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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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er da von den Knaben wegen seiner körperlichen Größe für gelehrt gehalten
wurde." Etwas besser ging es Butzbach erst dann, als er in Eger in einer
wohlhabenden Familie als Präceptor ihrer Knaben Aufnahme fand; aber
eben das erweckte den Neid seines älteren Genossen und so wenig Schutz gab
es vor empörender Mißhandlung, daß er die Flucht ergreifen, Schule und
Stadt verlassen mußte. Diese einzelnen Züge lassen einen Schluß auf die
allgemeinen Zustände dieser Anstalten thun; sie waren mindestens eben so
schlecht, wie irgendwo sonst; auch hier fand man nichts von geistiger Er¬
hebung.

So etwa stand es am Ende des 13. Jahrhunderts im tschechisch-hussitischen
Böhmen: das Land durch Slaventhum und Hussitenthum fast abgeschlossen
vom deutschen Leben, d. h. von der Cultur, denn östlich von Böhmen war
nur die Barbarei, der Aufschwung der Hussitenzeit längst vorüber, die
hussitische Kirche isolirt und ohne Energie, der Adel roh und verwildert, das
Landvolk gedrückt und höchstens in materiellen Genüssen schwelgend, das
städtische Leben im Rückgange, nirgends ein leidlicher Rechtsschutz. Es sah
damals fast überall im heiligen römischen Reiche deutscher Nation wenig
erfreulich aus, in Böhmen aber ganz besonders unerfreulich.


Otto Kaemmel.


Die Kämpfe der Schweizer gegen Burgund im Lichte
zeitgenössischer Dichtung.
H. Schmölle. I.
^

,
Gegen da5'/sezte Viertel des Is. Jahrhunderts, hart an der Schwelle des
ausgehenden Mittelalters, bereitete sich im Staatensystem des mittlern Eu¬
ropas eine Veränderung vor, die. wenn sie hätte Bestand gewinnen können,
von unabsehbaren Folgen gewesen sein würde. Jedenfalls würde sich schon
damals jener Rollentausch vollzogen haben, der etwa zwei Jahrhunderte später
wirklich eintrat und durch welchen die politische Führerschaft auf dein
Kontinent von den germanischen zum romanischen Stamme überging, ein
Zustand, der erst in den letzten fünf Jahren eine, wir hoffen definitive Abände-
rung erfahren hat. Daß dieses nicht geschah, das verdanken wir jenem frei¬
heitsdurstigen, tapferen Bergvolke, dessen Thaten eine Glanzpartie in der Ge¬
schichte des 14. und Is. Jahrhunderts bilden, und von diesem Gesichtspunkte


er da von den Knaben wegen seiner körperlichen Größe für gelehrt gehalten
wurde." Etwas besser ging es Butzbach erst dann, als er in Eger in einer
wohlhabenden Familie als Präceptor ihrer Knaben Aufnahme fand; aber
eben das erweckte den Neid seines älteren Genossen und so wenig Schutz gab
es vor empörender Mißhandlung, daß er die Flucht ergreifen, Schule und
Stadt verlassen mußte. Diese einzelnen Züge lassen einen Schluß auf die
allgemeinen Zustände dieser Anstalten thun; sie waren mindestens eben so
schlecht, wie irgendwo sonst; auch hier fand man nichts von geistiger Er¬
hebung.

So etwa stand es am Ende des 13. Jahrhunderts im tschechisch-hussitischen
Böhmen: das Land durch Slaventhum und Hussitenthum fast abgeschlossen
vom deutschen Leben, d. h. von der Cultur, denn östlich von Böhmen war
nur die Barbarei, der Aufschwung der Hussitenzeit längst vorüber, die
hussitische Kirche isolirt und ohne Energie, der Adel roh und verwildert, das
Landvolk gedrückt und höchstens in materiellen Genüssen schwelgend, das
städtische Leben im Rückgange, nirgends ein leidlicher Rechtsschutz. Es sah
damals fast überall im heiligen römischen Reiche deutscher Nation wenig
erfreulich aus, in Böhmen aber ganz besonders unerfreulich.


Otto Kaemmel.


Die Kämpfe der Schweizer gegen Burgund im Lichte
zeitgenössischer Dichtung.
H. Schmölle. I.
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Gegen da5'/sezte Viertel des Is. Jahrhunderts, hart an der Schwelle des
ausgehenden Mittelalters, bereitete sich im Staatensystem des mittlern Eu¬
ropas eine Veränderung vor, die. wenn sie hätte Bestand gewinnen können,
von unabsehbaren Folgen gewesen sein würde. Jedenfalls würde sich schon
damals jener Rollentausch vollzogen haben, der etwa zwei Jahrhunderte später
wirklich eintrat und durch welchen die politische Führerschaft auf dein
Kontinent von den germanischen zum romanischen Stamme überging, ein
Zustand, der erst in den letzten fünf Jahren eine, wir hoffen definitive Abände-
rung erfahren hat. Daß dieses nicht geschah, das verdanken wir jenem frei¬
heitsdurstigen, tapferen Bergvolke, dessen Thaten eine Glanzpartie in der Ge¬
schichte des 14. und Is. Jahrhunderts bilden, und von diesem Gesichtspunkte


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[0468] er da von den Knaben wegen seiner körperlichen Größe für gelehrt gehalten wurde." Etwas besser ging es Butzbach erst dann, als er in Eger in einer wohlhabenden Familie als Präceptor ihrer Knaben Aufnahme fand; aber eben das erweckte den Neid seines älteren Genossen und so wenig Schutz gab es vor empörender Mißhandlung, daß er die Flucht ergreifen, Schule und Stadt verlassen mußte. Diese einzelnen Züge lassen einen Schluß auf die allgemeinen Zustände dieser Anstalten thun; sie waren mindestens eben so schlecht, wie irgendwo sonst; auch hier fand man nichts von geistiger Er¬ hebung. So etwa stand es am Ende des 13. Jahrhunderts im tschechisch-hussitischen Böhmen: das Land durch Slaventhum und Hussitenthum fast abgeschlossen vom deutschen Leben, d. h. von der Cultur, denn östlich von Böhmen war nur die Barbarei, der Aufschwung der Hussitenzeit längst vorüber, die hussitische Kirche isolirt und ohne Energie, der Adel roh und verwildert, das Landvolk gedrückt und höchstens in materiellen Genüssen schwelgend, das städtische Leben im Rückgange, nirgends ein leidlicher Rechtsschutz. Es sah damals fast überall im heiligen römischen Reiche deutscher Nation wenig erfreulich aus, in Böhmen aber ganz besonders unerfreulich. Otto Kaemmel. Die Kämpfe der Schweizer gegen Burgund im Lichte zeitgenössischer Dichtung. H. Schmölle. I. ^ , Gegen da5'/sezte Viertel des Is. Jahrhunderts, hart an der Schwelle des ausgehenden Mittelalters, bereitete sich im Staatensystem des mittlern Eu¬ ropas eine Veränderung vor, die. wenn sie hätte Bestand gewinnen können, von unabsehbaren Folgen gewesen sein würde. Jedenfalls würde sich schon damals jener Rollentausch vollzogen haben, der etwa zwei Jahrhunderte später wirklich eintrat und durch welchen die politische Führerschaft auf dein Kontinent von den germanischen zum romanischen Stamme überging, ein Zustand, der erst in den letzten fünf Jahren eine, wir hoffen definitive Abände- rung erfahren hat. Daß dieses nicht geschah, das verdanken wir jenem frei¬ heitsdurstigen, tapferen Bergvolke, dessen Thaten eine Glanzpartie in der Ge¬ schichte des 14. und Is. Jahrhunderts bilden, und von diesem Gesichtspunkte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/468>, abgerufen am 03.07.2024.