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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Line Keise nach Madeira.
Aus der Erinnerung aufgeschrieben.

Am 24. September um 12 Uhr sollte das Schiff von Liverpool nach
Madeira abgehen. Die Plätze hatte ich schon von Lübeck aus durch die
Vermittelung der Herren Se. u. Sons genommen. Meine Kiste, welche zu
spät abgesandt war, konnte ich nicht aus dem Customhouse erhalten, da ca.
500 Cigarren und etwas Taback drin waren. Sie konnte also erst mit dem
am 24. Oct. abgehenden Steamer expedirt werden. Da man auf Madeira
wegen des Tabackmonopols der Regierung alle Sorten Taback nur schmuggeln
kann, so waren deshalb die mitgenommenen für mich verloren. Die Sorge
dafür nahm mir jedoch schon die englische Zollverwaltung ab, da sie den
Taback:c. nur gegen Entrichtung des vollen Zolles, obgleich die Waaren
transitv gingen, herausgeben wollte. Zu dieser Ausgabe, da die Kosten der
eigentlich werthlosen Kiste schon sehr hoch sich beliefen, konnte ich mich nicht
verstehen. -- Um 12 Uhr praec. verließ der Tender den Hafen um die
Passagiere an das entfernter liegende Dampfschiff zu bringen. Beim Anlegen
an dasselbe fiel ein Matrose, der das Seil befestigen wollte, über Bord; die
Fluth trieb ihn unter das Rad des Tenders, welches in langsamem Gange
erhalten wurde, um das Schiff gegen die Fluth zu halten, wie auch der
Armenian seine Schraube mit viertel Kraft bewegte. Die Maschine stoppte
sogleich und der Mensch kam, glücklich am Rade sich haltend, an der andern
Seite desselben wieder zum Vorschein und wurde gerettet. Wenige nur sahen
diesen Vorgang, da die Meisten mit ihrem Gepäck beschäftigt waren; auf
mich machte derselbe, bei der schon ernsten Stimmung einen großen Eindruck.
Jeder von den Passagieren suchte sich in seiner Cajüte einzurichten, wohin
man nach dem Reglement nur kleinere Gepäckstücke nehmen durfte. Uns
wurde möglichst nach der Mitte des Schiffes zu eine Cajüte mit 2 Betten zu
Theil. Die Plätze der ersten Cajüte waren fast alle besetzt: Engländer,
Amerikaner. Afrikaner und mehre Deutsche, von denen uns nur zwei dem
Namen nach bekannt waren. Die Meisten waren Gäste für Madeira. Das
Schiff verließ mit der Ebbe die Rhede von Liverpool ca. um 2 Uhr. Um
3 Uhr versammelte uns Alle das erste gemeinschaftliche Mittagessen, bei dem
aber doch schon einige fehlten und einzelne sich bald entfernten. Die See
war ziemlich ruhig; jedoch war trotz Sonnenscheins die Luft nicht ganz klar
Und der Horizont trübe. Die Küste war uns bald entschwunden. Nach dem
Essen konnten wir noch eine Zeit lang auf Deck sein, doch kühlte der Wind
schon ziemlich stark, so daß Patienten bald in den Salon mußten. Derselbe
war ziemlich geräumig, zu beiden Seiten von Cabinen umgeben, die für je


Line Keise nach Madeira.
Aus der Erinnerung aufgeschrieben.

Am 24. September um 12 Uhr sollte das Schiff von Liverpool nach
Madeira abgehen. Die Plätze hatte ich schon von Lübeck aus durch die
Vermittelung der Herren Se. u. Sons genommen. Meine Kiste, welche zu
spät abgesandt war, konnte ich nicht aus dem Customhouse erhalten, da ca.
500 Cigarren und etwas Taback drin waren. Sie konnte also erst mit dem
am 24. Oct. abgehenden Steamer expedirt werden. Da man auf Madeira
wegen des Tabackmonopols der Regierung alle Sorten Taback nur schmuggeln
kann, so waren deshalb die mitgenommenen für mich verloren. Die Sorge
dafür nahm mir jedoch schon die englische Zollverwaltung ab, da sie den
Taback:c. nur gegen Entrichtung des vollen Zolles, obgleich die Waaren
transitv gingen, herausgeben wollte. Zu dieser Ausgabe, da die Kosten der
eigentlich werthlosen Kiste schon sehr hoch sich beliefen, konnte ich mich nicht
verstehen. — Um 12 Uhr praec. verließ der Tender den Hafen um die
Passagiere an das entfernter liegende Dampfschiff zu bringen. Beim Anlegen
an dasselbe fiel ein Matrose, der das Seil befestigen wollte, über Bord; die
Fluth trieb ihn unter das Rad des Tenders, welches in langsamem Gange
erhalten wurde, um das Schiff gegen die Fluth zu halten, wie auch der
Armenian seine Schraube mit viertel Kraft bewegte. Die Maschine stoppte
sogleich und der Mensch kam, glücklich am Rade sich haltend, an der andern
Seite desselben wieder zum Vorschein und wurde gerettet. Wenige nur sahen
diesen Vorgang, da die Meisten mit ihrem Gepäck beschäftigt waren; auf
mich machte derselbe, bei der schon ernsten Stimmung einen großen Eindruck.
Jeder von den Passagieren suchte sich in seiner Cajüte einzurichten, wohin
man nach dem Reglement nur kleinere Gepäckstücke nehmen durfte. Uns
wurde möglichst nach der Mitte des Schiffes zu eine Cajüte mit 2 Betten zu
Theil. Die Plätze der ersten Cajüte waren fast alle besetzt: Engländer,
Amerikaner. Afrikaner und mehre Deutsche, von denen uns nur zwei dem
Namen nach bekannt waren. Die Meisten waren Gäste für Madeira. Das
Schiff verließ mit der Ebbe die Rhede von Liverpool ca. um 2 Uhr. Um
3 Uhr versammelte uns Alle das erste gemeinschaftliche Mittagessen, bei dem
aber doch schon einige fehlten und einzelne sich bald entfernten. Die See
war ziemlich ruhig; jedoch war trotz Sonnenscheins die Luft nicht ganz klar
Und der Horizont trübe. Die Küste war uns bald entschwunden. Nach dem
Essen konnten wir noch eine Zeit lang auf Deck sein, doch kühlte der Wind
schon ziemlich stark, so daß Patienten bald in den Salon mußten. Derselbe
war ziemlich geräumig, zu beiden Seiten von Cabinen umgeben, die für je


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[0181] Line Keise nach Madeira. Aus der Erinnerung aufgeschrieben. Am 24. September um 12 Uhr sollte das Schiff von Liverpool nach Madeira abgehen. Die Plätze hatte ich schon von Lübeck aus durch die Vermittelung der Herren Se. u. Sons genommen. Meine Kiste, welche zu spät abgesandt war, konnte ich nicht aus dem Customhouse erhalten, da ca. 500 Cigarren und etwas Taback drin waren. Sie konnte also erst mit dem am 24. Oct. abgehenden Steamer expedirt werden. Da man auf Madeira wegen des Tabackmonopols der Regierung alle Sorten Taback nur schmuggeln kann, so waren deshalb die mitgenommenen für mich verloren. Die Sorge dafür nahm mir jedoch schon die englische Zollverwaltung ab, da sie den Taback:c. nur gegen Entrichtung des vollen Zolles, obgleich die Waaren transitv gingen, herausgeben wollte. Zu dieser Ausgabe, da die Kosten der eigentlich werthlosen Kiste schon sehr hoch sich beliefen, konnte ich mich nicht verstehen. — Um 12 Uhr praec. verließ der Tender den Hafen um die Passagiere an das entfernter liegende Dampfschiff zu bringen. Beim Anlegen an dasselbe fiel ein Matrose, der das Seil befestigen wollte, über Bord; die Fluth trieb ihn unter das Rad des Tenders, welches in langsamem Gange erhalten wurde, um das Schiff gegen die Fluth zu halten, wie auch der Armenian seine Schraube mit viertel Kraft bewegte. Die Maschine stoppte sogleich und der Mensch kam, glücklich am Rade sich haltend, an der andern Seite desselben wieder zum Vorschein und wurde gerettet. Wenige nur sahen diesen Vorgang, da die Meisten mit ihrem Gepäck beschäftigt waren; auf mich machte derselbe, bei der schon ernsten Stimmung einen großen Eindruck. Jeder von den Passagieren suchte sich in seiner Cajüte einzurichten, wohin man nach dem Reglement nur kleinere Gepäckstücke nehmen durfte. Uns wurde möglichst nach der Mitte des Schiffes zu eine Cajüte mit 2 Betten zu Theil. Die Plätze der ersten Cajüte waren fast alle besetzt: Engländer, Amerikaner. Afrikaner und mehre Deutsche, von denen uns nur zwei dem Namen nach bekannt waren. Die Meisten waren Gäste für Madeira. Das Schiff verließ mit der Ebbe die Rhede von Liverpool ca. um 2 Uhr. Um 3 Uhr versammelte uns Alle das erste gemeinschaftliche Mittagessen, bei dem aber doch schon einige fehlten und einzelne sich bald entfernten. Die See war ziemlich ruhig; jedoch war trotz Sonnenscheins die Luft nicht ganz klar Und der Horizont trübe. Die Küste war uns bald entschwunden. Nach dem Essen konnten wir noch eine Zeit lang auf Deck sein, doch kühlte der Wind schon ziemlich stark, so daß Patienten bald in den Salon mußten. Derselbe war ziemlich geräumig, zu beiden Seiten von Cabinen umgeben, die für je

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/181>, abgerufen am 03.07.2024.