Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gewinnen die Kämpfe der Schweizer gegen Burgund die Bedeutung national¬
deutscher Freiheitskämpfe. --

In Deutschland lag die Reichsgewalt unter den Händen des unseligen
Friedrich's III. in den letzten Zügen, in Frankreich wagte sich das Königthum,
durch den hundertjährigen Krieg gegen England, durch die Unbotmäßigkeit
seiner Vassallen geschwächt, unter Ludwig XI. kaum erst diplomatisch-schüch¬
tern hervor. Burgund aber hatte sich, die Verhältnisse benutzend, unvermerkt
zur Großmachtstellung emporgearbeitet. -- Die territoriale Macht Burgunds
war begründet worden durch Philipp den Kühnen (1- 1404), Johann den Un¬
erschrockenen (I- 1419) und Philipp den Guten (5 1467). Namentlich hatte der
Letztere durch straffe Centralisirung der Verwaltung die militärischen und
finanziellen Kräfte des Landes zu verhältnißmäßig sehr bedeutender Höhe ge¬
bracht. Als Karl der Kühne den Thron bestieg, beherrschte er außer seinen
Stammlanden, dem Herzogthum Niederburgund (Bourgogne) und der soge¬
nannten inneren Grafschaft (Franche Comte), fast die ganzen Niederlande, näm¬
lich Artois und Flandern. Brabant, Hennegau, Luxemburg. Holland und
Seeland; über Gelderland gawann er bald die Oberhoheit. Dieser nördliche
Theil war mit den Hauptländern durch die Abtretungen verbunden, die Philipp
dem Guten im Frieden zu Arras (143S) gemacht worden waren und die
einen großen Theil der Champagne (Langres, Chalons, Bar-sur-Aube) um¬
faßten. Aber daß Geheimniß seiner Macht lag nicht eigentlich in der terri¬
torialen Ausdehnung derselben. Er war, was der französische Ludwig erstrebte,
der erste absolute Fürst in Europa, der auf seine Person, auf sein Interesse
die gesammten Kräfte des Landes concentrirte.

Karl's Pläne richteten sich auf der einen Seite gegen Frankreich, dessen
Oberhoheit dem Hause Burgund schon lange unbequem war; auf der anderen
aber gegen Deutschland, indem er zunächst die Rheingrenze, weiterhin Einmischung
in die inneren Verhältnisse, am Ende gar noch mehr erstreh'w'.Friedrich III.,
kurzsichtig und von dynastischen Interessen befangen, lHtz'HH' qnfangs arg
von ihm mißbrauchen. Hätte Karl auf dem Tage zu Trier ^in Herbst 1473)
erreicht, was er wünschte und wofür er als Preis die Hand seiner Erbtochter
bot. er hätte bald Mittel gefunden, seinem künftigen Schwiegersohn bei Ge¬
winnung der Krone den Rang abzulaufen. Aber der Glanz des Burgunders
ärgerte den kleinen Stolz des Habsburgers, und er reiste, wie es hieß, "aus
beweglichen Ursachen" urplötzlich von Trier ab. Jetzt sah man, was der
Herzog eigentlich wollte. Die Zerwürfnisse des Kölner Stifts mit seinem
Erzbischof boten ihm eine Gelegenheit, die er begierig ergriff, sich.in die deut¬
schen Verhältnisse einzumischen. Während Friedrich noch in Augsburg reichs-
tagte, legte sich Karl, um die Kölner zu zwingen, mit 60000 Mann vor


gewinnen die Kämpfe der Schweizer gegen Burgund die Bedeutung national¬
deutscher Freiheitskämpfe. —

In Deutschland lag die Reichsgewalt unter den Händen des unseligen
Friedrich's III. in den letzten Zügen, in Frankreich wagte sich das Königthum,
durch den hundertjährigen Krieg gegen England, durch die Unbotmäßigkeit
seiner Vassallen geschwächt, unter Ludwig XI. kaum erst diplomatisch-schüch¬
tern hervor. Burgund aber hatte sich, die Verhältnisse benutzend, unvermerkt
zur Großmachtstellung emporgearbeitet. — Die territoriale Macht Burgunds
war begründet worden durch Philipp den Kühnen (1- 1404), Johann den Un¬
erschrockenen (I- 1419) und Philipp den Guten (5 1467). Namentlich hatte der
Letztere durch straffe Centralisirung der Verwaltung die militärischen und
finanziellen Kräfte des Landes zu verhältnißmäßig sehr bedeutender Höhe ge¬
bracht. Als Karl der Kühne den Thron bestieg, beherrschte er außer seinen
Stammlanden, dem Herzogthum Niederburgund (Bourgogne) und der soge¬
nannten inneren Grafschaft (Franche Comte), fast die ganzen Niederlande, näm¬
lich Artois und Flandern. Brabant, Hennegau, Luxemburg. Holland und
Seeland; über Gelderland gawann er bald die Oberhoheit. Dieser nördliche
Theil war mit den Hauptländern durch die Abtretungen verbunden, die Philipp
dem Guten im Frieden zu Arras (143S) gemacht worden waren und die
einen großen Theil der Champagne (Langres, Chalons, Bar-sur-Aube) um¬
faßten. Aber daß Geheimniß seiner Macht lag nicht eigentlich in der terri¬
torialen Ausdehnung derselben. Er war, was der französische Ludwig erstrebte,
der erste absolute Fürst in Europa, der auf seine Person, auf sein Interesse
die gesammten Kräfte des Landes concentrirte.

Karl's Pläne richteten sich auf der einen Seite gegen Frankreich, dessen
Oberhoheit dem Hause Burgund schon lange unbequem war; auf der anderen
aber gegen Deutschland, indem er zunächst die Rheingrenze, weiterhin Einmischung
in die inneren Verhältnisse, am Ende gar noch mehr erstreh'w'.Friedrich III.,
kurzsichtig und von dynastischen Interessen befangen, lHtz'HH' qnfangs arg
von ihm mißbrauchen. Hätte Karl auf dem Tage zu Trier ^in Herbst 1473)
erreicht, was er wünschte und wofür er als Preis die Hand seiner Erbtochter
bot. er hätte bald Mittel gefunden, seinem künftigen Schwiegersohn bei Ge¬
winnung der Krone den Rang abzulaufen. Aber der Glanz des Burgunders
ärgerte den kleinen Stolz des Habsburgers, und er reiste, wie es hieß, „aus
beweglichen Ursachen" urplötzlich von Trier ab. Jetzt sah man, was der
Herzog eigentlich wollte. Die Zerwürfnisse des Kölner Stifts mit seinem
Erzbischof boten ihm eine Gelegenheit, die er begierig ergriff, sich.in die deut¬
schen Verhältnisse einzumischen. Während Friedrich noch in Augsburg reichs-
tagte, legte sich Karl, um die Kölner zu zwingen, mit 60000 Mann vor


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132163"/>
          <p xml:id="ID_1584" prev="#ID_1583"> gewinnen die Kämpfe der Schweizer gegen Burgund die Bedeutung national¬<lb/>
deutscher Freiheitskämpfe. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1585"> In Deutschland lag die Reichsgewalt unter den Händen des unseligen<lb/>
Friedrich's III. in den letzten Zügen, in Frankreich wagte sich das Königthum,<lb/>
durch den hundertjährigen Krieg gegen England, durch die Unbotmäßigkeit<lb/>
seiner Vassallen geschwächt, unter Ludwig XI. kaum erst diplomatisch-schüch¬<lb/>
tern hervor. Burgund aber hatte sich, die Verhältnisse benutzend, unvermerkt<lb/>
zur Großmachtstellung emporgearbeitet. &#x2014; Die territoriale Macht Burgunds<lb/>
war begründet worden durch Philipp den Kühnen (1- 1404), Johann den Un¬<lb/>
erschrockenen (I- 1419) und Philipp den Guten (5 1467). Namentlich hatte der<lb/>
Letztere durch straffe Centralisirung der Verwaltung die militärischen und<lb/>
finanziellen Kräfte des Landes zu verhältnißmäßig sehr bedeutender Höhe ge¬<lb/>
bracht. Als Karl der Kühne den Thron bestieg, beherrschte er außer seinen<lb/>
Stammlanden, dem Herzogthum Niederburgund (Bourgogne) und der soge¬<lb/>
nannten inneren Grafschaft (Franche Comte), fast die ganzen Niederlande, näm¬<lb/>
lich Artois und Flandern. Brabant, Hennegau, Luxemburg. Holland und<lb/>
Seeland; über Gelderland gawann er bald die Oberhoheit. Dieser nördliche<lb/>
Theil war mit den Hauptländern durch die Abtretungen verbunden, die Philipp<lb/>
dem Guten im Frieden zu Arras (143S) gemacht worden waren und die<lb/>
einen großen Theil der Champagne (Langres, Chalons, Bar-sur-Aube) um¬<lb/>
faßten. Aber daß Geheimniß seiner Macht lag nicht eigentlich in der terri¬<lb/>
torialen Ausdehnung derselben. Er war, was der französische Ludwig erstrebte,<lb/>
der erste absolute Fürst in Europa, der auf seine Person, auf sein Interesse<lb/>
die gesammten Kräfte des Landes concentrirte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1586" next="#ID_1587"> Karl's Pläne richteten sich auf der einen Seite gegen Frankreich, dessen<lb/>
Oberhoheit dem Hause Burgund schon lange unbequem war; auf der anderen<lb/>
aber gegen Deutschland, indem er zunächst die Rheingrenze, weiterhin Einmischung<lb/>
in die inneren Verhältnisse, am Ende gar noch mehr erstreh'w'.Friedrich III.,<lb/>
kurzsichtig und von dynastischen Interessen befangen, lHtz'HH' qnfangs arg<lb/>
von ihm mißbrauchen. Hätte Karl auf dem Tage zu Trier ^in Herbst 1473)<lb/>
erreicht, was er wünschte und wofür er als Preis die Hand seiner Erbtochter<lb/>
bot. er hätte bald Mittel gefunden, seinem künftigen Schwiegersohn bei Ge¬<lb/>
winnung der Krone den Rang abzulaufen. Aber der Glanz des Burgunders<lb/>
ärgerte den kleinen Stolz des Habsburgers, und er reiste, wie es hieß, &#x201E;aus<lb/>
beweglichen Ursachen" urplötzlich von Trier ab. Jetzt sah man, was der<lb/>
Herzog eigentlich wollte. Die Zerwürfnisse des Kölner Stifts mit seinem<lb/>
Erzbischof boten ihm eine Gelegenheit, die er begierig ergriff, sich.in die deut¬<lb/>
schen Verhältnisse einzumischen. Während Friedrich noch in Augsburg reichs-<lb/>
tagte, legte sich Karl, um die Kölner zu zwingen, mit 60000 Mann vor</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0469] gewinnen die Kämpfe der Schweizer gegen Burgund die Bedeutung national¬ deutscher Freiheitskämpfe. — In Deutschland lag die Reichsgewalt unter den Händen des unseligen Friedrich's III. in den letzten Zügen, in Frankreich wagte sich das Königthum, durch den hundertjährigen Krieg gegen England, durch die Unbotmäßigkeit seiner Vassallen geschwächt, unter Ludwig XI. kaum erst diplomatisch-schüch¬ tern hervor. Burgund aber hatte sich, die Verhältnisse benutzend, unvermerkt zur Großmachtstellung emporgearbeitet. — Die territoriale Macht Burgunds war begründet worden durch Philipp den Kühnen (1- 1404), Johann den Un¬ erschrockenen (I- 1419) und Philipp den Guten (5 1467). Namentlich hatte der Letztere durch straffe Centralisirung der Verwaltung die militärischen und finanziellen Kräfte des Landes zu verhältnißmäßig sehr bedeutender Höhe ge¬ bracht. Als Karl der Kühne den Thron bestieg, beherrschte er außer seinen Stammlanden, dem Herzogthum Niederburgund (Bourgogne) und der soge¬ nannten inneren Grafschaft (Franche Comte), fast die ganzen Niederlande, näm¬ lich Artois und Flandern. Brabant, Hennegau, Luxemburg. Holland und Seeland; über Gelderland gawann er bald die Oberhoheit. Dieser nördliche Theil war mit den Hauptländern durch die Abtretungen verbunden, die Philipp dem Guten im Frieden zu Arras (143S) gemacht worden waren und die einen großen Theil der Champagne (Langres, Chalons, Bar-sur-Aube) um¬ faßten. Aber daß Geheimniß seiner Macht lag nicht eigentlich in der terri¬ torialen Ausdehnung derselben. Er war, was der französische Ludwig erstrebte, der erste absolute Fürst in Europa, der auf seine Person, auf sein Interesse die gesammten Kräfte des Landes concentrirte. Karl's Pläne richteten sich auf der einen Seite gegen Frankreich, dessen Oberhoheit dem Hause Burgund schon lange unbequem war; auf der anderen aber gegen Deutschland, indem er zunächst die Rheingrenze, weiterhin Einmischung in die inneren Verhältnisse, am Ende gar noch mehr erstreh'w'.Friedrich III., kurzsichtig und von dynastischen Interessen befangen, lHtz'HH' qnfangs arg von ihm mißbrauchen. Hätte Karl auf dem Tage zu Trier ^in Herbst 1473) erreicht, was er wünschte und wofür er als Preis die Hand seiner Erbtochter bot. er hätte bald Mittel gefunden, seinem künftigen Schwiegersohn bei Ge¬ winnung der Krone den Rang abzulaufen. Aber der Glanz des Burgunders ärgerte den kleinen Stolz des Habsburgers, und er reiste, wie es hieß, „aus beweglichen Ursachen" urplötzlich von Trier ab. Jetzt sah man, was der Herzog eigentlich wollte. Die Zerwürfnisse des Kölner Stifts mit seinem Erzbischof boten ihm eine Gelegenheit, die er begierig ergriff, sich.in die deut¬ schen Verhältnisse einzumischen. Während Friedrich noch in Augsburg reichs- tagte, legte sich Karl, um die Kölner zu zwingen, mit 60000 Mann vor

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/469
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/469>, abgerufen am 22.07.2024.