auf. Es war ordentlich eine Freude, zu sehen, wie
sie wieder jung geworden, von ihren Thaten erzählten und in dem Gebrauch
der Waffen den Neuling unterrichteten.

Noch immer schien die Begeisterung zu wachsen. Man begrüßte freudig
die Verordnung des Magistrates, welcher die gesetzlichen Grundlagen zur


Grenzboten IV. 1874. 15
Unter aus Mecklenburg.
Aus den Tagen der Bürgerwehr. I.
Von Hugo Gaedcke.

Unter meinem Fenster spielen die Kinder „Soldat". Des Nachbars
Emil ist die Hauptperson; die andern Kinder folgen ihm ehrfurchtsvoll, denn
^ trägt einen Tschako, den er Gott weiß woher erhalten hat. Und sah'ich
recht? Wahrhaftig, dieser mächtige Tschako mit der strahlenden Sonne
vorn und dem Vogel Greif in der Sonne, dieser furchtbare Augenschirm an
dem Tschako und oben darüber der mächtige weiße Haarbusch —, das ist
wahrhaftig noch ein Käppi von der alten Rostocker Bürgerwehr. Du Rest
vergangener Herrlichkeit, armes Käppi! Meinte doch in deiner Blüthezeit ein
Anonymus in der Zeitung von Dir: „Mir ist schon das schwizerisch tadelnde
weibische Wort Käppi etwas widerlich. Wer es nicht weiß, der soll es
wahrlich nicht verrathen, daß mit jenem federleichter Wort ein so schwerer
Sturmdeckel gemeint ist; er wird sich jedenfalls eher ein spitzenbesetztes Mull^
Häubchen für ein Wickelkind darunter vorstellen."

Rostocker Bürgergarde! Ja, es war eine schöne Zeit, als diese alte
Bürgerwehr jung gewesen. Jugendliche Begeisterung hatte in den Märztagen
des Jahres 1848 Alt und Jung auch in Rostock entflammt. Es galt den
edlen und thatkräftigen Gedanken: Schutz dem Volke durch das Volk.
Aufrechterhaltung der sittlichen Ordnung und Erleichterung der Militärlast.
Als daher am 18. März die Listen für den freiwilligen Eintritt in die
Bürgerwehr öffentlich ausgelegt wurden, zeichneten an diesem Tage eine Menge
tüchtiger Männer ihren Namen in die Liste. Schon der zweite Tag zählte
200 Freiwillige; die Zahl stieg bis zum 6. April auf 671 Personen. Alle
Stände wetteiferten in der Begeisterung. Einer wollte es dem Andern zuvor¬
thun. Herrliche Reden wurden gehalten; man verschwor sich, für die Garde
und zum Schutz des Vaterlandes Gut und Leben zu lassen.

Zur einstweiligen Bewaffnung suchte man auf das Schleunigste aus den
dunklen Kammern des Rathhauses nach den alten abgedienten Flinten, die
ohne Schloß und Feuerstein, seit Decennien dort verborgen lagerten. Einige
Unteroffiziere vom Militär wurden requirirt, um die nöthigen Exercitien zu
leiten; Alles war muthvoll und kampsbeseelt. Namentlich die alten. Degen
von 1813 lebten wieder auf. Es war ordentlich eine Freude, zu sehen, wie
sie wieder jung geworden, von ihren Thaten erzählten und in dem Gebrauch
der Waffen den Neuling unterrichteten.

Noch immer schien die Begeisterung zu wachsen. Man begrüßte freudig
die Verordnung des Magistrates, welcher die gesetzlichen Grundlagen zur


Grenzboten IV. 1874. 15
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[0117] Unter aus Mecklenburg. Aus den Tagen der Bürgerwehr. I. Von Hugo Gaedcke. Unter meinem Fenster spielen die Kinder „Soldat". Des Nachbars Emil ist die Hauptperson; die andern Kinder folgen ihm ehrfurchtsvoll, denn ^ trägt einen Tschako, den er Gott weiß woher erhalten hat. Und sah'ich recht? Wahrhaftig, dieser mächtige Tschako mit der strahlenden Sonne vorn und dem Vogel Greif in der Sonne, dieser furchtbare Augenschirm an dem Tschako und oben darüber der mächtige weiße Haarbusch —, das ist wahrhaftig noch ein Käppi von der alten Rostocker Bürgerwehr. Du Rest vergangener Herrlichkeit, armes Käppi! Meinte doch in deiner Blüthezeit ein Anonymus in der Zeitung von Dir: „Mir ist schon das schwizerisch tadelnde weibische Wort Käppi etwas widerlich. Wer es nicht weiß, der soll es wahrlich nicht verrathen, daß mit jenem federleichter Wort ein so schwerer Sturmdeckel gemeint ist; er wird sich jedenfalls eher ein spitzenbesetztes Mull^ Häubchen für ein Wickelkind darunter vorstellen." Rostocker Bürgergarde! Ja, es war eine schöne Zeit, als diese alte Bürgerwehr jung gewesen. Jugendliche Begeisterung hatte in den Märztagen des Jahres 1848 Alt und Jung auch in Rostock entflammt. Es galt den edlen und thatkräftigen Gedanken: Schutz dem Volke durch das Volk. Aufrechterhaltung der sittlichen Ordnung und Erleichterung der Militärlast. Als daher am 18. März die Listen für den freiwilligen Eintritt in die Bürgerwehr öffentlich ausgelegt wurden, zeichneten an diesem Tage eine Menge tüchtiger Männer ihren Namen in die Liste. Schon der zweite Tag zählte 200 Freiwillige; die Zahl stieg bis zum 6. April auf 671 Personen. Alle Stände wetteiferten in der Begeisterung. Einer wollte es dem Andern zuvor¬ thun. Herrliche Reden wurden gehalten; man verschwor sich, für die Garde und zum Schutz des Vaterlandes Gut und Leben zu lassen. Zur einstweiligen Bewaffnung suchte man auf das Schleunigste aus den dunklen Kammern des Rathhauses nach den alten abgedienten Flinten, die ohne Schloß und Feuerstein, seit Decennien dort verborgen lagerten. Einige Unteroffiziere vom Militär wurden requirirt, um die nöthigen Exercitien zu leiten; Alles war muthvoll und kampsbeseelt. Namentlich die alten. Degen von 1813 lebten wieder auf. Es war ordentlich eine Freude, zu sehen, wie sie wieder jung geworden, von ihren Thaten erzählten und in dem Gebrauch der Waffen den Neuling unterrichteten. Noch immer schien die Begeisterung zu wachsen. Man begrüßte freudig die Verordnung des Magistrates, welcher die gesetzlichen Grundlagen zur Grenzboten IV. 1874. 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/117>, abgerufen am 28.12.2024.