Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.waldigen Stadt -- die Sehnsucht nach der Natur! Morgen soll es von hin¬ Zsritz Keuler. Mit Tücherwehen und Freudenrufen zogen oder fuhren bisher die zahl¬ Kaum zwanzig Jahre sind vergangen, seitdem die ersten Dichtungen In dem kurzen Zeitraum, der seit der Ausbreitung seines Ruhmes bis zu Der Grund dieses außerordentlichen Erfolges ist einfach: Fritz Reuter waldigen Stadt — die Sehnsucht nach der Natur! Morgen soll es von hin¬ Zsritz Keuler. Mit Tücherwehen und Freudenrufen zogen oder fuhren bisher die zahl¬ Kaum zwanzig Jahre sind vergangen, seitdem die ersten Dichtungen In dem kurzen Zeitraum, der seit der Ausbreitung seines Ruhmes bis zu Der Grund dieses außerordentlichen Erfolges ist einfach: Fritz Reuter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/131854"/> <p xml:id="ID_604" prev="#ID_603"> waldigen Stadt — die Sehnsucht nach der Natur! Morgen soll es von hin¬<lb/> nen gehn und wenn es Abend wird, ist es stille ringsum; nicht mehr das<lb/> wogende Volk sondern die wogende Fluth rauscht dann um uns am laZo<lb/> und der fesselnde Lärm einer Weltstadt wird zur unvermerkt mond-<lb/> beglänzten Idylle.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Zsritz Keuler.</head><lb/> <p xml:id="ID_605"> Mit Tücherwehen und Freudenrufen zogen oder fuhren bisher die zahl¬<lb/> losen Verehrer Fritz Reuter's an seiner lieblichen Villa am Eingange des<lb/> Marienthales vorüber, wenn sie Eisenach besuchten. Selbst der an Eisenach<lb/> vorbeifliegende „gebildete" Eisenbahnreisende versäumte nie, den Mitpassagieren,<lb/> mit richtiger oder unrichtiger Armdeutung zuzurufen: „Hier wohnt Fritz Reuter!"<lb/> Nun ruht Fritz Reuter in thüringischer Erde.</p><lb/> <p xml:id="ID_606"> Kaum zwanzig Jahre sind vergangen, seitdem die ersten Dichtungen<lb/> Fritz Reuter's im Druck erschienen. Und Jahre lang wurden die „Läuschen<lb/> un Rimels" nur von den plattdeutschen Landsleuten des Dichters gelesen.<lb/> Auch „Kein Husum^", „Hanne Unke", „Schürr Murr" u. s. w., auf welche<lb/> heute die deutsche Literatur mit Recht stolz ist, sind außerhalb der plattdeut¬<lb/> schen Sprachgrenze allgemein gelesen und gewürdigt worden, erst nachdem das<lb/> brillante erzählende Talent, der einzige Humor des Dichters in den „Otter<lb/> Kamelien" sich entfaltet, und die Aufmerksamkeit aller Länder, in denen die<lb/> deutsche Zunge klingt, auf den bis dahin nur der Polizei der „Demagogen¬<lb/> riecher" bekannten Namen Fritz Reuter gelenkt hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_607"> In dem kurzen Zeitraum, der seit der Ausbreitung seines Ruhmes bis zu<lb/> seinem Tode verflossen, ist es Fritz Reuter gelungen, sich zum Lieblingserzähler des<lb/> deutschen Volkes zu machen. Dieser ungeheure Erfolg ist um so wunderbarer, als<lb/> Reuter Dialektschriftsteller, und obendrein plattdeutscher Dialektschriftsteller war,<lb/> d. h. einen Dialekt schrieb, der von allen deutschen Dialekten die geringste Verbrei¬<lb/> tung besitzt, und selbst in der norddeutschen Ebene wenig Meilen von seinem<lb/> Sitze schwer verstanden wird, geschweige denn im süddeutschen Gebirgsland, in<lb/> den Gauen der fränkischen, schwäbischen und allemannischen Zunge. Und dennoch<lb/> trauert heute der ganze deutsche Süden, mit derselben Innigkeit und Wehmuth<lb/> um Reuter's Heimgang, wie der Norden und seine mecklenburgische Heimat.</p><lb/> <p xml:id="ID_608" next="#ID_609"> Der Grund dieses außerordentlichen Erfolges ist einfach: Fritz Reuter<lb/> war ein echter Dichter, von unvergleichlicher Innigkeit des Gemüthes,<lb/> von einer humoristischen Begabung, die so urwüchsig, lauter, und formlos in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0160]
waldigen Stadt — die Sehnsucht nach der Natur! Morgen soll es von hin¬
nen gehn und wenn es Abend wird, ist es stille ringsum; nicht mehr das
wogende Volk sondern die wogende Fluth rauscht dann um uns am laZo
und der fesselnde Lärm einer Weltstadt wird zur unvermerkt mond-
beglänzten Idylle.
Zsritz Keuler.
Mit Tücherwehen und Freudenrufen zogen oder fuhren bisher die zahl¬
losen Verehrer Fritz Reuter's an seiner lieblichen Villa am Eingange des
Marienthales vorüber, wenn sie Eisenach besuchten. Selbst der an Eisenach
vorbeifliegende „gebildete" Eisenbahnreisende versäumte nie, den Mitpassagieren,
mit richtiger oder unrichtiger Armdeutung zuzurufen: „Hier wohnt Fritz Reuter!"
Nun ruht Fritz Reuter in thüringischer Erde.
Kaum zwanzig Jahre sind vergangen, seitdem die ersten Dichtungen
Fritz Reuter's im Druck erschienen. Und Jahre lang wurden die „Läuschen
un Rimels" nur von den plattdeutschen Landsleuten des Dichters gelesen.
Auch „Kein Husum^", „Hanne Unke", „Schürr Murr" u. s. w., auf welche
heute die deutsche Literatur mit Recht stolz ist, sind außerhalb der plattdeut¬
schen Sprachgrenze allgemein gelesen und gewürdigt worden, erst nachdem das
brillante erzählende Talent, der einzige Humor des Dichters in den „Otter
Kamelien" sich entfaltet, und die Aufmerksamkeit aller Länder, in denen die
deutsche Zunge klingt, auf den bis dahin nur der Polizei der „Demagogen¬
riecher" bekannten Namen Fritz Reuter gelenkt hatte.
In dem kurzen Zeitraum, der seit der Ausbreitung seines Ruhmes bis zu
seinem Tode verflossen, ist es Fritz Reuter gelungen, sich zum Lieblingserzähler des
deutschen Volkes zu machen. Dieser ungeheure Erfolg ist um so wunderbarer, als
Reuter Dialektschriftsteller, und obendrein plattdeutscher Dialektschriftsteller war,
d. h. einen Dialekt schrieb, der von allen deutschen Dialekten die geringste Verbrei¬
tung besitzt, und selbst in der norddeutschen Ebene wenig Meilen von seinem
Sitze schwer verstanden wird, geschweige denn im süddeutschen Gebirgsland, in
den Gauen der fränkischen, schwäbischen und allemannischen Zunge. Und dennoch
trauert heute der ganze deutsche Süden, mit derselben Innigkeit und Wehmuth
um Reuter's Heimgang, wie der Norden und seine mecklenburgische Heimat.
Der Grund dieses außerordentlichen Erfolges ist einfach: Fritz Reuter
war ein echter Dichter, von unvergleichlicher Innigkeit des Gemüthes,
von einer humoristischen Begabung, die so urwüchsig, lauter, und formlos in
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